Zu Rosch Haschana hat Ronald Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC), einen eindringlichen Appell an die Einheit der jüdischen Gemeinschaft gerichtet. In einer Videobotschaft wandte sich der langjährige Funktionär direkt an Juden weltweit und warnte vor zunehmenden Spaltungen innerhalb der eigenen Reihen.
»Ich kann es nicht stark genug betonen: Ob Sie orthodox, konservativ, reformiert oder völlig ungebunden sind, ob Ihr Judentum ein starker Teil Ihres Lebens und Ihrer Identität ist oder ob es überhaupt nichts bedeutet: Unsere Stärke als Volk und unsere Sicherheit in dieser gefährlichen Welt liegt in unserer Einheit als Juden«, erklärte Lauder in seiner Ansprache. Der WJC-Präsident, der 100 jüdische Gemeinschaften weltweit vertritt, bezeichnete es als die Ehre seines Lebens, diese Position zu bekleiden.
Lauder thematisierte bewusst nicht den andauernden Krieg in Israel und Gaza oder die damit verbundene Welle des Antisemitismus, sondern konzentrierte sich auf ein anderes Phänomen: »Ich möchte heute über etwas anderes sprechen: die Spaltungen, die wir innerhalb der jüdischen Gemeinschaft sehen.« Diese inneren Divisionen bereiten dem sichtlich gealterten, aber weiterhin weltweit aktiven Lauder große Sorgen.
Abweichende Meinungen
»Es gibt genug Menschen außerhalb der Gemeinschaft, die uns schaden wollen. Wir können es uns absolut nicht leisten, Spaltungen innerhalb unseres eigenen Volkes zu schaffen«, warnte er eindringlich. Diese Einheit habe schon immer die Grundlage jüdischer Stärke gebildet.
Der WJC-Präsident berichtete von seinen Begegnungen mit Juden unterschiedlichster Ausrichtungen: »Auf meinen Reisen zu Gemeinden auf der ganzen Welt in den vergangenen 40 Jahren habe ich Juden von links und rechts getroffen. Orthodoxe Juden, säkulare Juden, Juden, die sich um Israel sorgen, und Juden, die nicht einmal an das glauben, wofür Israel steht.« Dennoch sei er stets überzeugt gewesen: »Was auch immer Ihre Überzeugungen sind, Sie sind immer noch Juden.«
Besonders eindringlich wandte sich Lauder an jüdische Familien und warnte vor einer vorschnellen Verurteilung abweichender Meinungen: »Lasst uns einander nicht nach dem beurteilen, was wir sagen oder denken, besonders nicht Familie und Freunde. Selbst wenn Ihr Kind ›Free Palestine‹ ruft oder etwas anderes, womit Sie absolut nicht einverstanden sind: Erinnern Sie sich daran, dass sie versuchen, ihre Unabhängigkeit zu zeigen. Sie werden lernen, während sie wachsen.«
Jüdische Flamme im Herzen
Diese Haltung führte Lauder auf strukturelle Probleme zurück: »Sie sind auch ein Produkt eines kaputten Bildungssystems, das seit Jahren Studenten gegen Israel indoktriniert.« Für das kommende Jahr 5786 nach dem jüdischem Kalender rief er dazu auf, sich auf die Reform dieses Systems zu konzentrieren: »Es mag zu spät für diese Generation sein, aber es ist nicht zu spät für die Zukunft.«
Der 81-jährige Lauder sprach auch über alte Traditionen: »Es gab einen alten chassidischen Glauben, wonach jeder Jude eine jüdische Flamme in seinem Herzen hat. Manchmal ist diese Flamme mit Staubschichten bedeckt, die sich über die Jahre ansammeln. Manchmal kann diese Flamme kaum erkannt werden, aber sie brennt noch und geht niemals aus.«
Seine eigene jüdische Identität sei erst im Alter von 38 Jahren voll erwacht, berichtete der WJC-Präsident: »Es geschah, als Kurt Waldheim, der ehemalige UN-Generalsekretär, der über seine Nazi-Vergangenheit gelogen hatte, gerade zum Präsidenten Österreichs gewählt worden war, als ich dort als Botschafter ankam. Es war meine erste Begegnung mit Antisemitismus, die die jüdische Flamme in meinem Herzen entzündete - eine Flamme, die mit jedem Jahr nur stärker geworden ist.«
Stolz auf jüdische Leistungen
Mit Blick auf die geringe Zahl der Juden weltweit äußerte sich Lauder stolz über deren Beitrag zur Weltgeschichte: »Wir sind so wenige auf der ganzen Welt.« Die Liste der Errungenschaften, die das jüdische Volk der Welt gegeben habe, trotze der Logik.
Für das Jahr 5786 formulierte Lauder sowohl persönliche als auch kollektive Wünsche: »Wenn Sie mit Ihrer Familie in die Synagoge gehen, oder auch wenn Sie nicht einmal einen Fuß in eine Synagoge setzen: Sie sind immer noch Juden. Mein Wunsch für Sie alle ist ein Jahr guter Gesundheit und großer Freude, ein Jahr der Erfüllung.«
Auch wünschte Lauder allen Juden »ein Jahr, in dem wir als ein stolzes Volk zusammenstehen. Denn wenn wir füreinander einstehen, wenn wir einander als Brüder und Schwestern und als Familie verteidigen, kann uns niemand verletzen.«
Abschließend verband Lauder den Wunsch nach Einheit mit der Hoffnung auf ein Ende der aktuellen Krise: »Möge 5786 unser größtes Jahr der Einheit werden, aber es wird auch das Jahr sein, in dem die Geiseln nach Hause kommen.« Seine Rede schloss er folgendermaßen: »Am Yisrael Chai!«