Frankreichs Außenministerium, der Quai d’Orsay, ist in arger Erklärungsnot: Warum konnte eine junge Palästinenserin aus Gaza, die auf ihren Social-Media-Accounts offen gegen Juden hetzt, ein Visum und ein Stipendium für sozial Schwächere bekommen für ein Studium an der prestigeträchtigen Hochschule Sciences-Po in Lille?
Nour A. kam erst vor einigen Wochen nach Frankreich. Das französische Konsulat in Jerusalem, das Medienberichten zufolge direkt dem Büro von Außenminister Jean-Noël Barrot unterstellt ist, erteilte der 25-Jährigen ein Visum. Einem Bericht des Nachrichtenmagazins »Le Point« zufolge suchte Konsul Nicolas Kassianides die Stipendiaten persönlich aus. 2023 hatte A. den ersten Preis des vom französischen Kulturministerium ausgeschriebenen Wettbewerbs »Dis-moi dix mots à Gaza” (»Sag mir zehn Worte zu Gaza«) gewonnen, sie war für die Franzosen keine Unbekannte.
Zur Untermiete beim Rektor
A. bekam nicht nur ein Visum, sondern wurde auf Staatskosten aus dem Gazastreifen herausgeholt und nach Frankreich gebracht. Beim Rektor der Hochschule, Etienne Peyrat, höchstpersönlich wohnte sie zur Untermiete. Ein Fernsehteam vom Sender »RMC Info« machte bereits eine Reportage über die Studentin aus Gaza. Peyrat sagt darin: »Jeder muss seinen Teil leisten. Das ist ein Zeichen der Solidarität.«
Doch ihr Aufenthalt dürfte nun schneller zu Ende gehen als gedacht. Am Mittwoch teilte die Universität in Lille mit, die Palästinenserin werde noch vor Beginn ihres Masterstudiengangs wieder exmatrikuliert. Zudem habe man die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.
Denn zwischenzeitlich war bekannt geworden, dass A. sich auf X (ehemals Twitter) als Bewunderin Adolf Hitlers und als Verfasserin zahlreicher antisemitischer Posts hervorgetan hatte. So schrieb sie über Juden: »Tötet ihre Jungen und Alten. Habt kein Mitleid mit ihnen.« Gleichzeitig verlinkte sie das Video einer Rede Hitlers.
Am 7. Oktober 2023, dem Tag des Hamas-Massakers gegen Israelis, postete sie folgenden Tweet: »Wir müssen alles nur Mögliche tun, um die Menge des vergossenen Blutes so weit wie möglich auszugleichen.« Am selben Tag bat sie »unsere marokkanischen und algerischen Brüder, heute Abend in Paris Partys in der ihnen bekannten Art zu organisieren... mit Wanzen und Insekten« - ein unverhohlener Hinweis auf ein Judenpogrom. Zudem befürwortete A. am 9. Oktober 2023 öffentlich die Hinrichtung der nach Gaza verschleppten israelischen Geiseln.
Rektor Peyrat verteidigte sich. »Wir haben ihre akademischen Qualifikationen geprüft. Das Innenministerium hat uns gesagt, dass es sich mit den Autoritäten hinsichtlich der notwendigen Überprüfung in Verbindung setzen werde.« Er sieht sich nun selbst Anfeindungen und Drohungen ausgesetzt und steht seit zwei Tagen unter Personenschutz.
Außenminister: A. hat »hier nichts verloren«
Am Freitag sagte Außenminister Barrot im französischen Nachrichtensender »France Info«, jemand wie A. habe »hier nichts verloren, weder an der Sciences-Po noch sonstwo in Frankreich«.
Er kritisierte, dass weder die Überprüfungen durch seine eigenen Diplomaten noch durch die israelischen Stellen irgendwelche Hinweise auf eine antisemitische Gesinnung der Studentin zutage gefördert hätten. Er habe nun eine Untersuchung eingeleitet, um den Vorfall aufzuklären. Bis dahin würden keine weiteren Personen mehr aus Gaza nach Frankreich gebracht, machte Barrot klar.
Hitler-Verehrerin löschte ihre Konten
Nour A. hat zwischenzeitlich ihre Konten in den sozialen Netzwerk gelöscht. Doch ihre offene Hetze gegen Juden hat viele in Frankreich schockiert und erneut eine Debatte ausgelöst über den nach Ansicht vieler Franzosen zu laxen Umgang staatlicher Stellen mit Antisemitismus.
Die Affäre ist ein gefundenes Fressen für die Partei von Marine Le Pen, Rassemblement National, die die Regierung nun vor sich hertreiben kann, auch wenn Bildungsministerin Elisabeth Borne auf X verkündete: »Im Rahmen von Artikel 40 der Strafprozessordnung wurde Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet. Die Immatrikulation der Studentin wurde aufgehoben. Internationale Studierende, die solche Äußerungen tätigen oder verbreiten, haben in unserem Land keinen Platz. Die Regierung wird mit aller Härte vorgehen.«
Doch A. ist möglicherweise kein Einzelfall. Auch eine andere Studentin steht im Verdacht, sich ähnlich geäußert zu haben. Jean-Noël Barrot kündigte deshalb vorsichtshalber an, man werde bis zu 300 Gaststudenten einer genaueren Prüfung unterziehen.