Ungarn

Orbáns langer Arm

Im Gespräch: Auróra-Hauptinitiator Ádám Schönberger (M.) Foto: László Mudra

An einem Nachmittag klingelte ein Postbote und überreichte die Beschlüsse der Kommunalbehörden: Alle Genehmigungen wurden entzogen, mit sofortiger Wirkung soll der Café- und Gartenbetrieb des Kulturprojekts eingestellt werden.

Das Budapester Gemeindehaus Auróra, eine mutige Initiative junger engagierter Juden, kämpft seit zwei Wochen gegen die Schließung. Das Ganze erinnert an einen Kafka-Roman. Im offiziellen Schreiben weisen die Behörden auf ein Gerichtsverfahren hin sowie auf angebliche, nicht weiter präzisierte Verstöße, die den Betreibern allerdings nicht bekannt sind.

»Wirklich überrascht waren wir nicht«, gibt Ádám Schönberger, der Hauptinitiator des Projekts, zu. »Schließlich haben wir schon ähnliche Situationen erlebt – und überlebt. Das Fiese aber ist jetzt, dass dies mitten in der Hochsaison kommt. Mit jedem weiteren Tag ohne Cafébetrieb fallen wichtige Einnahmen aus.«

Spenden
Im Augenblick versuchen sich die Auróra-Mitarbeiter in Schadensbegrenzung. Das Kulturprogramm und die Gemeindetreffen gehen weiter, auch wenn die Theke bis auf Weiteres zubleiben muss. Die Gäste dürfen Getränke und Speisen mitbringen und werden auf allen Kanälen um Spenden gebeten. Gleichzeitig bemüht man sich, gegen die Behördenbeschlüsse mit allen rechtlichen Mitteln vorzugehen.

Doch das könnte – und wird sehr wahrscheinlich – lange dauern. Kritische Beobachter erkennen darin eine beliebte Vorgehensweise der Orbán-Regierung: Selbst wenn das Gericht die Vorwürfe letztendlich ablehnt, wird die unliebsame Einrichtung in den Ruin getrieben, oder sie bleibt wenigstens auf einem enormen Schaden sitzen, so das politische Kalkül.

In den vergangenen drei Jahren etablierte sich Auróra als wichtiger Begegnungsort für junge jüdische und nichtjüdische Kultur sowie als Treffpunkt für alternative gesellschaftskritische Initiativen. Fast jeden Abend spielten hier mehr oder weniger bekannte Bands, meistens Jazz, aber auch Hip-Hop oder Disco. Tagsüber gab es günstige Mittagsmenüs und diverse Veranstaltungen, die ein buntes, modernes Publikum anzogen, von Theaterstücken bis hin zu Vernetzungstreffen.

Das Gemeindezentrum funktionierte darüber hinaus als idealer Vernetzungsraum der jungen NGO-Szene in Budapest. So gehörten das Roma-Presse-Zentrum, die Migszol-Initiative für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten und der schwul-lesbische Verein, der den Budapester Christopher Street Day organisiert, zu den Stammnutzern der Räumlichkeiten.

Homogenität Doch Brücken bauen ist im heutigen Ungarn nicht gern gesehen und wird nur noch selten praktiziert. Glaubt man dem rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, so ist das genaue Gegenteil davon, die kulturelle und ethnische Homogenität, der Imperativ der Stunde.

Fast gleichzeitig mit dem Vorgehen gegen Auróra verabschiedete das ungarische Parlament ein Gesetz, das die NGOs dazu verpflichtet, sich in ein Sonderregister einzutragen, falls sie Finanzierung aus dem Ausland erhalten. Die betroffenen Zivilgesellschaftsorganisationen, aber auch viele Beobachter kritisierten den Schritt, der an eine ähnliche russische Regelung erinnert und als Vorstufe zu weiteren Schikanen für den unbeliebten Aktivismus dienen könnte.

Währenddessen betreibt die Regierung selbst eine neue Kampagne gegen den alten Staatsfeind Nummer eins, den aus Ungarn stammenden amerikanisch-jüdischen Milliardär und Mäzen George Soros. Dessen Bild ist jetzt im ganzen Land auf Zigtausenden Plakaten zu sehen, die suggerieren, er stecke hinter der »illegalen Einwanderung« zahlreicher Menschen aus dem Nahen Osten.

Soros Diese Verschwörungstheorie ist seit 2015 ein Leitmotiv des offiziellen ungarischen Diskurses: Soros wird vorgeworfen, Menschen aus anderen Kulturkreisen nach Europa bringen zu wollen, um die hiesigen Nationalstaaten zu schwächen und die kulturelle Identität der »Völker« zu zerstören.

MAZSIHISZ, der Dachverband der jüdischen Gemeinden in Ungarn, protestierte gegen die antisemitischen Untertöne der Kampagne und stellte mit großer Besorgnis fest, dass es in den vergangenen Wochen vermehrt zu antisemitischen Vorfällen kam. Doch Orbán zeigte sich von den Protesten bisher wenig beeindruckt. Im nächsten Frühjahr stehen Parlamentswahlen an. Die Lautstärke der paranoiden Propaganda über imaginäre Feinde kann nur erhöht werden, koste es, was es wolle.

Großbritannien

Warten auf »Bridgerton«

Die Sehnsucht nach der vierten Staffel des Netflix-Hits ist groß. Aber wie war eigentlich das reale jüdische Leben in der Regency?

von Nicole Dreyfus  29.06.2025

Glastonbury Festival

Kritik an antiisraelischen Parolen

Neben der Musik sorgt Hetze gegen Israel für Aufsehen – mit Folgen für die BBC, die alles live übertragen hat

 29.06.2025

Glastonbury

Bob Vylan ruft »Death, death to the IDF« – BBC überträgt es

Beim größten Open Air Festival Großbritanniens rufen Musiker antiisraelische Parolen

 28.06.2025

Militär

Name des schwulen Bürgerrechtlers Harvey Milk von US-Kriegsschiff gestrichen

Das nach Milk benannte Versorgungsschiff heißt jetzt »USNS Oscar V. Peterson«

 28.06.2025

Meinung

Francesca Albaneses Horrorshow

Die UN-Berichterstatterin verharmlost den Hamas-Terror und setzt die Israelis mit den Nazis gleich. Mit ihren Ansichten tourt sie nun durch die Schweiz

von Nicole Dreyfus  30.06.2025 Aktualisiert

Aufarbeitung

Brasilien entschädigt Familie von jüdischem Diktaturopfer

Vladimir Herzog gehört zusammen mit dem ehemaligen Abgeordneten Rubens Paiva zu den bekanntesten Diktaturopfern

 27.06.2025

Buenos Aires

Anschlag auf Juden in Argentinien: Prozess nach mehr als 30 Jahren

Am 18. Juli 1994 waren beim Anschlag auf das jüdische Kulturzentrum AMIA 85 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt worden

 27.06.2025

USA

Die Social-Media-Bändigerin

Die pro-israelische Influencerin Montana Tucker liefert Lehrstücke der modernen Kommunikation im Akkord. Zeit, sich die junge Frau, die mit Tanzvideos berühmt wurde, genauer anzusehen

von Sophie Albers Ben Chamo  26.06.2025

Balkan

Bosnien entschuldigt sich bei Rabbinerkonferenz

Über eine Tagung der Europäischen Rabbinerkonferenz in Sarajevo kam es zum judenfeindlichen Eklat. Mit der jetzt erfolgten Entschuldigung ist der Fall indes noch nicht bereinigt

 26.06.2025