Polen

Sichtbares Nichts

Das, was fehlt: »Welokropek« in der Warschauer Chlodna-Straße Foto: Reuters

In Warschau gibt ein Kunstwerk Rätsel auf: Drei riesige Auslassungspunkte (»Wielokropek«), in Klammern gesetzt, hängen im Zentrum der polnischen Hauptstadt über der Chlodna-Straße, an genau jener Stelle, an der sich in der Besatzungszeit ein Fußgängerüberweg aus Holz zwischen dem so genannten großen und kleinen Ghetto befand. Die Warschauer Juden nannten den Holzsteg »Brücke der Seufzer«, da sie von oben herab auf die Straße sahen, in der sich, zwischen den Ghettomauern, die freien Stadtbewohner bewegten.

Das Kunstwerk besteht aus einem Spezialkunststoff und muss regelmäßig aufgeblasen werden. Autorinnen des Projektes sind die Künstlerinnen Anna Baumgart und Agnieszka Kurant, betreut wird es vom Museum für die Geschichte der Polnischen Juden, das Geld dafür kommt von der Stadt Warschau und dem Goethe-Institut. Später soll das Kunstwerk auch in anderen Städten gezeigt werden – so etwa in Dresden.

In Warschau gehe es darum, sagt die 31-jährige Kurant im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen, das Tabu zu thematisieren, dass die nichtjüdische polnische Bevöl- kerung Warschaus »stummer Zeuge« des Holocausts war. »Dies ist für die polnische Gesellschaft nach wie vor eine Belastung, die auch dann nicht verschwinden wird, wenn die letzten Augenzeugen gestorben sind«, sagt Kurant, die selbst jüdische Wurzeln hat. Das Problem wandere ins Unterbewusste. Die Punkte deuten auf eine Auslassung hin, auf »verschwiegene Fragmente«. Überhaupt gründe jede nationale Kultur auch auf Tabus. Daher werde die Installation an anderen Orten der Welt, an denen sie gezeigt werden soll, eine gänzlich andere Bedeutung haben, als es in Warschau der Fall sei. »Die Installation ist kein Denkmal für die Holocaust-Opfer«, meint die Künstlerin entschieden. Überhaupt sei es eine Art »Anti-Denkmal – leicht und vergänglich«.

Und es lebt ein Eigenleben. So ist es bereits beschädigt worden, man musste eine der riesigen Klammern reparieren. Zwischenzeitlich war ein Punkt verschollen, so dass es kurz abgehängt wurde, um über die Medien danach zu suchen. Dieses Eigenleben stört die Künstlerinnen jedoch wenig, ganz im Gegenteil.

Ewa Toniak, Kuratorin des Projekts, bemerkt, dass die öffentliche Reaktion auf die Installation sich stark auf technische Fragen, etwa das Verschwinden oder den Zustand der Einzelteile, reduziert. »Es scheint, als könne diese Arbeit nie ganz vollendet werden, als dürfte an diesem Ort nichts mehr hängen«, sagt sie – und korrigiert sich sodann: »Es will dort nichts mehr hängen.«

Eine öffentliche Diskussion mit namhaften Wissenschaftlern am 28. Januar soll Raum zu noch weiteren Lesarten geben. Denn tatsächlich sind auch die Reaktionen auf das Kunstwerk unter den Warschauern sehr unterschiedlich. »Ich assoziiere es mit Zensur«, meint ein Warschauer im Forum der einflussreichen Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Ein anderer schreibt: Die Wiederherstellung der Erinnerung an Folter und Vernichtung werde wohl mitunter vom »höhnischen Gekicher aus dem Grab von Hitler und Konsorten begleitet: Höllischer Spott über die Nachkommen der Opfer, die so sehr ihrer Tragödie von vor Jahren gedenken möchten, dass sie aufs Neue die längst vernarbten Wunden am lebendigen Leib der Stadt aufschneiden«.

Wohlwollender äußert sich Dorota Jarecka, Redakteurin der Gazeta Wyborcza: Bei einer Installation aus aufgeblasenen Ballons wisse man zwar nicht, ob das Kunstwerk – anders als etwa einem Bronzedenkmal – am nächsten Tag noch da sein werde. »Doch wenn ich alle zwei Tage zur Chlodna-Straße fahre, um nachzusehen, ob es noch da ist, dann hatte das Projekt wohl irgendeinen Sinn.«

Rom

Achtjähriger getreten, geschlagen und bedroht, weil er eine Kippa trug

Der Täter zückte einen abgebrochenen Flaschenhals, als die Mutter und eine Ladeninhaberin ihn aufhalten wollten

 07.02.2025

Brüssel

Kurswechsel in Belgien?

Am Montag vereidigte König Philippe die neue Föderalregierung unter Führung des flämischen Nationalisten Bart De Wever. Nicht nur im Hinblick auf Nahost dürfte sich einiges ändern

von Michael Thaidigsmann  04.02.2025

Angouleme

Charlie-Hebdo-Karikaturist für Comic über Nazi-Raubkunst geehrt

Nach der Terrorattacke auf sein Satire-Blatt vor zehn Jahren wurde Renald Luzier Comic-Buch-Autor

 03.02.2025

Berlin

Friedman: Totalitäre Regime verbreiten Fantasiegeschichten

Der Publizist sieht die westlichen Demokratien zunehmend unter Druck

 03.02.2025

Andorra

Kleiner, sicherer Hafen?

Die Toleranz hat Geschichte im Zwergstaat zwischen Frankreich und Spanien. Aber die jüdische Gemeinschaft darf keine erkennbare Synagoge haben

von Mark Feldon  02.02.2025

Italien

Kaffeeklatsch in Cinecittà

In den 50er- und 60er-Jahren kam Hollywood in die Ewige Stadt. Stars wie Marlon Brando, Audrey Hepburn und Charlie Chaplin zogen nach Rom. Ein neues Buch liefert den Tratsch dazu

von Sarah Thalia Pines  02.02.2025

Großbritannien

Lady Berger und Lord Katz

Zwei jüdische Labour-Abgeordnete wurden zu Mitgliedern des Oberhauses ernannt

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  29.01.2025

Australien

Sydney: Polizei vereitelt Sprengstoffanschlag auf Synagoge

In Sydney wurde ein mit Powergel beladener Wohnwagen sichergestellt - zu den Hintergründen wird noch ermittelt

 29.01.2025

Berlin

Wie ein Holocaust-Überlebender aus der Ukraine auf Deutschland blickt

Er überlebte den Holocaust - und muss nun erleben, wie seine Heimatstadt Odessa von Russland bombardiert wird. An diesem Mittwoch hat Roman Schwarzman die Chance, im Bundestag einen Appell an den Westen zu richten

von Bernhard Clasen  29.01.2025