Lateinamerika

Linker und Weltbürger

Juan Gelman (1930–2014) Foto: dpa

Für viele kam sein Tod überraschend. Nur wenigen war bekannt, dass Juan Gelman, der am 14. Januar starb, an einer unheilbaren Erkrankung des Knochenmarks litt. Der 2007 mit dem Cervantes-Preis ausgezeichnete argentinische Dichter und Schriftsteller wurde 83 Jahre alt. Er sei, sagte ein Verwandter in Mexiko-Stadt, »in seinem Haus im Kreise der Familie entschlafen«. Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner ordnete eine dreitägige Staatstrauer an.

Als einen der »Großen der spanischsprachigen Literatur« und »Kämpfer für die Menschenrechte« bezeichnete der Rabbiner der Bet-El-Gemeinde in Buenos Aires, Daniel Goldman, den Verstorbenen. Seine Texte strahlten die »Essenz der kabbalistischen Geheimnisse« aus.

Cervantes-Preis Gelman hat neben dem Cervantes-Preis auch den Juan-Rulfo-Preis für lateinamerikanische Literatur (2000), den Ramón-López-Velarde-Poesiepreis (2003), den Pablo-Neruda-Preis (2005) und den spanischen Königin-Sofía-Poesiepreis (2005) erhalten.

Gelman selbst verstand sich als Linker und Weltbürger mit jüdischen Wurzeln. Auf einer Literaturkonferenz in China betonte er 2009: »Ich wurde in Argentinien mit der Sprache meiner Kindheit geboren. Ich zog durch viele Länder und wurde in Mexiko aus freiem Willen sesshaft. Wir sind Weltbürger, und wenn ich ein Vaterland habe, dann ist es die Sprache. Für einen Schriftsteller ist sie das Einzige, in der er leben kann. Darüber hinaus ist es egal, ob sie dich ins Exil oder in die Hölle schicken.«

Journalist Die Hölle auf Erden hatte er in den Jahren seiner politischen Aktivitäten kennengelernt. Gelman wurde 1930 als Sohn ukrainischer Einwanderer in einem Vorort der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires geboren. Schon früh engagierte er sich literarisch und arbeitete als Journalist. In den 60er-Jahren schloss er sich den von Ernesto »Che« Guevara inspirierten Revolutionären Streitkräften (FAR) an, die später mit den Montoneros, einer militanten peronistischen Organisation, fusionierten. Für die Organisation fungierte er über Jahre hinweg als eine Art Außenminister.

1976 putschte das argentinische Militär und errichtete eine Diktatur. Rund 30.000 Linke, darunter auch viele Juden, wurden ermordet. Von Hunderten fehlt bis heute jede Spur. Gelman entkam den Fängen der Militärdiktatur, weil er sich im Ausland aufhielt. Dafür wurden sein Sohn Marcelo und die schwangere Schwiegertochter Claudia verhaftet und später ermordet. Die in der Haft zur Welt gekommene Enkelin des Dichters wurde von den Militärobristen zur anonymen Adoption freigegeben.

Exil Gelman lebte danach als Reisender: in Rom, Madrid, Managua, Paris, New York und Mexiko – ein unruhiger, schreibender Geist, der seinen Lebensunterhalt als Übersetzer für die UNESCO verdiente. Ruhelos suchte er nach seiner Enkelin. 24 Jahre nach ihrem Verschwinden konnte er sie im Jahr 2000 in die Arme schließen. Macarena, so der Vorname der »Verschwundenen Nr. 67«, wurde als Adoptivtochter eines uruguayischen Militärs identifiziert. Sie nahm danach den Nachnamen ihrer Familie wieder an. »Jetzt bin ich Großvater«, sagte Gelman beim ersten Treffen voller Glück.

Bei der Verleihung des Cervantes-Preises 2007 sprach er auch über sich selbst und seine Verletzungen durch die Verfolgung: »Die Wunden sind nicht geheilt«, sagte er. »Die einzige Therapie ist Wahrheit und Gerechtigkeit. Nur so ist wirkliches Vergessen möglich.«

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

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