Ukraine

Kiewer Verhältnisse

Streitlöwen: Eingang einer Synagoge in Kiew Foto: Marco Limberg

Ukraine

Kiewer Verhältnisse

Jüdische Funktionäre streiten über Staatsnähe, Geschichtspolitik und Antisemitismus

von Denis Trubetskoy  03.07.2018 09:43 Uhr

Im Juni wurde auf der Website des ukrainischen Kulturministeriums ein Dokument veröffentlicht. Andrij Jurasch, Chef der Religionsabteilung des Ministeriums, hatte in einer Sitzung des »Rates der ethnonationalen Organisationen« einen Vortrag über den Vorsitzenden des Ukrainischen Jüdischen Komitees (UEK) gehalten. Der Titel: »Über provokative und spekulative Aussagen von Eduard Dolinsky«.

Nach der Rede verabschiedete der Rat eine Erklärung: »Dolinsky verbreitet unwahre Informationen über die große Verbreitung des Antisemitismus in der Ukraine.« Außerdem »zerstört er die ausgewogene Position von Josef Zissels, der die Dynamik des antisemitischen Denkens in unserem Land objektiv einschätzt«.

Als Vorsitzender der Vereinigung der jüdischen Organisationen und Gemeinden der Ukraine (Vaad) gilt Zissels, auch als ehemaliger sowjetischer Dissident, oft als die wichtigste jüdische Stimme des Landes. Weil Dolinsky, der auf seiner Facebook-Seite antisemitische Vorfälle sammelt, und Zissels zu diesem Sachverhalt, aber auch zur Geschichtspolitik der aktuellen ukrainischen Regierung völlig unterschiedliche Einstellungen haben, kracht es schon seit Längerem zwischen beiden.

Doch nun ist der Streit eskaliert. Denn Josef Zissels nahm an der Sitzung des Rates teil, auf der seine Sicht der Dinge ausdrücklich gelobt wurde, aber enthielt sich, als über die Dolinsky-kritische Erklärung abgestimmt wurde.

Eskalation Die Eskalation begann allerdings schon im Frühjahr, als rund 50 Abgeordnete des US-Kongresses einen offenen Brief über den wachsenden Antisemitismus in der Ukraine und in Polen veröffentlichten. Im Falle der Ukraine kritisierten sie die Verehrung von Stepan Bandera, Roman Schuchewytsch und deren Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) sowie der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), die im Zweiten Weltkrieg teilweise mit Deutschland kollaborierten.

»Uns ist kein Fall bekannt, in dem der ukrainische Staat die Leugnung des Holocaust unterstützte«, kritisierte Zissels den Brief. »Im ukrainischen Gesetz, das den Rechtsstatus der Kämpfer für die Unabhängigkeit der Ukraine regelt, werden kollaborierende Einheiten wie die Division SS Galizien oder das Nachtigall-Bataillon nicht erwähnt.«

Außerdem griff Zissels eine Studie der israelischen Regierung über Antisemitismus in der Ukraine, auf der der Brief der US-Abgeordneten basiert, als unsauber an. Er vermute den Kreml dahinter, erklärte er.

Dekommunisierung Bezeichnend ist, dass die Argumente, die Zissels in seiner Antwort nutzte, dieselben sind, mit denen kurz zuvor der umstrittene Direktor des Instituts für Nationale Erinnerung, Wolodymyr Wjatrowytsch, die US-Abgeordneten kritisierte. In der Ukraine gilt Wjatrowytsch als Mastermind hinter der sogenannten Dekommunisierung. Zissels und Wjatrowytsch scheinen in der Tat gute Beziehungen zu pflegen und nehmen oft gemeinsam an Podiumsdiskussionen teil.

Dolinsky reagierte ungewohnt undiplomatisch auf Zissels: »Dieser Brief ist ein Produkt der Zusammenarbeit von Wjatrowytsch und dem Aktivisten der nichttraditionellen jüdischen Strömung, Zissels.« Dolinsky betonte, die Ukraine verleugne die Schoa nicht, vielmehr schweige sie darüber – genau das werde im ursprünglichen Brief kritisiert. Er wundere sich, dass Zissels Schuchewytsch nicht als Kollaborateur sieht und die Studien des israelischen Staates für unglaubwürdig hält.

Viele befürchten nun, dass der Streit zwischen Zissels und Dolinsky in den nächsten Jahren das politische jüdische Leben in der Ukraine prägen und die Gemeinde noch mehr spalten wird, als dies bereits der Fall ist.

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  17.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal: Arte-Doku beleuchtet 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth neu

Das einstige Entsetzen über »pornografisch-blasphemische« Gedanken in »Portnoys Beschwerden« ist modernen Befindlichkeiten gewichen. Ein neuer Dokumentarfilm schaut nun genauer hin

von Friederike Ostermeyer  17.11.2025

Mexiko

Antisemitisches Graffiti gegen Claudia Sheinbaum sorgt für Empörung

Die Worte »puta judía« wurden auf Gebäude des Obersten Gerichtshofs geschmiert. Die jüdische Gemeinschaft des lateinamerikanischen Landes verurteilt den sich immer wieder äußernden Judenhass

 17.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025

"Stiller & Meara"

Abschied von den Eltern

Leinwandstar Ben Stiller hat eine erstaunlich persönliche Doku über seine berühmte Familie gedreht

von Patrick Heidmann  16.11.2025

Jerusalem

Nach Streit: Zionistischer Weltkongress einigt sich

Zwei Wochen lang zogen sich die Verhandlungen in dem globalen jüdischen Gremium hin. Nun gibt es ein Abkommen, das der Mitte-links-Block als Sieg für sich wertet

von Joshua Schultheis  16.11.2025

Kiew

Bargeldberge, Geschäfte und Liebschaften auf Russisch 

Eingeschweißtes Bargeld aus US-Notenbanken, Liebe unter Ministern, heimlicher Hauskauf im Ausland und alles in der falschen Sprache. Die Korruption in der Ukraine bietet Stoff für einen Thriller

von Andreas Stein  14.11.2025

Award

Sarah Jessica Parker erhält Golden-Globe-Ehrenpreis

Die Schauspielerin soll für besondere Verdienste um das Fernsehen ausgezeichnet werden

 14.11.2025

Tel Aviv

Noa Kirel und Daniel Peretz heiraten mit »kleiner Feier«

Die Sängerin und der HSV-Torwart standen in Jaffa unter großen Sicherheitsvorkehrungen unter der Chuppa

von Nicole Dreyfus  13.11.2025