Russland

Nur Helden erwünscht

Gedenktafel am jüdischen Massengrab Foto: Ute Weinmann

Russland

Nur Helden erwünscht

In Wolgograd, dem früheren Stalingrad, bleibt die Erinnerung an Schoa-Opfer umstritten

von Ute Weinmann  07.02.2012 10:03 Uhr

In wohl kaum einer anderen russischen Stadt ist der Zweite Weltkrieg heute so präsent wie in Wolgograd. Ihren vorherigen Namen Stalingrad legte die Stadt zwar bereits vor 50 Jahren ab. Doch die Schlacht um Stalingrad prägt nach wie vor das äußere Erscheinungsbild des von der Sowjetunion als »Heldenstadt« ausgezeichneten Ortes wie auch das Bewusstsein seiner Einwohner. Denkmäler und Erinnerungen an heldenhafte Soldaten und zahlreiche Opfer finden sich auf Schritt und Tritt. Gedanken an die Schoa kommen vor diesem Hintergrund gar nicht erst auf.

»Wir dachten hier selber immer nur an Heldentum, Kämpfe, Krieg und waren der Ansicht, dass die zielgerichtete Ermordung der jüdischen Bevölkerung hier bestimmt kein Thema ist«, sagte Yael Yoffe der Jüdischen Allgemeinen.

Erneuert Die energische Leiterin des jüdischen Gemeindezentrums zog mit ihrer Familie 1999 aus Nischni Nowgorod in die südrussische Stadt, um hier einen Ort zu schaffen, an dem jüdisches Leben wieder aufblühen kann. Dieses Ziel hat sie erreicht. Seit 1999 entstanden in dem roten Backsteingebäude, das die jüdische Gemeinde Ende des 19. Jahrhunderts errichtet hatte und das eines der wenigen in der Stadt ist, die den Krieg überstanden haben, eine jüdische Schule und ein Kindergarten.

Doch trotz der vielen alltäglichen gegenwartsbezogenen Aufgaben lässt Yoffe die Vergangenheit der Stadt nicht los. Vor allem seit 2006, als die Gemeinde vom örtlichen Panorama-Museum »Die Schlacht um Stalingrad« eine Landvermessungskarte erhielt, aus der hervorgeht, dass sich auf einem Platz im Stadtzentrum zwei Massengräber befinden. In dem einen sind Soldaten der 62. Armee bestattet, die Stalingrad verteidigt haben sowie Angehörige der örtlichen Zivilbevölkerung. In dem Grab daneben befinden sich die Überreste von mehr als 600 jüdischen Opfern des deutschen Terrors.

Getilgt Selbst während der Schlacht bei Stalingrad arbeiteten die deutschen Besatzer an der »Endlösung«. Dies konnte nach dem Krieg anhand von Befragungen ermittelt werden. Allerdings flossen sie nicht in die Ergebnisse der offiziellen Untersuchungskommissionen ein. Denn im sowjetischen Geschichtskanon fanden die besonderen Aspekte der Ermordung der jüdischen Bevölkerung keinen Platz.

Ohne auf Widerstand bei den lokalen Behörden zu stoßen, errichtete das Gemeindezentrum 2007 an dem Grab einen Gedenkstein, aus dem bereits eine Woche später Unbekannte das Wort »Juden« herausritzten und Beschimpfungen hinzufügten. Von Anfang an war die Errichtung eines Granitdenkmals in Form eines Davidsterns angedacht.

Das erfordert allerdings ein kompliziertes Abstimmungsverfahren, und derzeit gilt es noch einige formale Fragen zu klären. So gibt es bislang keine exakte Bodenvermessung des Platzes, was sich insofern als Problem erweist, als sich die Zuständigkeiten für Soldatengräber und Grabstellen der Zivilbevölkerung auf die föderalen und lokalen Behörden verteilen.

Verboten Wegen der geplanten Aufschrift – »Hier haben 1942/43 Nationalsozialisten Juden ermordet« – erteilte die für die Aufsicht über das Kulturerbe zuständige Behörde Rosochrannadzor dem Denkmalprojekt hingegen eine inhaltlich begründete kategorische Absage.

Der faschistische Terror, so die Argumentation, richtete sich gegen die gesamte Bevölkerung, weshalb nicht eine bestimmte Gruppe hervorgehoben werden dürfe. Doch damit nicht genug. In der Gebietsverwaltung hieß es lapidar, der Inlandsgeheimdienst FSB störe sich an dem Wort »Juden«. Und die Stadtverwaltung ihrerseits fordert ein »vandalismusbeständiges« Denkmal ohne Ecken und Kanten.

Yael Yoffe hofft auf einen Personalwechsel bei den Entscheidungsträgern. Zumindest seien die Behörden in anderen Regionen durchaus offen für die Errichtung von Denkmälern für ermordete Juden. In Rostow am Don, dem »russischen Babi Jar«, zeigt sich jedoch eine ganz andere Tendenz: Ende November ließ die Stadtverwaltung eine an die jüdischen Opfer erinnernde Aufschrift gegen einen für die Sowjetunion typischen Text über »friedliche sowjetische Bürger« ersetzen.

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  21.11.2025

Judenhass

»Wir wollen keine Zionisten«: Mamdani reagiert auf antisemitische Kundgebung vor Synagoge

Die Teilnehmer schrien unter anderem »Tod den IDF!« und »Globalisiert die Intifada!«

von Imanuel Marcus  21.11.2025 Aktualisiert

New York

Neonazi wollte als Weihnachtsmann jüdische Kinder mit Süßigkeiten vergiften

Der Antisemit soll zudem »Interesse an einem Massengewaltakt« gezeigt und Anleitungen zum Bau von Bomben geteilt haben. Nun wird er angeklagt

 21.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  20.11.2025

Philosophie

Hannah Arendt und die Freiheit des Denkens

Die politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts waren ihr Lebensthema. Sie sah ihre Aufgabe als politische Denkerin darin, die Welt und die Menschen zu verstehen. Die politische Theoretikerin starb vor 50 Jahren

von Jürgen Prause  20.11.2025

Russland

Der Vater der israelischen Rüstungsindustrie

Emanuel Goldberg war ein genialer Erfinder in der Weimarer Republik. Die Nazis sorgten dafür, dass er in Europa vergessen wurde. Doch bis heute macht der Mann aus Moskau Israel sicherer

von Leif Allendorf  20.11.2025

New York

Rekordpreis für »Bildnis Elisabeth Lederer« bei Auktion

Bei den New Yorker Herbstauktion ist wieder ein Rekord gepurzelt: Ein Klimt-Gemälde wird zum zweitteuersten je versteigerten Kunstwerk – und auch ein goldenes Klo wird für einen hohen Preis verkauft

von Christina Horsten  19.11.2025

Mexiko

Antisemitisches Graffiti gegen Claudia Sheinbaum sorgt für Empörung

Die Worte »puta judía« wurden auf Gebäude des Obersten Gerichtshofs geschmiert. Die jüdische Gemeinschaft des lateinamerikanischen Landes verurteilt den sich immer wieder äußernden Judenhass

 17.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025