Schweden

»Wir fühlen uns nicht sicher«

Liegt rund 600 Kilometer nördlich von Stockholm: Umeå Foto: Thinkstock

Anfang April stellte Carinne Sjöberg ein Video auf ihre Facebook-Seite. Die Kamera schwenkt darin durch das Büro des »Jüdischen Vereins Umeå«. Dass Sjöberg den Raum gerade gekündigt hat, sieht man ihm nicht an: Im Regal sind ordentlich nebeneinander Bücher und CDs aufgereiht, an den Wänden hängen gerahmte Zeitungsausschnitte – von der Büroeinweihung vor einem Jahr, Aktivitäten des Vereins, Interviews mit seiner Vorsitzenden. Alles wirkt wie ein Ausschnitt aus dem ganz gewöhnlichen Vereinsalltag. Doch dieser war alles andere als gewöhnlich, vor allem in den vergangenen Monaten.

Die Mitglieder der nordschwedischen Mini-Gemeinde, es sind gerade einmal 50, wurden massiv bedroht. Kamen im südschwedischen Malmö und in Stockholm antisemitische Pöbeleien und Drohungen in der Vergangenheit eher von muslimischer Seite, nahm in Umeå vor allem die rechtsextreme Nordische Widerstandsbewegung (NMR) Juden immer wieder gezielt ins Visier – mit Aufklebern, E-Mails, Hassbriefen, Hakenkreuzschmierereien und Flugblättern. »Wir wissen, wo ihr wohnt«, stand auf einigen. Der Verein erstattete Anzeige. Johan Eriksson, Chef der polizeilichen Ermittlungsbehörde, wiegelte ab: »Auch wenn die Nazi-Gruppe NMR in Umeå aktiver geworden ist, besteht kein Grund zur Beunruhigung.«

Kinder
Sjöberg sieht das anders. Die langjährige Vereinschefin hat in den vergangenen Wochen zahlreiche Gespräche geführt. Doch zum Schluss sei es »einfach zu viel« gewesen. »Jüdische Eltern fühlen sich nicht sicher. Unsere Kinder sollten nicht in einer Welt leben, in der sie sich dafür schämen müssen, wer sie sind, aber wir können keine Einrichtung aufrechterhalten, wenn die Leute Angst haben«, sagt sie. Anfang April beschloss der Verein daher, sich aufzulösen.

Der Abschied fällt Sjöberg schwer. Lange hat die gebürtige Israelin, die vor mehr als 30 Jahren der Liebe wegen in die »Stadt der Birken« zog, für diesen Ort gekämpft. Die ersten jüdischen Familien waren 1945 mit den »weißen Bussen« des Schwedischen Roten Kreuzes in die nordskandinavische Stadt gekommen, die meisten von ihnen Überlebende aus Deutschland, Polen, Ungarn und Tschechien. Sjöberg, deren Eltern selbst Schoa-Überlebende sind, wollte einen sichtbaren Platz für Umeås Juden schaffen – und einen Raum, in dem alle zusammenkommen können. Er sei auch deshalb so wichtig gewesen, weil es in der Stadt keine Synagoge gibt.

Als »Verlust für die Demokratie« beklagt die Historikerin Heléne Lööw den Rückzug der kleinen Gemeinde in der schwedischen Zeitung »Dagens Samhälle«. »Dass die Gesellschaft es nicht vermag, die Sicherheit für eine winzige Minorität zu gewährleisten, ist ein Armutszeugnis«, kritisiert Lööw. Sie ist nicht die Einzige, die sich empört. Der Bescheid aus Umeå schlug in schwedischen wie internationalen Medien Wellen und gibt der immer wieder aufflammenden Debatte über Antisemitismus und Minderheitenrechte neue Nahrung.

Es sei nun äußerst wichtig, dass sich die Gesellschaft auf die Seite des jüdischen Vereins stelle und ihn unterstütze, sodass er weiterbestehen könne, fordert Aron Verständig, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Schweden.

Eigeninitiative Es ist nicht das erste Mal, dass sich die jüdische Minderheit von Lokalpolitikern und der Gesellschaft im Stich gelassen fühlt. Viele erinnern sich an 2014, als Umeå Europäische Kulturhauptstadt wurde und es ein Leichtes gewesen wäre, die Juden der Stadt – immerhin eine von fünf offiziellen Minderheiten – in die Feierlichkeiten einzubeziehen. Dass die kleine Gemeinde damals überhaupt Jüdisches ins Kulturhauptstadtprojekt habe einbringen dürfen, verdankte sie vor allem ihrer Eigeninitiative.

Als »beklemmend und unverschämt« empfand Sjöberg auch den Eklat 2015 um das offizielle Gedenken an die Novemberpogrome: Der Lokalpolitiker Jan Hägglund, Chef der linksgerichteten Arbeiterpartei in Umeå, hatte Vertreter der Gemeinde damals nicht eingeladen mit der Begründung, »ihre Sicherheit nicht gewährleisten« zu können.

Mit Unbehagen erinnert sich Sjöberg an diesen Vorfall. Sie will nun für die Juden der Stadt einen zentraleren und daher leichter zu schützenden Raum suchen. Das Sicherheitsargument würde dann jedenfalls wegfallen.

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