Niederlande

Verschwörungstheorien in Den Haag

Sondierungsrunde: Uri Rosenthal, Geert Wilders und Job Cohen (v.l.) Foto: dpa

Es ist keine leichte Aufgabe, die Uri Rosenthal zurzeit hat. Im Namen der niederländischen Königin Beatrix eruiert der 64-jährige Professor der Verwaltungskunde seit den Parlamentswahlen Anfang Juni verschiedene Möglichkeiten einer Koalition. Die zersplitterte Parteienlandschaft und das komplexe Wahlergebnis machen daraus eine heikle Mission, zumal Rosenthal zunächst in Richtung einer rechten Regierung ermittelte. Anders als die rechtsliberale VVD wollten die Christdemokraten mit der rechtspopulistischen PVV von Geert Wilders jedoch nicht einmal verhandeln. »Unmöglich«, verkündete Rosenthal, selbst Fraktionsvorsitzender der Wahlsiegerin VVD im Senat, Ende vergangener Woche.

ambivalenz Nicht allein bei den Christdemokraten ist die PVV ein sensibles Thema. Gerade die niederländischen Juden stehen der islamfeinlichen Partei ambivalent gegenüber. Vielfach stößt die pauschale Verurteilung von Muslimen unter Juden auf starke Ablehnung. Manche jedoch sehen in der ausgesprochen israelfreundlichen Partei einen Bundesgenossen gegen den zunehmenden Antisemitismus. Eine Regierungsbeteiligung der PVV hätte in dieser Konstellation durchaus Auswirkungen auf das »Dreiecksverhältnis Muslime, Juden und Wilders«, so Ruben Vis, Sekretär des Dachverbands jüdischer Organisationen CJO. Auf der anderen Seite werde eine linke Regierung Israel wohl kritischer begegnen.

Ronny Naftaniel, Direktor des Israel-Dokumentations- und Informationszentrums CIDI, sieht die PVV dennoch kritisch. Nicht nur wegen der von Wilders einst vorgeschlagenen »Kopflappensteuer« (inzwischen wurde dieser Punkt widerrufen), sondern auch, weil die von der PVV propagierte Ein-Staaten-Lösung im Nahostkonflikt nicht die Position des CIDI sei. Den mächtigen Zuwachs der PVV spürt Naftaniel indes im eigenen Haus: Der Sprung von neun auf 24 Parlamentssitze ermöglicht auch CIDI-Mitarbeiter Wim Kortenoeven auf Listenplatz 22 den Sprung in die Zweite Kammer.

eklat Überschattet wurde die schwierige Regierungsbildung zuletzt von einem Eklat: Der RTL-Moderator Harry Mens orakelte in seiner Sendung »Business Class«, Uri Rosenthal habe mit dem sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Job Cohen und dem Amsterdamer PvdA-Chef Lodewijk Asscher – »alles jüdische Menschen«, raunte Mens – ein Abkommen getroffen. Demnach solle die VVD zusammen mit der PvdA, den linksliberalen D66 und GroenLinks regieren. Diese Information, so der Moderator weiter, habe er im Umfeld des Parlaments aufgeschnappt. Vor der Wahl hätte er damit nicht an die Öffentlichkeit gehen wollen.

Nach scharfen Protesten, nicht nur von jüdischer Seite, entschuldigte sich Mens und bezeichnete die Christdemokraten als Quelle des Gerüchts. CIDI-Chef Ronny Naftaniel sprach von einem »kranken Gedanken« und wunderte sich, »dass Mens damit einfach so wegkommt«. Der renommierte Publizist Theodor Holman indes forderte in seiner Kolumne: »Eine Verschwörung von Kolumnisten findet, dass Mens aus der Glotze verschwinden muss.«

Film

Ein bescheidener Held

»One Life« erzählt die Geschichte von Nicholas Winton, der Kindertransporte von der Tschechoslowakei nach Großbritannien organisierte

 29.03.2024

New York

Ex-Krypto-König Bankman-Fried soll für 25 Jahre ins Gefängnis

Noch vor zwei Jahren wurde Sam Bankman-Fried als Finanzgenie und Galionsfigur einer Zukunftswelt des Digitalgelds gefeiert. Nun soll er als Betrüger mehr als zwei Jahrzehnte hinter Gittern verbringen

von Andrej Sokolow  28.03.2024

Interview

Der Medienschaffer

Der Ausnahmejournalist und Unternehmer Roger Schawinski über Erfolg, Judenhass und den 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  28.03.2024

Nachruf

Joe Lieberman stirbt mit 82 Jahren

Fast ein Viertel Jahrhundert lang setzte er sich als Senator auch für jüdische Belange ein

von Imanuel Marcus  28.03.2024

USA

Bildhauer Richard Serra gestorben

Für mehr als 100 öffentliche Orte schuf er Skulpturen – von Philadelphia und St. Louis bis Bochum und Kassel

 27.03.2024

Moskau

Evan Gershkovich bleibt in Untersuchungshaft

Putin will den inhaftierten US-Journalisten gegen russische Gefangene auszutauschen

 26.03.2024

Glosse

Woher stammt der Minderwertigkeits-komplex vieler Schweizer gegenüber Deutschen?

Und was verbindet die Identitätskarte mit der Rappenspalterei?

von Nicole Dreyfus  25.03.2024

Schweiz

Antisemitismus-Problem an Schulen

Die Zahlen sind erschreckend, doch die Stadt Bern wiegelt ab. Und jüdische Eltern verlieren das Vertrauen

von Nicole Dreyfus  24.03.2024

Großbritannien

»Beste Wünsche für eine Refua Schlema«

Oberrabbiner Sir Ephraim Mirvis und das Board of Deputies wenden sich nach ihrer Krebsdiagnose an Prinzessin Kate

 24.03.2024 Aktualisiert