Er habe immer wieder »Mommy« und »Daddy« gerufen: Während der tödlichen Schüsse bei einer Parade zum Nationalfeiertag in den USA wurde der zweijährige Junge Aiden von seiner Mutter und seinem Vater getrennt. Helfer kümmerten sich um den blutverschmierten Jungen, der nach seinen Eltern rief. Doch der 37 Jahre alte Vater, Kevin McCarthy, und die zwei Jahre jüngere jüdische Mutter des Kindes, Irina McCarthy, befanden sich unter den sieben Todesopfern der Tat vom Montag in Highland Park, wie Behörden und Angehörige inzwischen bestätigten.
Auch auf der von Gerichtsmedizinerin Jennifer Banek mit stockender Stimme verlesenen Liste der Todesopfer standen die Namen der Eltern. Sie kamen aus Highland Park wie drei weitere Opfer, deren Namen auch von der Reform-Synagoge North Shore Congregation Israel bekannt gegeben wurden: Katherine Goldstein, 64, Jacquelyn Sundheim, 63, und Stephen Straus, 88. Einzig Nicolas Toledo-Zaragoza, 78, aus Morelos in Mexiko, stammte nicht aus dem stark jüdisch geprägten Viertel. Das siebte Opfer ist noch nicht identifiziert.
SCHOCK In einem Bericht des Nachrichtensenders CBS hieß es, Aiden sei im Chaos nach den Schüssen allein aufgefunden worden. Ein Paar habe den Jungen in der Obhut einer fremden Frau entdeckt, die aber offensichtlich unter Schock gestanden habe. Das Paar habe das Kind daraufhin mit sich genommen. Sein Foto wurde in den Stunden nach seinem Auffinden in Social-Media-Gruppen gepostet, um den Jungen zu identifizieren. Später sei Aiden dann von der Polizei an seine Großeltern, die Eltern seiner Mutter, Nina and Misha Levberg, übergeben worden. Freunde der Familie sagten, Aiden werde in der Obhut der Eltern mütterlicherseits, Nina und Misha Levberg, verbleiben.
Der mutmaßliche Amokschütze wurde gefasst und des Mordes in sieben Fällen angeklagt.
Sogleich wurde im Internet zu Spenden für Aiden aufgerufen. Auf einer »Gofundme«-Seite kamen bis Dienstagabend (Ortszeit) über 750.000 Dollar (rund 730.000 Euro) zusammen - deutlich mehr als die Zielsumme von 500.000 Dollar. Mehr als 13.200 Menschen hatten zu dem Zeitpunkt bereits gespendet.
»Im Alter von zwei Jahren wurde Aiden in die unvorstellbare Situation gebracht, ohne seine Eltern aufzuwachsen«, hieß es in dem Aufruf. Nun habe der Junge einen langen und schweren Weg vor sich, »um Stabilität zu finden und schließlich das Leben als Waise zu meistern«, schrieb die Verfasserin des Aufrufs, Irina Colon.
SCHÜTZE Inzwischen hat die Polizei den mutmaßlichen Amokschützen gefasst. Es handelt sich um den 21-jährigen Robert E. Crimo, der in Highland Park wohnte. Am Dienstag wurde der Mann des Mordes in sieben Fällen angeklagt. Dies seien nur die ersten von vielen Anklagen, wurde der Staatsanwalt des Bezirks Lake County, Eric Rinehart, zitiert. Polizeiangaben zufolge habe Crimo die Tat Wochen im Voraus geplant. Über das Motiv wurde noch nichts bekannt.
Bekannt wurde indes, dass Crimo ein örtlich bekannter Rapper sei. Er habe sich den Namen »Awake the Rapper« zugelegt. Videos, die er auf Youtube veröffentlicht hatte, und Lieder, die auf Spotify zu finden waren, sind jedoch inzwischen nicht mehr abrufbar. Auf Bildern, die er von sich gepostet hatte, erkennt man einen schmächtigen jungen Mann mit Bart und Tätowierungen im Gesicht. Über der linken Augenbraue steht das Wort »Awake« – »Erwachen«.
Einem Bericht der »Neuen Zürcher Zeitung« zufolge hätten Videos, die er auf seinem Profil gepostet hatte, durchaus alarmierend wirken können. In einem computergenerierten Video habe er ein Gewehr in der Hand gehalten. »Ich muss jetzt gehen, ich muss es einfach tun. Alles hat zu diesem Moment hingeführt, nichts kann mich stoppen, nicht einmal ich selbst«, habe eine Stimme im Hintergrund zu dramatischer Musik gesagt. In einem anderen Clip habe er gesagt: »Ich hasse es, wenn andere mehr Aufmerksamkeit als ich im Internet bekommen.«
SCHUSSWAFFEN Crimo war der Polizei bereits im Jahr 2019 aufgefallen, erklärte ein Polizeisprecher am Dienstag. Der Beschuldigte habe damals gedroht, »alle zu töten«, und ein Angehöriger habe die Polizei verständigt. Die Beamten hätten 16 Messer, einen Dolch und ein Schwert beschlagnahmt. Es habe damals jedoch keinen Anhaltspunkt auf Schusswaffen gegeben, so der Sprecher. Im gleichen Jahr sei der Polizei gemeldet worden, dass Crimo einen Selbstmordversuch unternommen habe.
Die Menschen des Chicagoer Vororts Highland Park stehen indes weiterhin unter Schock. Auch unter den 30 Verletzten befinden sich etliche jüdische Opfer. In der Nachbarschaft leben ebenso viele Israelis. Geplante Aktivitäten in den jüdischen Gemeinden wurden abgesagt. Einige der zahlreichen Synagogen kündigten Gedenk- und Solidaritätsgottesdienste an. hek/dpa