Herr Lev, Sie interpretieren kommende Woche im Konzerthaus Berlin ein lange verschollenes Werk. Welche Geschichte steckt dahinter?
Wir sind vier Pianisten aus Israel und interpretieren in einer Europa- beziehungsweise Deutschlandpremiere zwei Werke mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Sie wurden von den beiden bekanntesten jüdischen Komponisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfasst – Felix Mendelssohn und Ignaz Moscheles.
Felix Mendelssohn Bartholdy kennt jeder, aber wer war Ignaz Moscheles?
Ignaz Moscheles – ursprünglich hieß er mit Vornamen Isaak – war 30 Jahre älter als Mendelssohn und sein Lehrer in Leipzig. Später zog Moscheles nach London. 1833 gab es dort ein Charity-Konzert, bei dem Mendelssohn und Moscheles gemeinsam improvisieren sollten, eine Art »Jam-Session«. Sie suchten sich dafür Carl Maria von Webers Singspiel »Preziosa« aus. Die Aufführung war außerordentlich erfolgreich und wurde wiederholt. Dafür schrieben sie eine Partitur auch für Orchester.
Was passierte mit dieser Partitur?
Das Werk geriet in Vergessenheit. Nachdem Mendelssohn 1847 im Alter von 38 Jahren gestorben war, beschloss Moscheles, die Partitur zu suchen. Er fand sie in sehr schlechtem Zustand und überarbeitete sie. Das Werk hatte in der neuen Fassung 1849 keinen großen Erfolg und verschwand erneut.
Wo tauchten die Noten wieder auf?
Die Partitur wurde erst vor etwa 20 Jahren in St. Petersburg wiederentdeckt – im Archiv des Pianisten Anton Rubinstein. Aber es war eine völlig andere Version als die, die 1849 gespielt worden war. Als die Partitur restauriert worden war, stellte sich heraus, dass es mit höchster Wahrscheinlichkeit das gemeinsame Werk von Mendelssohn und Moscheles war.
Wann wurde dieses Werk zum ersten Mal wiederaufgeführt?
Erst 2009 wurde die Partitur im Katalog der Werke von Mendelssohn veröffentlicht. Unser Ensemble »MultiPiano« ist spezialisiert auf die Aufführung seltener Werke. In den vergangenen zehn Jahren haben wir die Preziosa-Variationen von Mendelssohn und Moscheles unter anderem in London mit dem English Chamber Orchestra und in der Carnegie Hall in New York aufgeführt.
Das gemeinsame Werk der beiden Komponisten spielen Sie vierhändig, das Werk von Moscheles achthändig …
Ja, wir spielen auf zwei Klavieren, erst vierhändig zu zweit und dann achthändig zu viert. Als Mendelssohn sein Stück zusammen mit Moscheles komponierte, war er übrigens auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Es ist kein Jugendwerk. Mit dem Konzert in Berlin kehrt dieses Werk sozusagen nach Hause zurück, und ich freue mich sehr darauf.
Mit dem israelischen Pianisten sprach Ayala Goldmann. Das Konzert mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und MultiPiano findet am 28. Mai im Berliner Konzerthaus statt.
(Im Video: Mendelssohn-Moscheles: »Fantasie & Variations on a theme by Weber« MultiPiano Ensemble & the Israel Philharmonic)