Wuligers Woche

Alias Sophie Roznblatt

Marie Sophie Hingst 2017 beim Erhalt der Ehrung »Bloggerin des Jahres« Foto: pa/obs Die Goldenen Blogger

Schon wieder ist eine angeblich jüdische Medienfigur aufgeflogen. Marie Sophie Hingst heißt die Dame, preisgekrönte Bloggerin, hat für Zeit Online und den Deutschlandfunk geschrieben und konnte bei Tagungen bewegend vom Schicksal ihrer offenbar frei erfundenen jüdischen Vorfahren berichten.

In den Institutionen und Qualitätsmedien, die der vermeintlichen Hochstaplerin eine Bühne boten, hat jahrelang keiner gemerkt, dass die Dame, Medienberichten zufolge, so koscher sein soll wie Schweinskopfsülze.

Muster Wenn so etwas einmal passiert, ist es Pech. Geschieht es zweimal, kann man noch von Zufall sprechen. Spätestens beim dritten Mal regt sich leise der Verdacht, dass man es mit einem Muster zu tun hat. Vor Marie Sophie Hingst gab es Edith Lutz, die im WDR als Palästina-solidarische Jüdin präsentiert wurde. Palästina-solidarisch war sie, Jüdin soll sie laut zahlreichen Medienberichten nicht gewesen sein. Oder wie die Redaktionsleiterin des TV-Magazins Monitor es damals hübsch formulierte: »Wir können weder beweisen, dass Edith Lutz Jüdin ist – noch dass sie keine ist.«

Hingst soll Medienberichten zufolge so koscher sein wie Schweinskopfsülze.

Ein paar Jahre später trat Irena Wachendorff auf den Plan, nach eigenem Bekunden Tochter von Holocaust-Überlebenden und ehemalige Zahal-Soldatin. Protegiert von dem Münsteraner CDU-Politiker Ruprecht Polenz, erhob auch sie ihre angeblich jüdische Stimme für die unterdrückten Araber in Israel, bis sie ebenfalls enttarnt wurde.

Markt Und jetzt also Marie Sophie Hingst alias »Sophie Roznblatt«; unter diesem Namen schrieb sie bei Zeit Online. Alle drei hatten Erfolg, weil sie einen Markt bedienten. In Deutschland besteht ständige Nachfrage nach medientauglichen Juden. Nun ist es nicht so, dass dem kein authentisch jüdisches Angebot gegenüberstünde. Es gibt jede Menge Juden, die nur auf einen Anruf warten, um Journalisten bereitwillig etwas in die Feder zu diktieren oder in die Kamera zu sagen.

Und das Angebot ist weit gefächert: Zur Verfügung stehen kritische Juden und etablierte, zionistische und israelkritische, alte und junge, linke und rechte, Männer und Frauen. Medien und Veranstalter müssten also gar nicht auf fragwürdige Judendarsteller hereinfallen. Dass ihnen das dennoch immer wieder passiert, liegt möglicherweise daran, dass für Faktenchecks zu wenig Zeit und Personal vorhanden ist. Oder aber man scheut aus verständlichen historischen Gründen, nach Belegen für die Jüdischkeit zu fragen.

Es gibt jede Menge Juden, die nur auf einen Anruf warten, um Journalisten etwas in die Kamera zu sagen.

Outsourcing Die Lösung des Problems heißt Outsourcing. Es gibt in Deutschland jede Menge Rabbiner, die gerne nebenher noch etwas dazu verdienen. Der Markt für Koscherzertifikate ist inzwischen leider dicht. Doch für eine Castingagentur – »Jews r Us« könnte das Unternehmen heißen –, die garantiert authentische jüdische Interviewpartner und Veranstaltungsteilnehmer mit rabbinischem Echtheitszertifikat vermittelt, gibt es, wie der Fall Marie Sophie Hingst zeigt, noch dringenden Bedarf.

Ein Firmenchef mit Medien- und Showbiz-Erfahrung steht auch schon bereit. Rabbiner Walter Rothschild, übernehmen Sie!

Archäologie

Vorform der Landwirtschaft: Steinsicheln für die Getreideernte

Funde aus einer Höhle in Zentralasien stellen Annahmen zur Entstehung der Landwirtschaft infrage. Offenbar liegen deren Ursprünge nicht nur in der Region Vorderasien, die auch das heutige Israel umfasst

von Walter Willems  26.08.2025

Digital

Initiative von Heidelberger Hochschule: Neuer Podcast zum Judentum

»Jüdische Studien Heute« als Podcast: Das neue Angebot der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg will alle zwei Wochen Forschungsthemen aufgreifen und Einblicke in die jüdische Lebenswelt bieten

von Norbert Demuth  26.08.2025

Cerro Pachón

Vera Rubin Observatory startet wissenschaftliche Mission  

Die nach einer jüdischen Wissenschaftlerin benannte Sternwarte auf einem Berg in Chile läutet eine neue Ära der Astronomie ein

von Imanuel Marcus  26.08.2025

Zahl der Woche

1902

Fun Facts und Wissenswertes

 26.08.2025

TV-Tipp

»Barbie« als TV-Premiere bei RTL: Komödie um die legendäre Puppe

Im ersten Realfilm der 1959 von Ruth Handler erfundenen Puppe ist Barbieland eine vor Künstlichkeit nur so strotzende Fantasie

von Michael Kienzl  26.08.2025

Nominierungen

Grimme Online Award: Nahost-Konflikt und deutsche Geschichte im Fokus

In den vier Kategorien kann die Jury des Grimme Online Awards aus den 25 Nominierten bis zu acht Preisträger auswählen

 26.08.2025

Berlin

Götz Aly: Kaum Parallelen zwischen 1933 und heute

Wie konnten die Deutschen den Nazis verfallen und beispiellose Verbrechen begehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Historiker in seinem neuen Buch. Erkennt er Parallelen zu heute?

von Christoph Driessen  26.08.2025

Oberammergau

»Judenfreund«: Regisseur Stückl beklagt Anfeindungen

Christian Stückl leitet die berühmten Passionsspiele in Oberbayern. Lange wurde er dafür gewürdigt, das Werk von judenfeindlichen Passagen befreit zu haben. Nun dreht sich der Wind

 25.08.2025

Kritik

Ukraine verurteilt Auftritt Woody Allens bei Moskauer Filmwoche

US-Filmregisseur Woody Allen lässt sich per Video beim Moskauer Filmfestival zuschalten. In der von Russland angegriffenen Ukraine sieht man den Auftritt alles andere als gern - und reagiert prompt

 25.08.2025