Herr Lustig, Sie spielen in »Menashe«, der zurzeit auf der Berlinale gezeigt wird, einen ultraorthodoxen Juden, einen Witwer, der wieder heiraten soll. Ist der Film für Sie wirklich die erste Begegnung mit dem Kino?
Ja! Ich war jetzt zum ersten Mal im Leben in einem Kino. Ich wusste gar nicht, wie es da aussieht. Ich bin einfach nicht so aufgewachsen. Meine Eltern haben immer gesagt, Kino verwirrt den Kopf – und es stimmt (lacht). Der ganze Berlinale-Trubel ist sehr aufregend.
Wie viel von Ihnen steckt in der Filmfigur?
Der Menashe im Film ist zu 95 Prozent mit mir identisch. Der Regisseur hat nur Kleinigkeiten geändert. Auch ich stamme aus Borough Park in Brooklyn, bin Witwer, alleinerziehender Vater eines Sohnes, arbeite in einem Gemüseladen und stelle mich da auch manchmal etwas ungeschickt an.
Haben Sie im richtigen Leben auch um Ihren Sohn gekämpft?
Ja, meine Frau kam aus London, und dort ist auch mein Sohn aufgewachsen. Als sie starb, wollte ich mit meinem Sohn zurück in meine Gemeinde in den USA. Die Familie meiner Frau meinte, ich könnte es meinem Sohn nicht zumuten, jetzt in eine so strenge Gemeinschaft zu gehen. Er war ja mehr Freiheit gewohnt. Es war ein Kampf zwischen Vernunft und Gefühlen. Ich hatte die Gefühle, die Familie die Vernunft. Ich musste einen Mittelweg finden.
Der Film-Menashe will keine Frau mehr. Und Sie, wollen Sie wirklich nicht wieder heiraten?
Nach allem, was ich nach dem Tod meiner Frau durchgemacht hatte, habe ich Angst, es nochmal zu erleben. Du denkst, vielleicht stirbst du oder sie wirft dich raus und lässt sich scheiden. Also ist es vielleicht besser, nicht mehr zu heiraten und das bisschen Geld zu nehmen und zu leben. Oder wie wir auf Jiddisch sagen: A bissl schlecht ist auch gut.
Apropos Jiddisch: Der Film ist komplett auf Jiddisch gedreht, einer Sprache, die wir in Europa mit der untergegangenen Welt des Schtetl verbinden ...
... ja, aber bei uns lebt die Sprache und verändert sich, nimmt englische Worte auf. Jiddisch ist ganz einfach meine Sprache. Ich spreche, lese, schreibe und träume Jiddisch.
Hatten Sie Angst davor, wie Ihre ultraorthodoxe Gemeinde auf den Film reagiert?
Ich hatte noch mehr Angst davor, den Film nicht zu machen. Viele Leute haben diese Reue über verpasste Chancen, und das macht sie traurig und hart. Mein Ziel ist es, Menschen zu ermutigen, ihren eigenen Weg zu gehen, ihr Talent zu nutzen, ihre Träume zu leben.
Glauben Sie, dass der Film irgendwann in Ihrer Gemeinschaft gezeigt wird?
Nein, niemals! Sie wissen nicht, dass es den Film gibt. Sie wissen auch nicht, dass ich jetzt in Berlin bin. Aber mein Rabbiner weiß es natürlich. Er hat gesagt: Fahr ruhig! Andernfalls wäre ich nicht gekommen. Ich will mein Leben nicht negativ verbringen, niemandem böse sein, und niemand soll auf mich böse sein.
Mit dem amerikanischen Schauspieler und Stand-up-Comedian sprach Georg M. Hafner.