Italien

Il candidato

»Ich möchte eine Stadt gestalten«: Tobia Zevi (37) Foto: Getty Images

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Der Philosoph und Sprachwissenschaftler Tobia Zevi will Bürgermeister von Rom werden

von Jérôme Lombard  22.11.2020 10:05 Uhr

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Wo die Römer der Schuh drückt? Da muss Tobia Zevi nicht lange überlegen. Der 37-Jährige weiß genau, welche Missstände er als Erstes angehen wird, sollte er als neuer Chef ins Rathaus der italienischen Hauptstadt einziehen: »Die Stadt muss sauberer werden, wir müssen den öffentlichen Nahverkehr grundlegend verbessern, und diese vermaledeiten Schlaglöcher auf unseren Straßen müssen gestopft werden«, sagt er entschlossen.

Der studierte Philosoph und Sprachwissenschaftler, der am Italienischen Institut für Internationale Politische Studien mit dem Fokus auf Stadtentwicklung forscht, hat sich viel vorgenommen.

Wenn in Rom, der Ewigen Stadt, im kommenden Jahr der Bürgermeister neu gewählt wird, will er Amtsinhaberin Virginia Raggi von der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung den Chefsessel abspenstig machen. Sollte er das schaffen, ginge sein Sieg in die Geschichtsbücher ein. Tobia Zevi wäre nach Ernesto Nathan, der 1907 das Amt bekleidete, der zweite Bürgermeister Roms jüdischer Herkunft.

Wenn er gewinnt, wäre er der zweite jüdische Bürgermeister in
der Geschichte Roms.

Das Erfolgsrezept, mit dem der stets elegant gekleidete Mann mit dem charmanten Lächeln den Wahlkampf für sich entscheiden will, ist eine auf die Jugend ausgerichtete Politik. »Ich möchte eine Stadt gestalten, in der junge Menschen Chancen und Zukunftsperspektiven haben«, sagt Zevi im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen am Telefon.

VISION In der Vergangenheit sei zu wenig für diese Bevölkerungsgruppe getan worden, Bildung und Ausbildung seien vernachlässigt worden. »Meine Vision ist, dass in fünf Jahren jeder junge Erwachsene in Rom einen passenden Beruf findet und jeder und jede hier eine Familie gründen kann, wenn er oder sie dies möchte.«

Die Probleme Roms und seiner Stadtgesellschaft kennt Tobia Zevi gut. Die Metropole am Tiber ist seine Heimat und »wahnsinnige Liebe«, wie er verrät. Einmal Bürgermeister seiner Stadt zu werden, ist sein großer Traum.

»Der Grund dafür ist eigentlich simpel«, erzählt er. »Ich habe mich dazu entschlossen, nicht aus der Stadt fortzugehen, und fühle mich daher verpflichtet, den Alltag der Einwohner zu verbessern.«

FERNE Die Idee, sich in seiner Heimatstadt politisch zu engagieren, kam Tobia Zevi in der Ferne, genauer gesagt, in Dresden. Dort verbrachte er als junger Mann Anfang 20 ein Austauschsemester.

»In dieser Zeit habe ich mich dafür entschieden, politisch aktiv zu werden«, sagt er. »Ich bin jetzt bereit, Verantwortung zu übernehmen.« Tatsächlich kann Zevi auf einige politische Erfahrung aufbauen.

Auf die Idee, sich politisch zu engagieren, kam er während eines Auslandssemesters in Dresden.

So war er 2007 Gründungsmitglied der sozialdemokratisch ausgerichteten Demokratischen Partei (PD) Italiens und von 2017 bis 2018 Politikberater des damaligen Premierministers Paolo Gentiloni.

Neben seiner Arbeit als Wissenschaftler schreibt Zevi fleißig Wortbeiträge für Zeitungen und Magazine und kommt auch noch dazu, sich als Diplomat beim Jüdischen Weltkongress sowie im jüdischen Kulturverein »Hans Jonas« in Rom zu engagieren. »Ich verstehe mich als Aktivist der linken Mitte«, sagt Zevi, auf seine politischen Ideale angesprochen.

SOZIALDEMOKRAT Als Kandidat für die Bürgermeisterwahl will er als Unabhängiger antreten. Von der Demokratischen Partei habe er sich aus Unzufriedenheit mit deren Politik auf lokaler Ebene entfernt, wie er sagt.

Um sich als Sozialdemokraten und Sozialisten nicht gegenseitig die Stimmen wegzunehmen, wird es in der italienischen Hauptstadt wahrscheinlich zu Vorwahlen mit den anderen Bewerbern aus dem politischen Lager kommen, erläutert Zevi. »Dadurch haben wir dann ein starkes Team zusammen, das sich gegenseitig mit voller Kraft unterstützt, um die Rechten zu besiegen.«

Die Rechten vom Schlag einer Lega Nord, der Partei des früheren Innenministers Matteo Salvini, weiter zurückzudrängen, sieht Zevi als eine der entscheidendsten Aufgaben. »Unsere Gesellschaften sind voller Hass, vor allem gegen Minderheiten«, sagt er. Auch der Antisemitismus nehme in Italien zu, selbst wenn er in der Hauptstadt noch keine Erfahrungen damit machen musste. »Ich befürchte«, so Zevi, »dass die Corona-Pandemie und die damit einhergehende Wirtschafts- und Sozialkrise diese Gefühle zusätzlich verstärken wird.«

Für seinen Wahlkampf kann Tobia Zevi auf die Rückendeckung der jüdischen Gemeinde zählen. »Die Beziehung zwischen ihr und der Stadt ist sehr stark«, sagt er. »Dies ist auch für meinen Wahlkampf von Bedeutung.«

KATAKOMBEN Zevis Familie kann auf eine 2000-jährige Geschichte in der Ewigen Stadt zurückblicken. Der Familienname findet sich in den römisch-jüdischen Katakomben eingraviert.

»Juden lebten in Rom bereits vor der Zerstörung des Tempels«, erläutert Zevi. Römisch-jüdische Familien würden sich deshalb auch weder als Aschkenasen noch als Sefarden verstehen. »Wir sind einfach Römer, Bnej Romi.« Dieses Selbstverständnis sei bis heute in der Community weit verbreitet. Vielleicht sind auch deshalb viele der rund 15.000 Gemeindemitglieder in der Stadtpolitik aktiv.

Für Tobia Zevi hat das Selbstverständnis als jüdischer Römer jedenfalls großen Einfluss auf sein politisches Denken. »Ich habe meine Arbeit in der Politik immer als Verantwortung gegenüber meiner lokalen Community und der mich umgebenden Welt gesehen«, sagt Zevi, der sich als religiös-observant versteht, den Schabbat hält und koscher lebt. »Ich glaube, dass das etwas sehr Jüdisches ist, es hat mit Mizwot und der Idee zu tun, dein tägliches Leben und dein Verhalten zu kontrollieren.«

Zevis Familie blickt auf eine 2000-jährige Geschichte in der Stadt zurück.

In den nächsten Wochen und Monaten will Zevi seine Kampagne weiter ausbauen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den sozialen Medien. Denn auch in Rom steigen nach einem recht lockeren Sommer mit leichtem Tourismus die Zahlen der mit Corona Infizierten wieder drastisch an.

»Die Pandemie hat riesige Auswirkungen auf meinen Wahlkampf«, sagt Zevi. Themen, die nichts mit dem Virus und dem Gesundheitssystem zu tun haben, seien in der Krise nur schwer zu vermitteln. Doch der stets positive Zevi sieht auch Chancen. »Die Pandemie kann neue Diskussionsräume eröffnen, da sie die Perspektiven der Menschen verändert.

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