USA

Rabbi for President

Sohn einer katholischen Mutter und eines muslimischen Vaters: Rabbi Dario Hunter (36) Foto: Daniel Killy

Dario Hunter ist so etwas wie die Personifizierung von Multikulti: Sohn einer afroamerikanischen Mutter und eines iranischen Im­migranten, schwul – und der erste Rabbiner muslimischer Herkunft, der in den USA ordiniert wurde. Der 36 Jahre alte Jurist, der nach eigenen Angaben neben der amerikanischen Staatsbürgerschaft auch die israelische besitzt, will Donald Trumps Nachfolger werden. Bis vor einigen Jahren war er noch bei den Demokraten – doch Mitte Februar reichte er bei Amerikas Grünen seine Kandidatur für das Amt des Präsidenten ein.

Eigentlich ist Hunters Geschichte ein modernes Märchen von Diversität und Toleranz. Er wäre der ideale Hoffnungsträger für das junge, gut ausgebildete Amerika und alle Unterprivilegierten und Beladenen zugleich – wäre da nicht die Sache mit Israel, auf die er später zu sprechen kommen wird.

»Offenbar war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort.«Dario Hunter

»Ich bin in Jersey City aufgewachsen«, sagt er. »Als ich klein war, war das eher ein Slum. Ich wuchs in einem ziemlich rauen Umfeld auf. Ich besuchte unter anderem eine muslimische Schule, lernte etwas Arabisch und den Islam kennen – aber es war nie so ganz die Religion, die mich packte. Da meine Mutter katholisch war, ging ich später auch auf eine katholische Schule. Doch irgendwann begann mich das Judentum zu interessieren. Es war die einzige monotheistische Religion, die ich noch nicht kannte. Je mehr ich über das Judentum lernte, desto klarer wurde mir, dass am Ende des Lernens der Übertritt stehen würde.«

Konversion Hunter konvertierte zunächst nach reformjüdischem Standard. Später trat er dann auch vor einem orthodoxen Beit Din in Detroit über.

Allerdings kam es in jenem orthodoxen Umfeld in Detroit, in dem Hunter damals lebte, bald zum Konflikt, als ein Rabbiner ihn geradeheraus fragte, ob er schwul sei. Wenn ja, dann müsse das untersucht werden, und es könne die Aberkennung des Übertritts bedeuten.

»Das Gefühl, damals auf so ein Detail reduziert zu werden, ist zu einem meiner Hauptmotive für mein Rabbinersein geworden«, erzählt Hunter. »Ich möchte durch mein seelsorgerisches Handeln vermeiden, dass Menschen sich jemals so klein fühlen müssen, wie ich es damals tat.«

Die Erfahrungen aus jener Zeit in Detroit veranlassten Hunter, das Judentum intensiver zu studieren – und sich zum Rabbiner ausbilden zu lassen. »Ich hatte eigentlich nicht vor, eines Tages tatsächlich vor einer Gemeinde zu stehen – das passierte einfach«, erzählt Hunter. »Offenbar war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort.«

Er redet schnell, ohne größere Pausen zwischen den Gedanken, es sprudelt aus ihm heraus. Man merkt, er ist davon überzeugt, dass er etwas zu sagen hat. Auch in Sachen Judentum. So erhielt Hunter 2012 am Jewish Spiritual Leaders Institute seine Smicha.

Die Ausbildung erfolgt online und dauert ein Jahr, erst bei der Ordination lernen die Studierenden einander kennen. Abschlüsse dieser liberalen Einrichtung, gegründet 2010 von Steven Blane, werden weder von der Conservative Rabbinical Assembly noch von der Reform Central Conference of American Rabbis anerkannt. Gleichwohl führen deren Absolventen Trauungen oder Beerdigungen durch und halten Gottesdienste.

entlassung Es ist also nicht weiter erstaunlich, dass Hunter sich nicht als orthodox, sondern als liberal bezeichnet – was auch mit seinen Detroiter Erfahrungen zu tun hat. Bis vor Kurzem war er Rabbiner der Ohev-Tzedek-Shaarei-Torah-Gemeinde in Youngstown im US-Bundesstaat Ohio, wo er zurzeit lebt. Doch er wurde entlassen.

Hunter meint, es habe »an der Sache mit Israel« gelegen. »Ich hatte gegenüber einer Zeitung gesagt, die Vereinigten Staaten dürften keinerlei Staaten unterstützen, die die Menschenrechte verletzen – wie Israel oder Saudi-Arabien. Das führte zu einem Aufschrei in der Gemeinde, und ich wurde um Stellungnahme gebeten, wie ein Rabbiner nur eine solche Äußerung von sich geben könne. Aber ich bin der Meinung, Menschenwürde und Menschenrechte stehen allen zu, nicht nur Juden. Es stellte sich also heraus: Wer Israel kritisiert, der kann nicht glaubwürdig Vertreter einer jüdischen Gemeinde sein. Ich halte das für fatal. Gerade wir Juden sollten doch dafür einstehen, die Menschenrechte zu verteidigen.«

Den Einwand, dass er als kritischer Schwuler zwar im – seiner Ansicht nach – menschenrechtsverletzenden Israel leben könne, er jedoch in den von ihm verteidigten Palästinensergebieten und Gaza massiv bedroht wäre, ignoriert Hunter.

Die Gemeinde hat sich von ihm getrennt, weil er ein hohes Amt anstrebt.

Bei Ohev Tzedek-Shaarei Torah bestreitet man, dass man Hunter aus den von ihm genannten Gründen vor die Tür gesetzt habe.
Manche meinen allerdings, auch die Gemeinde habe sich in dieser Angelegenheit nicht gerade korrekt verhalten. So wurde eine E-Mail bekannt, in der Bruce Zoldan, einflussreiches Mitglied der Gemeinde, schrieb: »Ich werde (Hunter) weiterbezahlen, wenn er mir verspricht, in Ramallah eine Schwulenbar für ehemalige Muslime jüdischen Glaubens zu eröffnen.«

Zoldan entschuldigte sich zwar für »den missglückten Versuch, durch Humor Hunters Heucheleien zu entlarven«, nahm aber an seiner inhaltlichen Kritik nichts zurück.

Die Gemeinde selbst betont, man habe sich von Hunter getrennt, weil er ein hohes nationales Amt anstrebe, das sich nicht mit seiner Tätigkeit als Rabbiner verbinden ließe.

überzeugung Mittlerweile amtiert Rabbi Hunter am Wooster College in Ohio. In nächster Zeit dürfte er für das Amt allerdings kaum Zeit finden, denn er sagt im Brustton der Überzeugung: »Ich bin angetreten, um zu gewinnen.« Damit meint er nicht etwa die Kandidatur der Grünen, die bei den vergangenen drei Präsidentschaftswahlen lediglich 0,1 Prozent, 0,4 Prozent und 1,1 Prozent der Stimmen holten – nein, er meint den Kampf ums Weiße Haus.

Mit seinen Positionen dürfte dies allerdings schwierig sein. »Wir werden den Versuch bekämpfen, unsere Rechte der freien Meinungsäußerung durch Gesetze zu beschneiden, die den Boykott Israels verbieten und die Kritik an seinen Menschenrechtsverletzungen«, heißt es da.

»Die Sache mit Israel« – sie trübt dieses Märchen vom amerikanischen Traum doch nachhaltig.

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