Redezeit

»An Gefilte Fisch scheiden sich die Geister«

Ellen Presser Foto: Miryam Gümbel

Frau Presser, am Samstagabend beginnt Schawuot. Zum Fest werden traditionell Milchspeisen gegessen. Was wird es bei Ihnen zu Hause geben?
An Schawuot gibt es bei mir gar nichts. Ich bin an beiden Tagen eingeladen und muss nichts Selbstgemachtes mitbringen. Dabei kenne ich dank Ruth Melcer ein kinderleichtes Käsekuchenrezept.

Welchen Stellenwert hat das Essen im Judentum?

Essen ist eine Lebensnotwendigkeit für alle Menschen. Wenn man aber darüber nachdenkt, woher die natürlichen Zutaten für unsere Speisen stammen, kommt die Natur und am Beginn der Nahrungskette die Schöpfung ins Spiel. Die jüdische Religion zwingt uns durch ihre Gebote, von denen viele schon in der Tora verankert sind, sehr bewusst damit umzugehen, was genießbar ist und was nicht. Ein promovierter religiöser Lebensmittelkontrolleur hat mir einmal gesagt: »Gott weiß, was für einen jüdischen Menschen gut ist«. Essen in Gesellschaft gehört übrigens gewiss dazu. Und für Religiöse anschließend das gemeinsame Dankgebet, das Benschen, ebenso.

In dem von Ruth Melcer und Ihnen verfassten Kochbuch beschreiben Sie, wie eng Essen und jüdische Religion miteinander verbunden sind. Was war als Kind Ihr absolutes jüdisches Lieblingsessen?
Kartoffelpüree (natürlich ohne Milch und Butter), Tafelspitz und dazu ein Glas heißen polnischen Borschtsch. Und als Vorspeise Gehackte Eier mit Hühnergrieben. Hmmm!

Die jüdische Küche ist – Stichwort Gefilte Fisch, Kneidlach und Tscholent – nicht gerade als Gourmetküche bekannt. Inwieweit passen jüdisches Essen und Genuss zusammen?
An Gefilte Fisch scheiden sich die Geister. Die einen lieben ihn, die anderen können wegen seiner zart süßlichen Note nichts damit anfangen. Ansonsten ist zu sagen, dass sich die Vorurteile gegen die jüdische Küche ebenso hartnäckig halten wie die gegen die Juden selbst. Die Speisen der Ostjuden waren auf Sättigung angelegt, mussten nahrhaft sein. Je reichhaltiger die Zutaten, desto feinsinnigere Verarbeitung ist möglich. Eine Hühnerbrühe mit luftigen Mazzekneidlach, ein Tscholent mit gutem Fleisch und einer Kruste aus geriebenen Kartoffeln ist ein Gedicht. Man muss halt kochen können.

Sie sind als Tochter polnisch-jüdischer Displaced Persons in Bayern aufgewachsen. Welche Speisen haben Sie in Ihrer Kindheit geprägt?
Zum einen die Kochkunst meiner Mutter, die aus Krásnik südlich von Lublin stammte. Sie wuchs in einem religiösen, kinderreichen Haushalt auf, schaute von klein auf ihrer Mutter und der Küchenhilfe zu. Ihre private Kochschule endete ein Jahr nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen. Alles Heimische, was sie zubereitete und servierte, war köstlich, doch getränkt mit Eposiden aus ihren ersten beiden Lebensjahrzehnten. Zum anderen die nach jüdischen Vorgaben modifizierten Rezepte unserer ungarischen Haushälterin: Lecsó und Gulasch Szegediner Art.

Stellen Sie in Ihrem Kochbuch auch klassische sefardische Gerichte vor?
Nein, denn Ruth Melcers Kochbuch nimmt die Rezepte ihrer Mutter, Großmutter und Tanten auf, und die stammten allesamt, wie auch meine Familie, aus Polen. Es geht hier also um osteuropäisch-jüdische Küche und ihre zeitgemäße Weiterentwicklung: kalorienreduziert, gesundheitsbewusst (zum Beispiel weniger Fett) und handwerklich vereinfacht. Für Ruth läuft nichts ohne ihre Küchenmaschine.

Die Madeleine bei Proust ist legendär. Gibt es für Sie ein jüdisches Wohlfühl-Essen?
An der gastlichen Tafel bei Ruth Melcer fühle ich mich nicht zuletzt deshalb so heimisch, weil ihre Gefüllte Kalbsbrust und ihr Zwiebelfleisch so gut schmecken, denselben »tam« (Geschmack) haben wie bei meiner Mutter sel. A. Und Ruths Tscholent – und das will was heißen – ist sogar noch besser!

Mit der Buchautorin und Leiterin des IKG-Kulturzentrums sprach Philipp Peyman Engel.

Ellen Presser, Ruth Melcer: »Ruths Kochbuch. Die wunderbaren Rezepte meiner jüdischen Familie«. Gerstenberg, Hildesheim 2015, 160 S., 19,95 €

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