Ihr Gesicht ist oval, der Mund wirkt ebenso entschlossen wie der Blick. Kein Wunder also, dass Claudia Sheinbaum der Ruf vorauseilt, eine Person zu sein, die weiß, was sie will. Ihr Umfeld sagt, sie verfolge stets »eine Strategie des kühlen Kopfes«. Den braucht sie auch, wenn sie als Präsidentin Mexikos nicht nur politisch, sondern auch ganz persönlich überleben will. Dieser Tage ist Sheinbaum ein Jahr im Amt, und es gibt gute Gründe, dies zu feiern – schließlich sind 78 Prozent der Bevölkerung mit ihrer Arbeit zufrieden. Dabei ist es bereits eine enorme Leistung, es überhaupt als Frau an die Spitze der Regierung eines lateinamerikanischen Staates zu schaffen, in dem seit jeher eher der Machismo den Ton angibt.
Aber es gibt noch etwas, und das wird bereits durch ihren Namen deutlich: Claudia Sheinbaum hat jüdische Wurzeln. Die aschkenasischen Vorfahren ihres Vaters stammen aus Litauen, die Eltern ihrer Mutter waren bulgarische Sefarden. Sie selbst wurde 1962 in Mexiko-Stadt geboren und wuchs in einem akademisch geprägten Haushalt auf – der Vater arbeitete als Ingenieur, die Mutter war Professorin für Biologie.
Umweltministerin und Gouverneurin
Das Interesse an den Naturwissenschaften war Sheinbaum also quasi in die Wiege gelegt worden, sodass sie Physik studierte und an der US-Universität Berkeley ihren Doktortitel erwarb. Freund und Feind nennen sie deshalb voller Respekt stets »La Doctora«. Ihre politische Heimat fand sie im sozialdemokratisch orientierten Movimiento Regeneración Nacional. Im Jahr 2000 wurde sie Umweltministerin von Mexiko-Stadt und 2018 Gouverneurin des gleichnamigen Bundesstaates – angesichts der extremen Luftverschmutzung und des akuten Wassermangels eine Herkules-Aufgabe. Ihre Agenda: eine Reduzierung der Emissionen um 30 Prozent, die Pflanzung von 15 Millionen Bäumen sowie ein Verbot von Einwegplastik und die Versorgung aller Haushalte mit Wasser.
Im Oktober 2024 dann übernahm Sheinbaum als erste Frau die Präsidentschaft Mexikos. Dass sie es schaffte, ist auch ihrem Vorgänger und Mentor Andrés Manuel López Obrador zu verdanken. Der charismatische und erfolgreiche Politiker hatte ihr den Weg geebnet. Zu den Problemen des Landes zählt nach wie vor die innere Sicherheit. So wurden 2024 offiziell 26.715 Morde registriert. Das sind 73 pro Tag. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein. Die Drogenkartelle versetzen die Menschen weiterhin in Angst und Schrecken, weshalb das Vertrauen in Polizei und Staat schwach ausgeprägt ist. Trotzdem kann die heute 63-jährige Regierungschefin auf einige Erfolge verweisen.
So erklärte sie stolz, dass »zwischen September 2024 und September 2025 täglich 27 Morde weniger begangen wurden«, was einem Rückgang von 32 Prozent entspricht. Dieser kam nicht nur durch ein härteres Eingreifen des Staates zustande, sondern auch dank der Unterstützung des großen Nachbarn im Norden. Eine militärische Intervention der USA, um die sechs größten Rauschgiftkartelle zu zerschlagen, lehnte Sheinbaum zwar ab, schloss aber mit Washington ein Abkommen zur Verbesserung der beiderseitigen Sicherheit.
Der Peso ist stabil
Auch die Wirtschaft kann mit guten Zahlen aufwarten. »Wir haben ein Wachstum von 1,2 Prozent, die Arbeitslosigkeit liegt bei 2,7 Prozent, einem der niedrigsten Werte weltweit. Der Peso ist stabil, die Inflation lag im September bei 3,7 Prozent«, erklärte die Präsidentin.
Was ihr Verhältnis zum Judentum betrifft, so definiert sie sich als »nicht religiös«. Im internationalen Ranking der einflussreichsten jüdischen Persönlichkeiten der »Jerusalem Post« von 2024 belegt Sheinbaum Platz zwölf. Allerdings habe sie bisher »zum Krieg zwischen Israel und der Hamas so gut wie kein Wort verloren«, heißt es in der Begründung.
Mittlerweile hat Sheinbaum sich positioniert – nicht zuletzt aufgrund des Drucks ihrer linken Koalitionspartner. So empfing sie im März Nadya Rasheed, Palästinenser-Vertreterin in Südamerika, was für Gerüchte sorgte, dass man nun einen Staat Palästina anerkennen würde, was Sheinbaum aber verneinte. Der Idee als solcher stehe man aber positiv gegenüber, wenn sie im Rahmen internationaler Prozesse umgesetzt werde. Und gegenüber Journalisten erklärte sie vor wenigen Tagen, Mexiko stehe »an der Seite der internationalen Gemeinschaft, um diesen Völkermord in Gaza zu stoppen«.