Tschechien

Von Teplice bis Míkulov

Foto: PR

Tschechien

Von Teplice bis Míkulov

Ein neues Buch erzählt differenziert und berührend die Geschichte der Juden in Böhmen und Mähren

von Ralf Pasch  19.03.2020 16:03 Uhr

Wo liegt Nikolsburg? Und was mag ein Buch mit dem Titel Zwischen Prag und Nikolsburg erzählen? Der Untertitel erklärt nüchtern, dass es um Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern geht.

Juden lebten über Jahrhunderte zwischen Deutsch und Tschechisch sprechenden Bewohnern der »böhmischen Länder« im Herzen Europas. Viele beherrschten beide Sprachen, changierten privat wie beruflich zwischen diesen Lagern, die sich ab dem 19. Jahrhundert wegen des zunehmenden Nationalismus immer feindseliger gegenüberstanden.

Viele Juden wurden zu Vermittlern, in­nerhalb wie außerhalb der jüdischen Gemeinde. Diese spaltete sich zunehmend in ein deutsch-kulturelles und ein tschechisch-kultuerelles Lager, in religiöse Traditionalisten und Reformer sowie Zionisten unterschiedlicher Couleur.

Das Herz dieses Schlamassels, meint man gemeinhin, schlug in Prag. Doch das im Göttinger Verlag Vandenhoeck & Ruprecht gerade erschienene Buch bricht mit diesem Klischee. Jüdisches Leben im heutigen Tschechien war und ist mehr als Golem und Kafka.

Forschung Ein neunköpfiges internationales Team von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus Tschechien, Ungarn, den USA und Deutschland will »eine umfassende Geschichte der Juden der böhmischen Länder« erzählen, heißt es im Vorwort. Dieses Versprechen wird nach sechsjähriger Arbeit eingelöst.

Schon auf dem Cover bricht das Buch mit gängigen Sichtweisen: Es zeigt den Ausschnitt einer Postkarte aus der Zeit um 1900 mit einer Ansicht von Teplice/Teplitz in Nordböhmen. Das Kurstädtchen hatte bis zur Schoa ein reiches jüdisches Leben, die dortige Synagoge war bis zu ihrer Zerstörung eine der größten in Böhmen.

Wichtiger als Gebäude oder Zahlen und Fakten (an denen es im Buch freilich nicht mangelt) sind den Autoren Menschen und ihre Geschichten, die die große Geschichte greifbar machen.

Wichtiger als Gebäude oder Zahlen und Fakten (an denen es im Buch freilich nicht mangelt) sind den Autoren Menschen und ihre Geschichten, die die große Geschichte greifbar machen.

Ein solches Schicksal vermittelt sich über ein auf den ersten Blick harmloses Foto von 1947: Die aus der heutigen Ukraine stammende Gertrude Adler hält ihren kleinen Sohn im Arm. Man sieht die Nummer, die ihr in Auschwitz eintätowiert wurde.

Das Pendant zur weitgehend unbekannten jüdischen Kultur in Nordböhmen sind die jüdisch geprägten Dörfer und Städte in Mähren, wie Brünn mit Unternehmern wie den Tugendhats. Weniger bekannt ist Trebíc, wo eine jüdische Siedlung UNESCO-Weltkulturerbe ist. Das im Buchtitel verewigte Nikolsburg – tschechisch Míkulov – liegt in dieser Gegend.

Slánský-Prozesse Jüdisches Leben in Böhmen, Mähren und Mährisch Schlesien wies viele Besonderheiten auf. So erkannte die 1918 gegründete Erste Tschechoslowakische Republik jüdisch als Nationalität an, neben der deutschen und der tschechischen. Dieses Bekenntnis war nicht an die Religion gebunden, man konnte also auch in einem kulturellen Sinne jüdisch leben. Das Buch zeichnet jedoch kein verklärtes Bild des tschechoslowakischen Wegs, wirft etwa auch ein Licht auf die antisemitisch geprägten Slánský-Prozesse nach 1945.

Im Spannungsfeld zwischen deutscher und tschechischer Kultur entwickelte sich in den böhmischen Ländern eine sehr spezifische Ausformung des Jüdischen. Max Brods viel zitierter »Indifferentismus« war der Versuch, ein Wort für das Konzept zu finden, sich keiner Nationalität, keiner Sprache, keiner Kultur eindeutig zuzuordnen und trotzdem mit beiden Beinen mitten im Leben zu stehen. Das aktuelle Buch erzählt über diese Vielfalt, diesen Reichtum, der von den Nazis zerstört wurde.

Es ist diesem Buch zu wünschen, dass es viele Leser findet, wenn auch die grafische Gestaltung an einigen Stellen verbesserungsbedürftig ist. Auf einem Stadtplan von Prag etwa kann man gerade noch die Moldau erkennen. Solche Kleinigkeiten lassen sich heilen. Das Buch wird Ende dieses Jahres auf Englisch erscheinen, und im Frühjahr nächsten Jahres auch auf Tschechisch und Hebräisch.

Katerina Capková und Hillel J. Kieval (Hrsg.): »Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern«. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2020, 428 S., 70 €

Japan

Jüdisch in Fernost

Etwa 1500 Juden sind im Land der aufgehenden Sonne zu Hause. Koscheres Leben ist schwierig. Und sogar hier hat sich seit dem 7. Oktober 2023 einiges verändert

von Eugen El  01.05.2025

Bern

Schweizer Juden reagieren auf Verbot der Terrororganisation Hamas

Deutschland hat die Terrororganisation schon kurz nach dem Angriff vom 7. Oktober 2023 verboten. Die Schweiz zieht jetzt erst nach

 30.04.2025

Großbritannien

Nike hat es »nicht böse gemeint«

Der Sportartikel-Konzern hing zum London Marathon ein Banner auf, das aus Sicht von Kritikern die Schoa lächerlich gemacht hat. Jetzt hat sich das Unternehmen entschuldigt.

 29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Sport

Nach Anti-Israel-Eklat: Jetzt sprechen die Schweizer Fechter

Bei der Nachwuchs-EM der Fechterinnen und Fechter kommt es in Estland zu einer viel diskutierten Szene. Nun haben sich die verantwortlichen Schweizer erklärt

 28.04.2025

Fecht-EM

Schweizer Fechter schauen bei israelischer Hymne demonstrativ weg

Nachdem die U23-Mannschaft der Schweizer Fechter gegen Israel protestierte, äußert sich nun der Schweizer Fechtverband und verurteilt den Vorfall

von Nicole Dreyfus  28.04.2025

Großbritannien

Israelfeindliche Aktivisten stören London-Marathon

Mitten im London-Marathon kommt es zu einer Protestaktion gegen Israel. Zwei Aktivisten springen auf die Strecke und streuen rotes Pulver

 27.04.2025

Essay

Wir gehen nicht allein

Zum ersten Mal hat unsere Autorin mit dem »Marsch der Lebenden« das ehemalige KZ Auschwitz besucht. Ein Versuch, das Unvorstellbare in Worte zu fassen

von Sarah Maria Sander  27.04.2025

Frankreich

Serge Klarsfeld: »Wir müssen vorbereitet sein«

Der Holocaust-Überlebende und Nazi-Jäger hat in »Le Figaro« einen dringenden Appell veröffentlicht und erneut für rechte Parteien geworben. Das Judentum sei bedrohter denn je, glaubt er

 25.04.2025