USA

Pionier aus den Rockies

Sein politischer wie persönlicher Stil ist eher unauffällig, unaufgeregt und unprätentiös, manche sagen steif: Jared Polis Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

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Pionier aus den Rockies

Jared Polis ist der erste jüdische Gouverneur des Bundesstaats Colorado

von Katja Ridderbusch  23.05.2022 18:04 Uhr

Es gibt vermutlich nicht viel, worüber der konservative Kolumnist George F. Will und der progressive Gouverneur von Colorado, Jared Polis, Einigkeit erzielen. Wills Urteil über den Einfluss von Polis’ sexueller Orientierung auf die öffentliche Meinung gehört dazu. Polis’ Homosexualität sei für die Wähler »interessanterweise vollkommen uninteressant«, schrieb Will in der »Washington Post«.

Schlagzeilen macht der schwule Gouverneur aus dem Westen der USA trotzdem. Weil er immer wieder zum Pionier wurde: 2008 war Polis der erste Kongressabgeordnete, der in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft mit Kindern lebte. Er ist der erste offen schwule Politiker, der 2018 ins Amt eines US-Gouverneurs gewählt wurde, und der erste jüdische Gouverneur von Colorado.

chuppa Außerdem ist er der erste US-Gouverneur, der während seiner Amtszeit eine gleichgeschlechtliche Ehe schloss: Im September vergangenen Jahres, wenige Tage vor Jom Kippur, heiratete er in einer traditionellen jüdischen Zeremonie seinen langjährigen Partner Marlon Reis. Fotos zeigen die beiden Männer mit Kippa, wie sie unter der Chuppa ein Glas zerbrechen.

Eigentlich ist der 46-jährige Polis nach Aussagen von persönlichen Freunden, politischen Weggefährten und ideologischen Gegnern ein eher langweiliger Typ.

Eigentlich ist der 46-jährige Polis nach Aussagen von persönlichen Freunden, politischen Weggefährten und ideologischen Gegnern ein eher langweiliger Typ. »Ich habe großen Respekt vor ihm«, sagt Annise Parker, Leiterin des Victory Fund, einer Interessenvertretung für politische Kandidaten aus der LGBTQ-Community, im Gespräch mit der »New York Times«. »Aber er ist nicht gerade der aufregendste Politiker der Welt.«

Geboren wurde Polis in Boulder in der Nähe von Denver. Seine Eltern Stephen Schutz und Susan Polis Schutz sind die Gründer von Blue Mountain Arts, einem Kunstverlag für Karten, Kladden und Kunstdrucke, und sie sind selbst erklärte Hippies. Polis ging in San Diego zur Schule und studierte danach Politikwissenschaften an der renommierten Princeton University.

erfolge Seine ersten Erfolge hatte Polis als Technologie-Unternehmer. Noch während seiner Zeit im College gründete er den Internet-Provider American Information Systems (AIS), den er später verkaufte. Die elektronische Grußkartenwebsite bluemountain.com wurde zum US-Marktführer, der Online-Blumen-Lieferdienst ProFlowers ging 2003 an die Börse. Polis’ Privatvermögen beträgt Schätzungen zufolge mehr als 300 Millionen Dollar.

2008 ging der Demokrat Polis in die große Politik, gewann einen Sitz im US-Repräsentantenhaus und wurde mehrfach wiedergewählt. Zehn Jahre später entschied er sich, für das Amt des Gouverneurs von Colorado zu kandidieren. In seinem Wahlkampf mischten sich klassische progressive Themen wie Sozialreformen, Gesundheitsversorgung und Umweltschutz mit wirtschaftslibertären Aspekten. So plädiert Polis für ein freies und offenes Internet.

Er gewann die Wahl zum Gouverneur mit soliden elf Prozent Vorsprung. Schwerpunkte von Polis’ politischer Agenda sind neben Bildung und Erziehung auch Bürgerrechte, die Legalisierung von Cannabis und eine Begrenzung von Fracking, dem hydraulischen Aufbrechen von Gestein zur Förderung von Öl und Gas.

angriffe Dass Polis’ sexuelle Orientierung keine große politische Rolle spielt, heißt nicht, dass er nicht immer wieder homophoben Angriffen ausgesetzt ist. Vor allem in früheren Wahlkämpfen habe er so viel Hass-Post bekommen, digital wie analog, »dass man damit eine ganze Wand hätte pflastern können«, sagte sein Ehemann Marlon Reis (40) der New York Times.

Im vergangenen Herbst stand er mit seinem langjährigen Partner unter der Chuppa.

Noch mehr persönliche Angriffe als auf seine Homosexualität habe er indes wegen seines Jüdischseins erfahren, ergänzte Polis. Beide Attacken tut er mit einem lakonischen Achselzucken ab. Solche Anfeindungen seien »daneben und weltfremd«, sagt er, »aber sie haben mich keine Stimmen gekostet«.

Polis wuchs in einem eklektisch jüdischen Umfeld auf. Der Jewish Telegraphic Agency (JTA) sagte er, seine Familie sei religiös »irgendwo zwischen konservativ und reformorientiert« verankert. Doch einer seiner Cousins ist ein orthodoxer Rabbiner. Polis, Reis und deren Kinder Caspian (10) und Cora (7) besuchen die Synagogue Congregation Nevei Kodesh in Boulder, die der jüdischen Erneuerungsbewegung Jewish Renewal nahesteht.

stil Polis’ politischer wie persönlicher Stil ist eher unauffällig, unaufgeregt und unprätentiös, manche sagen steif. Dabei sind die Grenzen zu trockenem Humor fließend. Als Ex-Präsident Donald Trump während des Wahlkampfs in Colorado via Twitter erklärte, Polis sei schwach bei der Sicherung der Grenzen, fragte der Gescholtene, ob der Präsident »die Grenze zu Utah, New Mexiko, Wyoming, Nebraska, Kansas, Oklahoma oder Arizona« meine? Trump war offenbar entgangen, dass Colorado gar keine internationalen Grenzen hat.

Nur selten zeigt sich Polis emotional – und wenn, dann geht es meist um seine Familie oder um seine jüdische Identität. Zum Beispiel im vergangenen Jahr, als politische Gegner Polis’ Verfügung eines verlängerten Corona-Lockdowns mit den Methoden der Nationalsozialisten verglichen.

Mit empathischer Gelassenheit managt Polis die Krisen, denen Colorado seit seinem Amtsantritt ausgesetzt ist: zuletzt die verheerenden Brände, die kurz vor Jahresende nahe Polis’ Heimatstadt Boulder knapp 1000 Häuser vernichteten. Dass dabei niemand zu Tode kam, nannte der Gouverneur ein »Silvesterwunder«.

Polis’ Physiognomie entspricht durchaus seinem spröden Wesen.

Polis’ Physiognomie entspricht durchaus seinem spröden Wesen: Er ist blass, mit wachen Augen, schütterem Haar und etwas molliger Figur. Bis auf seine blauen Sneakers – mittlerweile sein Markenzeichen – ist er weit entfernt vom Klischee des modebewussten Schwulen. Zur Entspannung mag Polis Computerspiele, er schaut gerne Baseball und Fernsehserien wie Game of Thrones oder Family Guy.

Polis sei »ein Generation-Xer, ein Hacker, ein Gamer, ein Nerd, ein Politik-Junkie«, schrieb die »Denver Post«. »Sein Geheimnis ist, dass er alle diese Identitäten mühelos miteinander – und mit dem Staat Colorado – verbindet.«

Aufstieg Der auffällig unauffällige Aufstieg des Jared Polis ist auch ein Symbol für den enormen Wandel, der sich innerhalb kurzer Zeit in Colorado vollzogen hat. Traditionell war der Rocky-Mountains-Staat republikanisch dominiert, doch der stete Zuzug einer jungen und urbanen Bevölkerung verändert rasant die demografische Landschaft.

Noch 1992 stimmte die Mehrheit der Wähler für einen Verfassungszusatz, der der LGBTQ-Community Schutz vor Diskriminierung verwehrte – eine Entscheidung, die Colorado den Beinamen »Hate State« eintrug. Später erklärte der Oberste Gerichtshof der USA die Entscheidung für unrechtmäßig. Ein 2006 verhängtes Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe wurde 2014 aufgehoben.

Auch wenn er seine persönlichen Kämpfe ungern thematisiert: Die ambivalente Geschichte von LGBTQ-Rechten in seinem Heimatstaat sei »schweres Gepäck«, räumt Jared Polis ein.

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