Rumänien

Frischer Wind in der Walachei

Vor nur wenigen Jahren sah es so aus, als ob die jüdische Gemeinde in Rumänien, vor der Schoa die drittgrößte in Europa, vor dem Aus stünde. Über 280.000 Juden wurden im Holocaust ermordet, Hunderttausende ließ das kommunistische Regime gegen Waren oder harte Devisen nach Israel auswandern, und nach dem Zerfall des Kommunismus Ende 1989 emigrierte jeder Zweite. Doch diese Auswanderung kam beinahe zum Erliegen: 2009 zählte Israel nur noch 35 Neuzuwanderer aus Rumänien. Die Zahl der Rückkehrer wird in keiner Statistik erfasst.

Keren Karmon ist eine von ihnen. Die 38-jährige Israelin arbeitete früher für die Jewish Agency in Bukarest und half, vor allem junge Juden zu überreden, nach Israel auszuwandern. Damit schaffte sie gewissermaßen auch ihre eigene Stelle ab und kehrte 2007 nach Israel zurück. Vor Kurzem folgte sie der Einladung ihrer ehemaligen israelischen Chefin bei der Jewish Agency, Tova Ben-Nun, in Bukarest den Hebräisch-Unterricht in der privaten Lauder-Schule zu koordinieren, die Ben-Nun heute leitet.

hebräisch »In den ersten sechs Klassen lernen die Kinder vier Stunden Hebräisch pro Woche, im Gymnasium zwei bis drei«, sagt Karmon. Das reiche nicht, doch man müsse die Forderungen des rumänischen Bildungsministeriums erfüllen. Jüdische Studien und Hebräisch seien lediglich eine Ergänzung. »Aber an den jüdischen Feiertagen machen wir Ganztagsprogramme, so wie in Israel, und singen nur hebräische Lieder.«

Im Schulhof spielen der 17-jährige Dor Hadad und sein 19-jähriger Freund Ariel Chis Fußball. Hadad kam als Fünfjähriger mit seinem Eltern nach Bukarest, wo der Vater eine Stelle gefunden hatte. Chis ist Sohn eines Juden und einer Rumänin. Er wurde in Israel geboren und wuchs in Bukarest auf.

Ob die beiden Freunde die Zukunft der jüdischen Gemeinde verkörpern, ist fraglich. Denn Hadad, der fließend Hebräisch spricht, möchte in Jerusalem studieren. Er träumt davon, »Teil des Staates Israel und der jüdischen Gesellschaft dort« zu werden. Chis nutzt seine bilinguale Ausbildung – in der Lauder-Schule wird auf Rumänisch und Englisch unterrichtet –, um sich für einen Studienplatz in England zu bewerben.

Dalia Golda hingegen sieht sich auch in zehn Jahren noch in der Bukarester Gemeinde. Die energische Frau engagiert sich dafür, dass das jüdische Leben in der Stadt eine Zukunft hat. Die 29-Jährige wuchs in einer traditionellen jüdischen Familie in einer Kleinstadt im Norden Rumäniens auf. Als fast alle jüdischen Jugendlichen auswanderten, ging sie nach Bukarest. Das war im Jahr 2000.

Kinder Vor anderthalb Jahren gründete Golda den jüdischen Kindergarten »Gan Eden«, den sie leitet. Nächstes Jahr möchte sie die erste Schulklasse öffnen. Eine religiöse Einrichtung sei »Gan Eden« nicht, doch möchte Golda den Kindern den »Geist des jüdischen Lebens« vermitteln, mit dem sie selbst aufgewachsen sei.

Daher nahm sie bewusst nur jüdische Kinder auf – aber nicht nach der orthodoxen Definition, die sich nach der Mutter orientiert. »Für mich reicht ein jüdischer Vater vollkommen aus«, sagt Golda. »In den meisten Familien ist ohnehin nur ein Elternteil jüdisch.« Auch von den acht Betreuerinnen ist lediglich eine Jüdin, und gegessen wird nur kosher-style. Das störe aber die einzige observante Familie im Kindergarten auch nicht, so Golda.

Nicht von ungefähr kooperiert die Kindergärtnerin eng mit dem jüdischen Gemeindezentrum JCC. Sie hat es mitgegründet und geleitet. Doch aus Platzgründen befindet sich der Kindergarten nicht im dreistöckigen Haus unweit der Synagoge. Hier empfängt der technische Mitarbeiter Ron Constantinof, der nach neun Jahren in Israel nach Bukarest zurückkehrte.

Besonders stolz sei er auf den eigenen Radiosender »Shalom Romania«, sagt er. Zwar könne man das Programm bisher nur im Internet hören, aber dort sei es zu einer wichtigen Kommunikationsplattform für junge Juden und auch Nichtjuden geworden. »Hier haben wir für den zweiwöchigen Hebräischkurs geworben, zu dem auch viele Nichtjuden kamen.«

Im angrenzenden Café gibt es jede Woche Sonntag einen israelischen Brunch. Hier finden auch Tanzpartys statt. Trinken kann man an der angrenzenden Bar, neben der sich eine kleine Bibliothek mit israelischen Büchern und Zeitungen befindet.

Spielraum Dieses unauffällige Gebäude in der Popa-Soare-Straße zieht die unterschiedlichsten Juden an, und vor allem viele junge Menschen. »Vor dem Schabbat reihen sich Religiöse, sogar der Chabad-Rabbiner, vor der einzigen Mikwe in Bukarest, die sich hier im Keller befindet«, sagt Constantinof. Die Kinder toben gern im großen Spielraum im Erdgeschoss, dessen Wände ein Schneewittchen ziert, das einen Davidstern um den Hals trägt.

Im Kidduschraum um die Ecke spielt ein Dutzend Senioren Karten. Die älteren Herrschaften haben gerade Mittag gegessen. Sanda Wolf, die die Aktivitäten der Senioren koordiniert, erzählt, dass diese Menschen allein wohnen und jeden Tag hierher gefahren werden, um in Gesellschaft mit anderen zu sein.

»Sie gehen gemeinsam ins Kino, in den Park, in Ausstellungen oder im Sommer in ein Ferienlager.« Ein älterer Mann leitet einen gut besuchten literarischen Salon, in dem auch bekannte Schriftsteller vorlesen. Am Schabbat versammeln sich viele nach dem Gebet im Veranstaltungssaal zum Kiddusch. »Vergangenen Freitag kamen 180 Leute«, sagt Constantinof.

Sportinteressierte Gemeindemitglieder, die es bis zum dritten Stock schaffen, können dort Taekwondo und ab September Nahkampf trainieren. Im Geräteraum macht ein kräftiger Teenager an einer Stange Klimmzüge, danach kann er nebenan duschen oder in die Sauna gehen. Ob die Gemeindemitglieder sich dort näher kennenlernen? Constantinof lächelt.

Der Rabbi sei damals damit einverstanden gewesen, erinnert sich Golda. Wichtig sei ihm nur gewesen, dass am Schabbat und an jüdischen Feiertagen keine Aktivitäten im JCC stattfinden und Männer und Frauen die Sauna zu unterschiedlichen Zeiten besuchen. »Ein Wächter steht dort aber nicht.«

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