USA

Sederteller ohne Lammknochen

Empfiehlt, auf tierische Lebensmittel zu verzichten: Werbekampagne von JewishVeg Los Angeles Foto: privat

Eigentlich sollte in der Beth-Cha­yim-Chadashim-Synagoge in Los Angeles in diesem Jahr zum zweiten Mal ein veganer Seder stattfinden. Die Organisatoren zeigten sich zwar traurig darüber, dass dies aufgrund der Corona-Pandemie nicht möglich ist, aber sie waren nicht vollkommen überrascht.

»Was wir zurzeit durchmachen, ist symp­tomatisch dafür, wie wir die Welt und die Natur und vor allem Tiere behandelt haben«, findet Alicia Albeck, eine der Vorsitzenden von JewishVeg Los Angeles. Die Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, die jüdische Gemeinschaft über vegane Ernährung und ethisches Verhalten zu informieren.

Die 58-jährige Albeck hat erst vor sechs Jahren damit aufgehört, tierische Produkte zu verzehren − doch sie spricht von ihrer Lebensweise mit der Überzeugungskraft und dem Eifer einer Missionarin. »Wenn Sie nicht an Diabetes erkranken wollen, wenn Sie nicht an Krebs erkranken wollen, wenn Sie keinen Herzinfarkt bekommen wollen, dann verzichten Sie auf tierische Lebensmittel«, proklamiert sie.

überzeugung Ihren aus Israel stammenden Ehemann, mit dem sie seit 30 Jahren verheiratet ist, hat Albeck allerdings noch nicht bekehren können. »Zu Hause ist alles 100 Prozent vegan. Wenn wir ins Restaurant gehen, auch. Doch mein Mann ›betrügt‹ uns manchmal mit Freunden«, sagt sie augenzwinkernd.

Beim veganen Seder geht es um eine Befreiung, die auch Tiere einschließt.

Die aus Argentinien stammende Tagesmutter versucht bei ihren Sedern, ihre überwiegend aschkenasischen, Fleisch essenden Gäste zufriedenzustellen, indem sie vegane Versionen beliebter Gerichte wie Gefilte Fisch oder gehackte Leber auftischt.

Für Ersteres empfiehlt Albeck, Tofu oder veganen Thunfisch in eine Fischform zu pressen und nach dem Stürzen etwas Seetang darauf zu legen, »damit es fischiger aussieht«, sagt sie. Gehackte Leber könne man sehr gut aus Erbsen, Pilzen und Linsen nachahmen.

Kreativität Rabbi Jonathan Klein, der Vorsitzende des rabbinischen Beratergremiums von JewishVeg, rümpft über solch fehlgeleitete Kreativität die Nase.

Für ihn geht es bei der Entscheidung, auf tierische Lebensmittel zu verzichten, nur um Werte und ethisches Verhalten − »und keinesfalls darum, ekelhafte Ersatzprodukte zu konsumieren«, sagt der 51-Jährige.

Klein leitete im vergangenen Jahr JewishVegs ersten veganen Seder in Los Angeles. Dabei ging es nicht nur ums Essen. Auch die Rituale nach einer veganen Haggada drehten sich um den Veganismus und seine Beziehung zum Judentum.

pflanzen Da Seder Abfolge heißt, ging wie bei den traditionellen Pessachfeiern alles der Reihe nach. Dass Karpas und Maror, die beiden ersten Komponenten des Sedertellers, pflanzlich sind, versteht Klein als ein Zeichen dafür, dass sich der Mensch von Pflanzen ernähren könnte − so wie die ersten Generationen in der Tora. Erst mit Noah habe der Fleischkonsum Einzug gehalten, so Klein.

Die vier Gläser Wein symbolisierten gleichzeitig den für Veganer frustrierenden Stand der Dinge sowie die Hoffnung, ihn überwinden zu können. Das Händewaschen wird als Auslegung des Gebots, den eigenen Körper zu ehren, interpretiert.

Die vier Fragen standen unter dem Motto: »Warum haben wir uns zu einem veganen Leben entschlossen?« Es gehe letztendlich »um einen Begriff der Befreiung, der auch Tiere einschließt«, fasst Klein zusammen.

massentierhaltung Der Zusammenhang zwischen dem Schicksal der Israeliten in Ägypten und Tieren in Massentierhaltung ist auch Lisa Apfelberg (48) wichtig. Die Direktorin der jüdischen Tierschutzorganisation Shamayim lebt seit etwa 16 Jahren vegan.

»Damals lernte ich mehr über die Zustände in der Milch- und Eierproduktion und wie Tiere dort behandelt werden«, erinnert sie sich.

Bereits als Sechsjährige wurde sie Vegetarierin. Ihre Familie wohnte damals im Norden Kaliforniens. Apfelberg erinnert sich genau, wie sie zum Lake Tahoe unterwegs waren, einem beliebten Skigebiet: »Mir war langweilig, und deshalb stellte ich viele Fragen.« So erfuhr das neugierige Kind, dass Fleisch von toten Tieren stammt, und beschloss, ab sofort keines mehr zu essen.

Tierschutz Die Tierschutzorganisation Shamayim, 2012 von Rabbi Shmuly Yanklowitz ins Leben gerufen, hat mit der Schauspielerin Mayim Bialik, bekannt aus den Fernsehserien Blossom und Big Bang Theory, sowie dem Musiker Matisyahu berühmte Mitbegründer.

Die Ziele der Organisation ähneln denen von JewishVeg: Es geht darum, die jüdische Gemeinschaft über Veganismus aufzuklären. Apfelberg lebt mit ihrem Mann und zwei gemeinsamen Kindern in Austin, Texas. Anders als bei Alicia Albeck sind in Apfelbergs Haushalt alle vegan − sogar ihre beiden Hunde.

Ebenso wie Albeck hat auch sie früher oft geschmacklich vertraute Gerichte nachgekocht, um ihren Fleisch essenden Sedergästen die Angst zu nehmen. Nach dem Essen fragte sie dann: »Wenn diese Gerichte genauso gut schmecken, warum dann noch tierische Produkte in ihnen verwenden?«

Kürzlich habe sie »gebeizten Lachs aus Karotten gemacht«, erzählt Apfelberg. »Wenn man die Möhren einlegt und wie Fisch würzt, dann schmecken sie wie das Original«, freut sie sich.

fortschritt Wie bei den meisten veganen Juden liegt auch auf Apfelbergs Sederteller eine geröstete Rote Bete anstatt des Seroa, des Lammknochens. »Ganz am Anfang haben wir einen Knochen aus Alufolie gebastelt«, erinnert sich Apfelberg. Die rotbraune Knolle sei eindeutig ein Fortschritt.

Auch in der Haggada geht es um Veganismus und Judentum.

Laut Rabbiner Klein, der vor einiger Zeit mit Faith Action for Animals seine eigene Tierrechtsorganisation gegründet hat, gibt es für diesen Austausch eine talmudische Berechtigung. Er beruft sich auf eine Interpretation des Traktats Pessachim 114b. Demnach sollte das Sedermahl insgesamt vegetarisch sein. »Das Ei ist ein größeres Problem, und ich habe keine Ahnung, wie man darum herumkommt«, gibt Klein zu, der seit elf Jahren vegan lebt.

»Wenn es etwas Geröstetes sein soll in Anlehnung an das Ei, ist eine Kartoffel gut«, erklärt Apfelberg, die in diesem Jahr unter Gleichgesinnten feiern wollte. »Man kann einen Feiertag, der die Befreiung zum Thema hat, nicht besser begehen als ohne tierische Lebensmittel«, findet sie.

Die Organisation JewishVeg stellt in diesem Jahr unter www.jewishveg.org/vegan-passover ihre vegane Haggada kostenfrei zum Download zur Verfügung.

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