Ungarn

»Hässlicher jüdischer Kopf«

Als Ende vergangenen Jahres im ungarischen Parlament ein rechtsextremer Parlamentarier davon fantasierte, Politiker jüdischer Herkunft auf einer Liste zu erfassen, weil diese seiner Ansicht nach »ein Risiko für die nationale Sicherheit« darstellten, war die Empörung im In- und Ausland groß. Kaum jemand konnte sich jedoch vorstellen, dass eine solche Liste tatsächlich erstellt würde. Ende Februar ist in Ungarn allerdings ein anderes Verzeichnis aufgetaucht: Eine Excel-Tabelle mit Hunderten Namen von Erstsemestern, die 2009 ihr Studium an der renommierten ELTE-Universität in Budapest begonnen haben. Darin sind die vermuteten Parteisympathien der Frischgebackenen aufgeführt – und die (vermeintliche) jüdische Herkunft.

Liste Erstelllt wurde die Liste aller Wahrscheinlichkeit nach von der gewählten Studentenvertretung, die seit vielen Jahren von Sympathisanten der rechtsextremen Jobbik-Partei dominiert wird. Diese nutzt die geisteswissenschaftliche Fakultät der ELTE-Universität seit Langem zur Nachwuchsgewinnung. Beobachter vermuten, dass solche Überlegungen auch im Hintergrund der skandalösen Liste standen: Unter den fast 700 Neuzugängen an der Fakultät sollten Studierende identifiziert werden, die der Ideologie von Jobbik nahestehen und von der Partei rekrutiert werden können.

Den damals 20-jährigen Tamás Molnár (Name von der Redaktion geändert) hatten die Rechtsextremen dabei wohl nicht im Auge. Tamás ist in der Liste als »Jude« aufgeführt, dahinter haben die Ersteller der Liste einen derben Fluch geschrieben und »wir sollten ihn nicht zum Erstsemester-Camp mitnehmen«. Allerdings war Tamás mit dabei. Seinen Namen auf der Liste zu finden, sei »aufwühlend« gewesen, erzählt der Volkskundestudent. »Vorher hatte ich mit Antisemitismus noch nie Probleme.«

Herkunft Auch bei anderen Studierenden finden sich derbe Kommentare wie »hat einen hässlichen jüdischen Kopf«. Rätselhaft findet der heute 24-Jährige, woher die Ersteller der Liste Rückschlüsse auf seine Herkunft gezogen haben: Er habe zwar jüdische Vorfahren, sehe sich aber in erster Linie als Ungar. Vor vier Jahren, als das Verzeichnis erstellt wurde, seien auf seinen Profilen in sozialen Netzwerken keine Hinweise auf Verbindungen zu jüdischen Organisationen oder nach Israel zu finden gewesen. Vielleicht war es sein Aussehen, seine dunklen Locken, mutmaßt Tamás.

Mehrere Studierende haben sich wegen der Liste an die jüdische Organisation »Tett és Védelem« (Tat und Verteidigung) gewandt. Diese wurde Ende 2012 in Budapest gegründet; ähnlich der Anti-Defamation League in den USA will sie als Rechtsschutzorganisation gegen Fälle von Antisemitismus auftreten. »Sollte sich die Echtheit der Listen bestätigen, so wäre das ein gravierender Verstoß unter anderem gegen den Datenschutz«, sagt Dániel Bodnár, der Vorsitzende des Stiftungskuratoriums. Momentan prüfe sowohl die Universität als auch die Polizei, ob die Verzeichnisse authentisch seien. Betroffene wie Tamás Molnár sind davon allerdings fest überzeugt.

Volksverhetzung In den vergangenen Jahren habe der Antisemitismus in Ungarn zugenommen, sagt Bodnár. Die Situation sei für die etwa 100.000 ungarischen Juden »weniger komfortabel« geworden. Die Stiftung »Tett és Védelem« will deshalb unter anderem erreichen, dass der Paragraf gegen Volksverhetzung konsequenter angewandt wird und Opfer von antisemitischen Taten Hilfe von Sozialarbeitern und Psychologen erhalten. Bodnár dementierte hingegen entschieden, dass er eine »Jüdische Garde« aufbauen wolle – ähnlich der paramilitärischen, Jobbik-nahen »Ungarischen Garde«. In rechtsgerichteten ungarischen Medien waren entsprechende Gerüchte publiziert worden.

Porträt der Woche

Historikerin aus Leidenschaft

Shiran Shasha forscht zu antiken Gärten und sammelt Geld für eine Synagoge auf Kreta

von Gerhard Haase-Hindenberg  03.08.2025

Frankreich

Sie feierte den 7. Oktober - und bekam doch ein Stipendium

Eine 25-jährige Palästinenserin wurde aus Gaza nach Frankreich gebracht, wo sie einen Master-Studiengang absolvieren sollte. Doch dann wurden ihre antisemitischen Posts auf X bekannt

von Michael Thaidigsmann  01.08.2025

Justiz

Jüdische Organisationen fordern von Israel Gesetz gegen weltweiten Antisemitismus

In einem Brief an Justizminister Yariv Levin verlangen sie, das Judenhass und die Verfolgung israelischer Soldaten auch außerhalb Israels unter Strafe gestellt werden

 01.08.2025

Nach Festnahme bei Festival

Belgische Staatsanwälte treten Ermittlungen gegen Israelis ab

Zwei Soldaten waren in Belgien festgenommen und verhört worden, bevor sie wieder frei kamen. Jetzt haben die Ermittler den Fall an den Internationalen Strafgerichtshof übergeben

 31.07.2025

Vor 100 Jahren

Als der Ku-Klux-Klan durch Washington marschierte

Vor 100 Jahren sahen Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus anders aus als heute in der Ära Trump: Im August 1925 versammelte sich der Ku-Klux-Klan zu seinem größten Aufmarsch in der US-Hauptstadt Washington

von Konrad Ege  31.07.2025

Jemen

Eine der letzten Jüdinnen Jemens geht nach Israel

Mit Badra Ben Youssef hat ein letztes Mitglied der jüdischen Gemeinschaft den Jemen verlassen. Möglicherweise ist nur noch ein Jude im Land, ein Gefangener der Huthi-Rebellen

 31.07.2025

USA

Von Sammlern und Buchschmugglern

Das YIVO in New York feiert sein 100-jähriges Jubiläum mit einer Sonderausstellung. Das Institut bewahrt die jiddische Kultur und pflegt ein beeindruckendes Archiv. Ein Besuch

von Jörn Pissowotzki  31.07.2025

Spanien/Frankreich

Was geschah an Bord von Flug VY 8166?

Nach dem Auschluss jüdischer Jugendlicher von einem Flug erheben französische Minister schwere Vorwürfe gegen die spanischen Behörden und die Fluggesellschaft Vueling

von Michael Thaidigsmann  30.07.2025

Longevity

Für immer jung?

Die ZDF-Moderatorin Andrea Kiewel outet sich als Hypochonderin und beschreibt, warum man niemals zu alt ist, sich Gedanken übers Älterwerden zu machen

von Andrea Kiewel  29.07.2025