Polen

Ungleich vor dem Gesetz

Bereits zurückgegeben: ehemalige Jeschiwa in Lublin Foto: Gabriele Lesser

Polen

Ungleich vor dem Gesetz

Die Regierung in Warschau will die Rückgabe von Eigentum an die jüdische Gemeinde stoppen

von Gabriele Lesser  21.02.2012 09:36 Uhr

»Die Regierung in Warschau will Juden, Protestanten und russisch-orthodoxe Christen dafür bestrafen, dass die Katholiken sich der Korruption schuldig gemacht haben«, empört sich Piotr Kadlcik, der Vorsitzende des Jüdischen Gemeindebundes in Polen. »Für uns wäre das eine Katastrophe. Die jüdische Kommission hat noch nicht einmal die Hälfte aller Anträge abgearbeitet!«

Zwar hat Polen als einziges ehemaliges Ostblockland neben Weißrussland noch immer kein Reprivatisierungsgesetz beschlossen, doch seit Mitte der 90er-Jahre bekommen Kirchen und religiöse Gemeinschaften das von den Kommunisten zwangsverstaatlichte Eigentum zurück. Wo dies nicht möglich ist, wird eine finanzielle Entschädigung ausgezahlt.

Korruption Als 2010 die Medien immer häufiger von korrupten Machenschaften in der römisch-katholischen Vermögenskommission zu schreiben begannen, nahmen Polizei, Staatsanwaltschaft und Antikorruptionsbüro die Ermittlungen auf. Ein Jahr später wurde die Kommission stillschweigend geschlossen. Doch erst die linksliberale Gazeta Wyborcza machte den 53-seitigen Regierungsbericht publik, der das ganze Ausmaß des Betrugs nur erahnen lässt: Die Kommission bestand aus zwölf Vertretern des Episkopats und zwölf Vertretern des Innenministeriums.

Sie führten die Akten lediglich in Papierform, vergaßen, Eingangsstempel auf die Anträge zu drücken, den Wert einer Immobilie anzugeben, ihre Rückgabe zu vermerken oder ihre Entschädigung durch eine andere Immobilie. So bearbeitete die Kommission manche Anträge doppelt und dreifach. Die Akten sind weder beschriftet, noch haben sie ein Inhaltsverzeichnis, sodass heute nicht mehr nachzuprüfen ist, ob sie komplett sind. In 57 Fällen gingen die Akten komplett verloren.

Gutachten Die Vertreter des Staates akzeptierten grundsätzlich die Wertangaben der römisch-katholischen Kirche, obwohl sie eigene Gutachter hätten beauftragen können. Die Entscheidungen der Kommission waren endgültig und konnten nicht angefochten werden. In 22 Jahren wurde die Kommission kein einziges Mal kontrolliert. So gelang es ihr, nicht nur alle 3.036 Anträge auf Eigentums-Rückerstattung abzuarbeiten, sondern über 500 Anträge ein zweites Mal zu begutachten und der katholischen Kirche eine Entschädigung zuzusprechen. Nur in 142 Fällen gab es keine Einigung.

»Wir haben rund 5.000 Anträge eingereicht«, so Kadlcik, »aber davon sind allein 1.200 Friedhöfe.« Anders als bei der katholischen Kommission, die ihre Arbeit früher aufgenommen und inzwischen beendet hat, ist die jüdische gerade mal bei 42 Prozent aller Anträge angelangt. »Davon wurde rund die Hälfte abgelehnt«, klagt Kadlcik. »Jetzt will die Regierung, dass unsere noch offenen Anträge zivilrechtlich entschieden werden«, stöhnt er. »Wir müssten nicht nur einen gewissen Prozentsatz des Streitwertes in die Gerichtskasse einzahlen, sondern auch immer wieder Ortstermine im ganzen Land wahrnehmen.«

Instanzen Dabei könne man fest davon ausgehen, dass die Gerichte vor Ort immer gegen die jüdischen Antragssteller entscheiden würden. Man müsse also den Instanzenweg wählen. Am Ende würde wohl erst das Oberste Gericht ein akzeptables Urteil sprechen. »Aber die Kosten kann unsere kleine Gemeinde gar nicht tragen. Das ist eine offene Diskriminierung gegenüber der römisch-katholischen Kirche. Sollte die Regierung das tatsächlich beschließen, werden wir laut protestieren«, kündigt Kadlcik an.

Vergangene Woche hat sich Ronald S. Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC) und der World Jewish Restitution Organization (WJRO) in den Streit eingeschaltet. In einem offenen Brief appelliert er von New York aus an die Regierung in Warschau, das Recht auf Eigentum zu achten – auch das der religiösen Minderheiten des Landes, der Juden wie der nichtkatholischen Kirchen. »Die einst für alle eingerichteten Vermögenskommissionen sollen ihre Arbeit zu Ende führen können.«

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