China

Wo Auschwitz »Aosiweixin« heißt

Ausstellungsplakat am Eingang des »Museums für Chinas Widerstandskrieg gegen Japan« Foto: Inna Hartwich

Der Stacheldraht auf dem Plakat habe sie abgestoßen – und sie gleichzeitig auch irgendwie angezogen und ins Pekinger »Museum für Chinas Widerstandskrieg gegen Japan« geführt. Dort sah man kürzlich auf 700 Quadratmetern im schummrigen Licht eine Ausstellung über den Holocaust. »Was hat es nur auf sich mit diesem ›Aosiweixin‹, diesem Auschwitz, auf das der Aushang hinweist?«, fragte sich die junge Frau, die nicht möchte, dass ihr Name in einer Zeitung steht.

Sie hält sich die Hand vors Gesicht, lugt vorsichtig zwischen den Fingern hindurch. Da hängen sie, in einer Reihe: Frauen, Männer, junge und alte – am Galgen. Es sind Aufnahmen von ausgemergelten Körpern, erschöpften Gesichtern, von Menschen, die sich durch den Schnee schleppen, auf den Tod warten.

Die Frau dreht sich weg, macht einen Schritt nach hinten – und schaut doch hin, auf die Bilder aus dem Vernichtungslager Auschwitz. Zum ersten Mal beschäftigt sich China in einer so umfangreichen Ausstellung mit der Schoa und wühlt seine Besucher auf.

Europa »Wir kennen diesen Teil der Geschichte nicht gut. In chinesischen Büchern kommen das Thema Hitler-Deutschland und die Gräuel gegen die Juden nur in einem sehr geringen Maße vor, fast schon beiläufig«, sagt Vize-Museumsdirektor Li Zongyuan. Er sitzt in einem Sessel mit gerüschten Überhängen und lehnt sich immer wieder zurück. Die Exponate, sagt er, sollen eine Vorstellung davon geben, was vor 70 Jahren in Europa geschah. Li weiß, dass das ungewöhnlich ist für ein staatliches Haus in China.

Über Jahre hinweg hatte sich das Museum zur Aufgabe gemacht, die chinesische Jugend in patriotischer anti-japanischer Propaganda zu schulen. Bronzene Kriegsfiguren und Wandgemälde mit Schlachtszenen sind auch heute noch da. »Information muss sein«, sagt Li leise und lächelt stolz. Die Dämonisierung der Japaner hat inzwischen jedoch nachgelassen.

Das Museum im Südwesten der Stadt ist ein Ort, der selbst mit der Geschichte verbunden ist. Am 7. Juli 1937 kam es an der benachbarten Marco-Polo-Brücke zu einem Feuergefecht zwischen der Kaiserlich Japanischen Armee und der Nationalrevolutionären Armee der Chinesen. Es war der Beginn des acht Jahre dauernden Kriegs zwischen Japan und China, der unter Chinas Zivilbevölkerung knapp zehn Millionen Opfer gefordert hat. Dieser Krieg prägt das chinesische Selbstverständnis bis heute. Was Europa, was die Juden in dieser Zeit durchmachten, war lange Zeit Chinas weißer Fleck.

Versöhnlich Die Ausstellung – inzwischen ist sie in Chinas früherer Hauptstadt Nanjing zu sehen, die 1937 durch das Massaker der Japaner besonders schwer getroffen wurde – soll eine »Brücke zum neuen Verständnis der Geschichte« werden, sagt Li. Dass sie zu versöhnlichen Tönen zwischen China und Japan führen könnte, glaubt er nicht. »Deutschland hat die Schuld für die Gräuel eingestanden, hat um Entschuldigung gebeten. Japan aber hält das nicht für nötig.«

Zwei Jahre haben Li und seine Mitarbeiter am Konzept gearbeitet. Die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau lieferte die Kopien der Exponate, auch das Jüdische Flüchtlingsmuseum in Shanghai stellte einen Teil. Bis zu 20.000 Juden kamen noch bis 1945 in die Hafenstadt, da der chinesische Botschafter in Wien, He Fengshan, ihnen Reisepapiere ausstellte. Doch selbst dieser Teil der Geschichte ist den meisten Chinesen unbekannt – aus ideologischen Gründen.

He war ein Mann Chiang Kaisheks, Maos Widersacher. Er durfte lange Zeit kein Held sein. »Was die Tausenden Juden von Shanghai mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun haben, verstehen viele Chinesen nicht«, sagt Li. »Wir lernen die chinesisch-europäische Geschichte erst kennen.«

Stockholm

Wirtschaftsnobelpreis geht auch an jüdischen Ökonom

Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt werden für ihre Forschung zu nachhaltigem Wachstum geehrt

 13.10.2025

Kommentar

Kein Wunder in Bern

Bei gewaltbereiten Demonstrationen in der Schweizer Bundeshauptstadt hat sich ein Teil der Palästina-Solidarität einmal mehr selbst entlarvt: Es ging nie darum, das Leid im Gazastreifen zu beenden oder einen angeblichen Genozid zu stoppen

 12.10.2025

Malibu

Kiss-Sänger Gene Simmons bei Unfall verletzt

Der 76-Jährige soll hinter dem Steuer das Bewusstsein verloren haben

 10.10.2025

Meinung

Außen hui, innen pfui: Trumps Umgang mit den Juden

Während sich der US-Präsident um die Juden in Israel verdient macht, leidet die jüdische Gemeinschaft im eigenen Land unter seiner autoritären Innenpolitik. Das sollte bei aller Euphorie über den Gaza-Deal nicht vergessen werden

von Joshua Schultheis  09.10.2025

Literatur

Nobelpreis für Literatur geht an László Krasznahorkai

Die Literaturwelt blickt erneut gebannt nach Stockholm. Dort entscheidet man sich diesmal für einen großen Schriftsteller aus Ungarn - und bleibt einem Muster der vergangenen Jahre treu

von Steffen Trumpf  09.10.2025

Italien

»Mein Sohn will nicht mehr Levy heißen«

Wie ist es in diesen Tagen, Jude in einer europäischen Metropole zu sein? Ein Besuch bei Künstler Gabriele Levy im jüdischen Viertel von Rom

von Nina Schmedding  06.10.2025

Großbritannien

Empörung über Israels Einladung an Rechtsextremisten

Jüdische Verbände und Kommentatoren in Großbritannien sind entsetzt, dass Diasporaminister Chikli und Knesset-Sprecher Ohana ausgerechnet nach dem Anschlag von Manchester einen rechten Agitatoren hofieren

von Michael Thaidigsmann  06.10.2025

Türkei

»Zionist«: Robbie-Williams-Konzert in Istanbul am 7. Oktober abgesagt

Die Stadt verweist auf Sicherheitsbedenken – zuvor gab es online massive Proteste wegen jüdischer Familienbezüge des Musikers

 05.10.2025

7. Oktober

Ein Riss in der Schale

Wie Simchat Tora 2023 das Leben von Jüdinnen und Juden verändert hat

von Nicole Dreyfus  05.10.2025