Luxemburg

Reflexion über Kollaboration

Ausstellungsplakate Foto: Claude Piscitelli / Plakate: Kontext.lu

Im alten Stadthaus von Differdingen, der drittgrößten Stadt Luxemburgs im Süden des Landes, prangt über den Ausstellungstafeln bedrohlich ein Reichsadler. Ein gelber Judenstern, überschrieben mit dem Wort »Judenrein« in Frakturschrift, gibt den Titel der Ausstellung vor, die die Verfolgung und Deportation der Juden in Differdingen vom 10. Mai 1940 bis August 1942 nachzeichnet. Sie dokumentiert dabei auch die Kollaboration von Differdingern und bezieht so implizit Position in der Auseinandersetzung im Großherzogtum über die »eigene« Beteiligung zur Zeit der deutschen Besatzung.

Dabei erweist sich die viele Jahrzehnte vorherrschende Wahrnehmung in Luxemburg, ausschließlich Opfer Deutschlands und damit in keiner Weise mitverantwortlich für die Schoa zu sein, immer deutlicher als Fiktion.

HistorikerkoMmission Brüchig war diese Sichtweise schon zuvor geworden: Obwohl der ehemalige Premier Jean-Claude Juncker es bis zum Ende seiner Amtszeit hinausgezögert hatte, sich im Namen Luxemburgs offiziell für die Kollaboration zu entschuldigen, war er doch genötigt, eine Historikerkommission einzusetzen. Zum Jahresende will sie ihren Bericht über die Zeit der deutschen Besatzung und den Umfang der Luxemburger Mitwirkung vorlegen.

Dennoch war es in Differdingen für das ehemalige Ratsmitglied Michel Braquet und den Historiker Cédric Faltz kein leichtes Unterfangen, die Gemeinde zu überzeugen, sich ihrer Geschichte zu stellen. Durch ihre Hartnäckigkeit erhielten sie Rückendeckung und Faltz verbrachte Monate lang in den Archiven in Luxemburg und Koblenz, um die Schicksale der aus Differdingen deportierten Juden zu recherchieren.

»Die kommunale Behörde hat mit Hilfe ihres Bürgermeister mit der deutschen Besatzungsmacht kollaboriert und durch ihren Übereifer die Nationalsozialisten bei ihren grausamen Taten unterstützt«, lautet sein Fazit.

Listen Tatsächlich hatte die Gemeinde Differdingen bereits im vorauseilenden Gehorsam eine Liste aller dort ansässigen Juden angefertigt. Die Informationen, die Differdinger an andere Differdinger weitergegeben haben – etwa, indem lokale Polizisten bereits ab August 1940 Nachbarschaftsumfragen durchführen, um Juden ausfindig zu machen – haben nach und nach erlaubt, dass jüdisches Eigentum konfisziert und Menschen deportiert werden konnten. Ihrem Eifer ist es zu verdanken, dass eine Liste all der Leute, die das Land nach dem September 1939 verlassen haben, angefertigt wurde.

In Differdingen ist damit die Kollaboration weiter gegangen als in anderen Gemeinden. Denn die Einwohner der Südgemeinde haben ihrer Verwaltung schon vor der deutschen Besatzung nicht nur die Namen, sondern auch die Religionszugehörigkeit der jüdischen Auswanderer mitgeteilt. Und sie haben ihnen »gemeldet«, welche Familienmitglieder noch in Differdingen geblieben sind. Bedingt durch eine starke Einwanderungswelle aus Deutschland nach Erlass der Nürnberger Gesetze lebten 1940 rund 90 Juden in Differdingen.

Die Reklameschilder, die die Stahlarbeiterstadt noch vor dem Krieg zierten, lauten: »Hôtel du Parc« (Inh. Moyse-Block), »Grand Bazar G. Nussbaum«, »Grands magasins Sternberg Frères« oder »Maison Moderne E. Lazard«. Am 6. August 1942 war die Stadt nach NS-Terminologie »judenrein«.

Auf 15 Tafeln (deutsch-französisch) und in einem Katalog hat Faltz seine Erkenntnisse zusammengetragen, die den neu gewählten grünen Bürgermeister der Stadt anlässlich der Ausstellungseröffnung zu einer historischen Geste veranlassten. Roberto Traversini benannte als politischer Repräsentant erstmals in der Geschichte Luxemburgs die ganze Tragweite der NS-Kollaboration und entschuldigte sich öffentlich im Namen Differdingens.

Meilenstein Mitglieder der Jüdischen Gemeinschaft nahmen seine Geste überwiegend positiv auf. Der Bürgermeister habe mit seiner Rede einen Meilenstein gesetzt, so meinte der Präsident von »MemoShoa Luxembourg«, Henri Juda. Ende Dezember wird die Historikerkommission dem neuen Premierminister Xavier Bettel ihren Abschlussbericht zur Kollaboration Luxemburgs während der NS-Zeit vorlegen. Ob dann die Zeit endlich reif ist für eine offizielle Entschuldigung Luxemburgs?

Die Ausstellung »Als Differdingen ›judenrein‹ wurde« ist noch bis zum 2. November im Alten Stadthaus in Differdingen zu sehen und wird danach als Wanderaustellung an verschiedenen Orten in Luxemburg gezeigt.

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025

Imanuels Interpreten (13)

Herb Alpert: Der Universalkünstler

Vom Trompeter zum Philantropen: Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Kalifornien erreichte in den 90 Jahren seines bisherigen Lebens viel

von Imanuel Marcus  10.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  10.09.2025 Aktualisiert

Südafrika

Unvergessliche Stimme

Die Schoa-Überlebende Ruth Weiss hat sich als Journalistin, Schriftstellerin und Kämpferin für Menschenrechte einen Namen gemacht. Sie wurde 101 Jahre alt. Ein Nachruf

von Katrin Richter  10.09.2025

Belgien

Aus der Straße des Antisemiten wird die Straße der Gerechten

In Brüssel gibt es jetzt eine Rue Andrée Geulen. Sie ist nach einer Frau benannt, die im 2. Weltkrieg mehr als 300 jüdische Kinder vor den deutschen Besatzern rettete. Doch bei der Einweihung herrschte nicht nur eitel Sonnenschein

von Michael Thaidigsmann  08.09.2025