Musik

»Weil die Jugend Rap liebt ...«

Esther Bejarano (92) Foto: dpa

»Hallo, hier ist Kutlu von der Microphone Mafia«, sagte die fremde Stimme am Telefon. »Da war ich entsetzt«, erzählt Esther Bejarano. »Ich dachte: Was will denn die Mafia von mir?« Die 92-jährige Musikerin und Auschwitz-Überlebende und der Kölner Musiker Kutlu Yurtseven von der Hip-Hop-Formation Microphone Mafia müssen beide lachen, wenn sie heute vom Beginn der Zusammenarbeit erzählen.

Mittlerweile wurde eine Freundschaft daraus, im Januar traten sie sogar zusammen auf Kuba auf. Auf Einladung des staatlichen Musikinstituts waren sie auf der Karibikinsel unterwegs. Mit dabei: als Bassist Esthers Sohn Joram Bejarano sowie Kutlus Bandkollege, der Deutsch-Italiener Rosario Pennino, genannt Rossi.

Das Missverständnis über die Mafia hatte sich damals recht schnell aufgeklärt. Kutlu erzählte Bejarano, dass Microphone Mafia eine antifaschistische Hip-Hop-Band ist, »die einzige Mafia, die die Welt braucht«, wie es in einer Selbstbeschreibung heißt. Die Gruppe war 1989 von einem Haufen Teenager in Köln-Flittard gegründet worden. Kutlu schlug der Sängerin eine Zusammenarbeit vor.

wahl »Ich wusste, dass Rap modern ist und die Jugend Rap liebt«, sagt Esther Bejarano. »Also habe ich zugesagt, damit wir unsere Idee an die Jugend weitertragen: zusammen gegen den Faschismus zu kämpfen.« Acht Jahre ist das her. Seitdem sind Microphone Mafia, Esther und Joram Bejarano unzählige Male gemeinsam aufgetreten.

Nun also Kuba. »Ich wollte schon immer einmal nach Kuba«, sagt Bejarano. Sie wollte die Menschen kennenlernen und sich überzeugen, dass es immer noch Sozialismus gibt. Bejarano ist Linke, für die Bundestagswahl wollte die DKP sie sogar als Kandidatin in Hamburg aufstellen. Sie sagte ab, auch weil ihre Kuba-Reise sie zu sehr mitgenommen habe. Auf Kuba gab sie Konzerte, traf Künstler und besuchte auch die kleine jüdische Gemeinde in Havanna.

»Ich bin eine glühende Antifaschistin und werde mein ganzes Leben dafür kämpfen, dass es nie wieder Faschismus gibt«, sagte Bejarano, als sie in der kubanischen Hauptstadt weilte.

Als Kind jüdischer Eltern 1924 in Saarlouis geboren, war Esther Bejarano ab dem Jahr 1941 in Neuendorf bei Fürstenwalde/ Spree interniert. Am 20. April 1943 wurde sie mit allen anderen Insassen des Arbeitslagers und mehr als 1000 weiteren Menschen nach Auschwitz deportiert. Dort überlebte sie, weil es ihr gelang, als Akkordeonspielerin in das Mädchenorchester aufgenommen zu werden. Später wurde sie nach Ravensbrück verlegt; während eines Todesmarsches gelang ihr die Flucht. Ihre Eltern und ihre Schwester wurden von den Nazis ermordet. »Meine Schwester Ruth wollte damals in die Schweiz flüchten, wurde aber aus der Schweiz nach Deutschland zurückgeschickt – und damit in den Tod.«

zeitzeugin Nach Kriegsende wanderte Bejarano zunächst nach Israel aus. 15 Jahre lebte sie da. »Unsere Idee war es, das Land gemeinsam mit den Palästinensern aufzubauen«, sagt sie. »Aber es gab eine andere, schlimme Politik.« Als ihrem Mann 1960 wegen Kriegsdienstverweigerung eine Gefängnisstrafe drohte, wanderten sie aus. »Es ist mir schwergefallen, nach Deutschland zurückzugehen«, sagt sie. »Denn Deutschland war und ist das Land der Täter.« Seit Ende der 70er-Jahre tritt Esther Bejarano als Zeitzeugin vor Schulklassen auf. Gemeinsam mit ihrer Tochter Edna und ihrem Sohn Joram gründete Esther Bejarano Anfang der 80er-Jahre die Gruppe Coincidence.

Immer wieder wurde sie angefeindet. Erst jüngst wehrte sich Bejarano vor Gericht gegen einen Mann, der sie auf Facebook beleidigt hatte: Sie habe mit den Nazis kollaboriert und »andere mit einem lachenden Auge in den Tod gehen« lassen. Bejarano bekam Recht. »So infam bin ich bisher noch nicht beleidigt worden«, hatte sie erklärt. Das sei auch eine Verunglimpfung all derer, »die in Auschwitz gewesen sind«.

Vor acht Jahren begann die Zusammenarbeit mit der Microphone Mafia. Kutlu und Rossi habe sie mittlerweile »eingeenkelt«, erklärt Bejarano lächelnd und sagt, dass nicht nur drei Generationen auf der Bühne stehen, sondern auch drei Religionen: »Juden, Christen und Muslime – und wir harmonieren wunderbar zusammen.« Kutlu ergänzt: »Das hätte nie funktioniert, wenn wir nicht gelernt hätten, uns über die Musik hinaus zu verstehen.« Er fügt hinzu: »Esther ist nicht nur Überlebende, sondern eine großartige Künstlerin!«

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  07.11.2025 Aktualisiert

Hurrikan Melissa

»Ich habe seit einer Woche nicht geschlafen«

Wie ein Rabbiner vom Wirbelsturm in Jamaika überrascht wurde – und nun selbst Betroffenen auf der Insel hilft

von Mascha Malburg  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

New York

ADL will Mamdani unter Beobachtung stellen

Die Anti-Defamation League erwartet vom neugewählten New York Bürgermeister nichts Gutes. Jetzt hat die jüdische Organisation angekündigt, man werde genau hinschauen

 05.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Essay

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025