Spanien

Wenn Judas-Puppen brennen

»Jüdisches Gesindel«: Tourismus-Werbung für ein antisemitisches Karnevalsspektakel Foto: peropalo

Spanien

Wenn Judas-Puppen brennen

Viele Osterbräuche auf dem Land haben antisemitische Züge. Doch die Bürgermeister streiten das ab

von Uwe Scheele  18.04.2011 16:31 Uhr

Um Pessach, wenn Spaniens Katholiken Ostern feiern, kann man außer den endlosen, mittelalterlich anmutenden Prozessionen vielerorts eigentümliche Volksbräuche erleben. So geht man in der kastilischen Provinz León am Karfreitag »Juden töten« (»vamos a matar judíos«). Gemeint ist, dass man eine Sangría trinken geht. Der Ursprung dieses Ausdrucks reicht nach Auskunft von José Manuel Pedrosa, Literaturdozent an der Universität Alcalá de Henares, bis ins 13. Jahrhundert zurück, als den Juden in christlichen Schmähschriften eine Kollektivschuld am Tod Jesu zugeschrieben wurde.

»Juden wurden besonders zu Ostern beleidigt, ihre Viertel überfallen und geplündert«, so der Experte für spanische Folklore und Feste. Möglicherweise wurde der Weinkonsum ausdrücklich genehmigt, um das aufgebrachte Volk zu beruhigen. Sangría, mit Zitronen und Orangen versetzter Wein, stünde für den Essig, der Jesus am Kreuz gereicht worden sei.

Unterbewusst Pedrosa meint, dieser Brauch, der auch in anderen Regionen Nordspaniens zu finden ist, spreche für die »Ignoranz und mangelnde Bildung der Volkskultur, aber weniger für eine antisemitische Haltung«. Die Madrilenin Anun Barriuso hält derartige Bräuche dagegen für den Ausdruck eines tief im Unterbewusstsein verwurzelten Antisemitismus.

Barriuso, die sich als Nachfahrin von Zwangskonvertiten, der sogenannten Anusim, für deren Rechte einsetzt, hat zusammen mit ihrem Mann, dem Geschichtslehrer José Manuel Laureiro, antijüdische Traditionen in der spanischen Festkultur untersucht. So ist die Verbrennung von Judas-Strohpuppen, wie sie an vielen Orten Spaniens vor Ostern geschieht, für sie ein weiterer Beleg dieser antisemitischen Haltung. »Der Verräter Judas steht für die Juden schlechthin«, erklärt sie. »In vielen Fällen wird die Strohpuppe vor der Verbrennung gesteinigt, beschimpft und aufgehängt.«

Gejohle Die antijüdischen Bräuche beschränken sich nicht auf die Karwoche. So wird im südwestspanischen Villanueva de la Vera zu Karneval eine Pero Palo genannte Puppe verurteilt, unter dem Gejohle der angetrunkenen Menge auf einem Esel durchs Dorf getrieben, gehenkt und verbrannt. Pero Palo, so auch der Name des »Fests«, ist eindeutig als Jude zu identifizieren.

Auch ein Bericht in der örtlichen Presse sprach noch in diesem Jahr davon, »dass es sich um einen Banditen oder jüdisches Gesindel« gehandelt habe. Das dreitägige »Fest« wird begleitet von antijüdischen Spottreimen. Trotzdem sieht Bürgermeister José Antonio Rodríguez Calzada keinen Grund zur Beunruhigung, denn der Esel habe keinen Schaden erlitten, und die Veranstaltung sei »eine lange Tradition, deren Ursprünge sich in der Geschichte verlieren«.

Ebenso geschichtsvergessen kommt das traditionsreiche Fest des Santo Niño de La Guardia in der Provinz Toledo daher. Es geht zurück auf den Prozess um einen angeblichen Ritualmord an einem christlichen Kind, der sich im Jahr 1480 ereignet haben soll. Folterverhöre der Kirche, an denen auch Großinquisitor Torquemada beteiligt war, führten 1491 zur Verurteilung und Hinrichtung von acht Juden und Konvertiten. Der Prozess diente als Rechtfertigung für das Vertreibungsedikt gegen alle Juden 1492.

Königshaus Bis heute gedenkt das Dorf La Guardia jedes Jahr mit einem fünftägigen Fest der Legende vom gemeuchelten heiligen Kind, 2005 war sogar Spaniens Königin Sofia Schirmherrin. Der zuständige Stadtrat der regierenden Sozialisten, Francisco Santiago, hat keine Probleme mit dem Fest, schließlich werde das heilige Kind von vielen Menschen verehrt. »Das Fest gibt es schon seit Hunderten von Jahren. Seine Ursprünge interessieren uns nicht, das hat mit Antisemitismus nichts zu tun«, sagt der Stadtrat sichtlich irritiert.

Es gibt viele Versionen der Legende vom Santo Niño, eine stammt von dem spanischen Barockschriftsteller Lope de Vega. Wie José Manuel Pedrosa nachgewiesen hat, wurde eine deutsche Übersetzung in Nazi-Deutschland aufgelegt. Vor mehr als zwei Jahren wurde dieses Fest in einem internationalen Seminar über Antisemitismus untersucht, das die jüdische Gemeinde Madrid veranstaltete. Der langjährige Kulturbeauftragte der Gemeinde, Uriel Macías, berichtet von Versuchen, an offizieller Stelle gegen das Fest zu intervenieren – bisher ohne Erfolg. »Dieser Brauch ist fürchterlich«, sagt auch José Manuel Pedrosa. »Aber es ist schwierig, so etwas abzuschaffen. Viele Leute sind sich des antisemitischen Gehalts nicht bewusst.«

Nach jüngsten Umfragen hat jeder dritte Spanier eine ablehnende Haltung gegen Juden. Wie ein Ende März veröffentlichter Bericht des Dachverbands Jüdischer Gemeinden Spaniens (FCJE) feststellt, manifestiert sich der Antisemitismus im Land vor allem verbal, in Redewendungen, die sich in der Vorstellungswelt eingeprägt haben.

Tel Aviv

Noa Kirel und Daniel Peretz heiraten mit »kleiner Feier«

Die Sängerin und der HSV-Torwart standen in Jaffa unter großen Sicherheitsvorkehrungen unter der Chuppa

von Nicole Dreyfus  13.11.2025

Ausstellung

Avantgardistin der Avantgarde

Berthe Weill förderte nicht nur die moderne Kunst der Jahrhundertwende, als Galeristin war sie selbst eine Schlüsselfigur. Eine Ausstellung in Paris ehrt die Pionierin

von Sabine Schereck  13.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  11.11.2025 Aktualisiert

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  11.11.2025

USA

Mehrgewichtig, zionistisch und stolz

Alexa Lemieux ist Influencerin in den sozialen Medien und zum Vorbild für viele junge jüdische Frauen geworden

von Sarah Thalia Pines  11.11.2025

Prag

Der Golem-Effekt

Seit mehr als fünf Jahrhunderten beflügelt das zum Schutz der Juden geschaffene Wesen aus Staub und Worten die Fantasie. Ein Blick zurück mit Büchern, Filmen und den »Simpsons«

von Sophie Albers Ben Chamo  11.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Wien

Österreichs Regierung mit neuer Strategie gegen Antisemitismus

KI-gestützte Systeme zum Aufspüren von Hate Speech, eine Erklärung für Integrationskurse, vielleicht auch Errichtung eines Holocaust-Museums: Mit 49 Maßnahmen bis zum Jahr 2030 will Wien gegen Antisemitismus vorgehen

 10.11.2025

Jerusalem

Zerstrittene Zionisten

Der Zionistische Weltkongress tagt zum 39. Mal seit seiner Gründung im Jahr 1897 durch Theodor Herzl. Doch das Treffen droht zum Fiasko für die Organisation zu werden. Die Hintergründe

von Joshua Schultheis  10.11.2025