Marokko

Macht im Maghreb

Tolerant gegenüber Juden: König Mohammed Foto: imago/PPE

Marokko

Macht im Maghreb

König Mohammed führt das Land mit harter Hand – doch das jüdische Erbe versucht er zu bewahren

von Michael Thaidigsmann  27.02.2020 16:34 Uhr

Dass das Staatsoberhaupt eines arabischen Landes eine Synagoge besucht, geschieht äußerst selten. Außer in Marokko. Dort war König Mohammed VI. kürzlich nach Essaouira gekommen, um das Bayt Dakira (Haus der Erinnerung) zu eröffnen, das in dem ehemaligen jüdischen Bethaus Slat Attia untergebracht ist. Bereits 2016 hatte der König in Casablanca eine Synagoge eröffnet.

Atlantik Essaouira, das früher Mogador hieß, wurde 1764 von Sultan Mohammed III. gegründet. Er siedelte dort 6000 Juden an. Heute leben in der 80.000-Einwohner-Stadt am Atlantik nur noch ein paar Dutzend Juden, doch im 19. Jahrhundert war rund die Hälfte der Bevölkerung jüdisch. Damals galt Mogador als die größte »jüdische Stadt« in der islamischen Welt. Unter französischer Verwaltung von 1912 bis 1956 verlor sie aber an Bedeutung und verfiel.

Erst seit rund 30 Jahren erlebt Essaouira eine Renaissance, auch dank des Engagements des jüdischen Journalisten und ehemaligen Bankiers André Azoulay. Der 78-Jährige ist ein enger Berater des marokkanischen Königs.

Azoulays Tochter Audrey war von 2016 bis 2017 französische Kulturministerin, heute ist sie Generaldirektorin der Weltkulturorganisation UNESCO.

Essaouira André Azoulay wurde in Essaouira geboren. Die Eröffnung des Bayt Dakira in der Mellah, dem ehemaligen jüdischen Viertel seiner Geburtsstadt, nennt er »einen persönlichen Glücksmoment« und »die Erfüllung eines Lebenstraums«.

Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts war Marokko das arabische Land mit der größten jüdischen Gemeinde. Doch nach der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 verließen die meisten der rund 280.000 Juden allmählich das Land. Die Feindseligkeit ihnen gegenüber hatte zugenommen.

Dennoch gibt es auch heute noch – im Gegensatz zu den meisten anderen muslimischen Ländern – eine lebendige jüdische Gemeinschaft in Marokko. Die meisten Juden leben in der Millionenmetropole Casablanca. Dort werden 15 Synagogen, fünf koschere Restaurants, drei jüdische Schulen, ein Altenheim und ein Gemeindezentrum betrieben.

Synagogen Der König und die Regierung unternähmen enorme Anstrengungen, um das jüdische Erbe im ganzen Land zu bewahren, sagt Serge Berdugo, der Vorsitzende des jüdischen Gemeindebundes in Marokko. So seien in den vergangenen Jahren 170 jüdische Friedhöfe renoviert und 20 Synagogen instandgesetzt worden. In der marokkanischen Verfassung von 2011 wird das »hebräische Erbe« ausdrücklich erwähnt, und »rabbinische Gerichte sind Teil der staatlichen Gerichtsbarkeit, zum Beispiel in Familienfragen«, so Berdugo.

Die staatlichen Aktivitäten zur Bewahrung jüdischer Stätten und das Engagement des Königs förderten den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land, betont der 82-Jährige, der sich seit Jahrzehnten für den Dialog zwischen Muslimen und Juden einsetzt. Er war von 1993 bis 1995 Tourismusminister, heute ist er königlicher Sonderbotschafter.

Gemeinde Die jüdische Gemeinschaft des Landes habe mittlerweile zwar nur noch 3000 Mitglieder, die fühlten sich aber sicher und als selbstverständlicher Bestandteil der Gesellschaft. »Natürlich gibt es hier – wie anderswo auch – Antisemitismus. Aber unsere Rabbiner können mit Kippa auf der Straße herumlaufen, ohne dass sie Angst haben müssten, beschimpft oder verprügelt zu werden«, so Berdugo. Darin unterscheide sich sein Land von den meisten anderen in der arabischen Welt.

Dennoch ist nicht alles rosig in Marokko. Das Land wird vom König straff und bisweilen auch mit harter Hand geführt, Kritik an ihm wird bestraft. Immer wieder beschweren sich Menschenrechtsorganisationen über Einschränkungen der Meinungsfreiheit.

Auch wenn das Judentum als einzige »einheimische« Religion neben dem Islam von staatlicher Seite toleriert und geschützt wird, ist Marokko bei der Religionsfreiheit von westlichen Standards weit entfernt. So dürfen im Land lebende ausländische Christen ihren Glauben zwar frei ausüben, das Missionieren aber ist gesetzlich verboten, und der Übertritt eines Marokkaners zum Christentum wird gesellschaftlich nur selten toleriert.

Belgien

IS droht mit Anschlägen auf Synagogen und Kirchen

Die Hintergründe

 18.12.2025

Sydney

Jüdische Bäckerei schließt wegen Antisemitismus

Nach Jahren der Anfeindungen und dem schwersten antisemitischen Anschlag auf australischem Boden hat eine beliebte jüdische Bäckerei für immer geschlossen

 18.12.2025

Strassburg

Glühwein und Kippa

In der selbst ernannten »Weihnachtshauptstadt« lebt eine traditionsbewusste jüdische Gemeinde. Wie passt das zusammen? Eine Reise zu koscheren Plätzchen und Pralinen mit »Jahresendgeschmack«

von Mascha Malburg  18.12.2025

Meinung

Weitermachen oder die jüdische Resilienz

Verfolgung, Exil und Gewalt konnten es nicht brechen: Die Widerstandsfähigkeit des jüdischen Volkes prägt seine Geschichte bis heute

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Australien

Bericht: Die Heldentat von Ahmed Al-Ahmed sorgt auch in Syrien für Jubel

Die Berichterstattung über den »Helden von Sydney« hat auch dessen Heimatort erreicht und bringt Stolz in eine Trümmerlandschaft

 18.12.2025

Berlin

Ehrung von Holocaust-Überlebenden

Die »International Holocaust Survivors Night« ehrt jedes Jahr Überlebende der Schoah. Die virtuelle Veranstaltung hat sich inzwischen zu einer Feier entwickelt, an der Teilnehmende aus fast 20 Ländern mitwirken

 18.12.2025

Sydney

Abschied von jüngstem und ältestem Opfer

Ganz Australien trauert: Die 10-jährige Matilda und der 87-jährige Holocaust-Überlebende Alex Kleytman sind beerdigt worden

 18.12.2025

Faktencheck

Bei den Sydney-Attentätern führt die Spur zum IS

Nach dem Blutbad am Bondi Beach werden auch Verschwörungsmythen verbreitet. Dass der jüngere Attentäter ein israelischer Soldat sei, der im Gazastreifen eingesetzt wurde, entspricht nicht der Wahrheit

 17.12.2025

Analyse

Rückkehr des Dschihadismus?

Wer steckt hinter den Anschlägen von Sydney – und was bedeuten sie für Deutschland und Europa? Terrorexperten warnen

von Michael Thaidigsmann  17.12.2025