Warschau

Geheimnisvolles Antlitz

Obwohl Elija ben Schlomo Zalman nie ein offizielles Amt bekleidete, kein einziges Buch veröffentlichte und auch keine eigene Schule gründete, kannte ihn die ganze jüdische Welt des 18. Jahrhunderts. In religiösen Streitfragen wandten sich Rabbiner gerne an den »Gaon von Wilna«, den genialen Schriftgelehrten im Großfürstentum Litauen.

Seine Expertise zählte in den meisten jüdischen Gemeinden. Allerdings war der Gaon nicht ganz unumstritten, bekämpfte er doch die damals aufkommende mystische Bewegung des Chassidismus als jüdische Häresie. Er sprach sogar den Bann über die Chassiden aus und verbrannte öffentlich das religiöse Testament seines Gegners, des Baal Schem Tow.

lehren Zum 300. Geburtstag des berühmten Gelehrten zeigt das Jüdische Historische Institut (JHI) in Warschau eine Ausstellung über das »Geheimnisvolle Antlitz des Gaon von Wilna«. »Wir wollen zeigen, wie aktuell die Lehren des Gaon von Wilna bis heute sind«, sagt Monika Krawczyk, die Direktorin des JHI.

»Die polnisch-litauisch-jüdische Stadt galt im 18. Jahrhundert als das ›Jerusalem des Nordens‹. In Wilna gab es weit über 100 Synagogen und Bethäuser.« Auch wenn die Nazis in der Schoa fast alle Litwaks, wie sich die litauischen Juden selbst nennen, ermordeten, konnte doch ein Teil ihres Schriftguts, ihrer Kultur und Tradition gerettet werden.

Mitten im großen Ausstellungssaal im zweiten Stock des Warschauer Jüdischen Instituts lädt ein kleines Haus mit verstellbaren Wänden zum »Studium« ein. Man kann es sich mal als Jeschiwa, als Rabbinerschule für orthodoxe jüdische Männer, vorstellen, mal als Wohnhaus des Gaon mit seiner Frau und den acht Kindern oder auch als sein »klojz« (Klause) unweit der Synagoge, in die er sich zum Studium von Tora, Talmud und der Kabbala zurückzog.

lerneifer Schon als Kind soll der spätere Gaon alle in der Gemeinde mit seiner raschen Auffassungsgabe und seinem enormen Lerneifer beeindruckt haben. Als er gerade einmal sechs Jahre alt war, so sagt die Legende, bewunderten alle seinen kenntnisreichen Vortrag in der Großen Synagoge von Wilna.

Schon als Kind soll der spätere Gaon alle in der Gemeinde mit seiner raschen Auffassungsgabe beeindruckt haben.

In der Zeit des polnischen Aufstands gegen die russischen Besatzer soll er in ebenjener Synagoge die Beter vor der Explosion einer Bombe auf dem Dach bewahrt haben – allein durch die Kraft seiner Gebete. Ob er sich für das politische Geschehen in der Welt interessierte, die Französische Revolution 1789 oder die drei Teilungen des Großreichs Polen-Litauen, ist nicht überliefert. Aber als junger Mann war er durchaus neugierig auf die Welt.

So ließ er als gerade einmal 20-Jähriger seine junge Frau und die ersten Kinder bei den Eltern zurück und brach zu einer über fünfjährigen Wanderung durch Polen, Deutschland und Österreich auf, wohl auch mit einem Abstecher nach Frankreich. Diese Reise ist insofern bemerkenswert, als er außer Jiddisch und Hebräisch keine andere Sprache beherrschte und fast kein Geld besaß. Aber die angesehene Familie seines Vaters hatte über Generationen zahlreiche Kontakte in Europa aufgebaut, sodass er überall freundlich aufgenommen wurde.

Rückkehr Nach seiner Rückkehr nach Litauen ließ er sich für immer in Wilna nieder und vertiefte sich erneut ins Studium der heiligen Schriften. Sein ehrgeiziges Ziel war es, die gesamte bis dahin erschienene rabbinische Literatur kennenzulernen und so »die Wahrheit« zu finden, also Fehler auszumerzen, die durch ständiges Abschreiben entstanden waren, durch Wortverdrehungen, Satz-Auslassungen oder auch schlichte Missverständnisse.

Zugute kam dem Gaon dabei, dass er nicht nur ein brillanter Analytiker war, sondern auch über ein phänomenales Gedächtnis verfügte. So wie die ersten Rabbiner schrieb auch er seine Kommentare und Korrekturen direkt in die Talmud-Bände hinein, an die Seitenränder berühmter Werke und sogar in handschriftliche Manuskripte.

Nach dem Tod des Gaon 1797 gründete einer seiner berühmtesten Schüler, Chaim aus Waloschyn, eine Rabbinerschule, an der orthodoxe Juden zum ersten Mal nach der analytisch-philologischen Studienmethode des Gaon ausgebildet wurden. An dieser »Mutter aller Jeschiwot« studierten bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs Tausende, die später weltweit nach der Methode des Gaon von Wilna lehrten.

Am Ende der Ausstellung zeigt ein Video eine Lernszene in einer heutigen Jeschiwa: Diskutieren da zwei junge Chassiden über eine Talmudstelle, oder sind es zwei junge Misnagdim, wie man einst die Gegner des Chassidismus nannte? Es ist nicht zu erkennen. Die Lehrmethode des Gaon von Wilna ist universell geworden für orthodoxe Rabbinerschulen. Gabriele Lesser

Die Ausstellung in polnischer und englischer Sprache wird bis 28. April gezeigt.

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