Rund 100 anti-israelische Demonstranten drangen am Freitagnachmittag in die zu diesem Zeitpunkt wegen eines Streiks größtenteils verwaisten Redaktionsräume der Tageszeitung »La Stampa« in Turin ein. Sie hinterließen eine wahre Spur der Verwüstung, kippten Mist auf die Treppen, warfen Rauchbomben, rissen Überwachungskameras ab, stießen Stühle um und zerstörten Dokumente. Die Redaktion sei Komplizin eines israelischen Genozids, so die Anschuldigung. Auf die Wände schmierten sie Parolen wie »Fuck Stampa« und »Free Palestine«. Es entstand ein erheblicher Sachschaden.
»La Stampa«-Chefredakteur Andrea Malaguti erklärte, man habe zwar Sicherheitsmechanismen wie Brandschutztüren. Die Attacke sei aber so plötzlich erfolgt, dass keine Zeit geblieben sei, diese zu aktivieren. Die Polizei konnte zwar einige Dutzend der Eindringlinge identifizieren, hat ihre Ermittlungen aber noch nicht abgeschlossen.
Am Montag bekannte sich ein »autonomes Kollektiv« an der Universität Turin in einem Instagram-Post zu der Tat. »Man kann mit den Praktiken, den Methoden und der Terminologie einverstanden sein oder nicht«, schrieben die Aktivisten und fügten hinzu: »Aber man darf nicht in die Falle der Viktimisierung tappen und diejenigen delegitimieren, die sich mobilisieren.« Die Presse und die italienischen Politiker seien korrupt und täten gut daran, »sich Sorgen zu machen«.

Für Unmut sorgte anschließend die italienische Juristin Francesca Albanese, weltbekannt als Sonderbeauftragte des UN-Menschenrechtsrates für die palästinensischen Gebiete und scharfe Kritikerin Israels. Sie verurteilte zwar die Gewalt und betonte, Kritik müsse immer friedlich sein. Doch bei einem Auftritt in Rom sagte Albanese auch: »Dies sei auch eine Mahnung an die ‚Stampa‘, wieder ihre Arbeit zu tun, die Fakten in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen und, wenn sie es sich leisten kann, auch ein Minimum an Analyse und Kontextualisierung zu liefern«.
Meloni: Albaneses Worte sind »schwerwiegend«
Für viele Beobachter in Italien klang das wie ein subtiler Angriff auf die Pressefreiheit. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sprach von »gravissimi parole« – schwerwiegenden Worten – und betonte: »Die Pressefreiheit ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie und darf niemals relativiert werden.« Außenminister Antonio Tajani nannte Albaneses Äußerungen »inakzeptabel« und betonte: »Journalisten den Mund zu verbieten, ist wirklich inakzeptabel«.
Carlo Bartoli, Präsident des italienischen Journalistenverbands, erklärte: »Kritik ist eine Sache. Drohungen, Aggressionen und Einschüchterungen sind eine andere. Ich erinnere Albanese daran, dass italienische Journalisten auch heute noch in Europa am stärksten von Gewalt und einschüchternden gerichtlichen Schritten betroffen sind und einen hohen Blutzoll gezahlt haben. Es darf keine Zugeständnisse an diejenigen geben, die solches Verhalten rechtfertigen. Pressefreiheit ist nicht nur ein Slogan.«

Die Generalsekretärin des Verbands der italienischen Presse, Alessandra Costante, bezeichnete Albaneses Äußerungen als »gefährlich und peinlich«. Sie fügte hinzu: »Sie erinnern eher an eine Drohung als an Solidarität mit den Kollegen von ‚La Stampa‘. Italienische Journalisten brauchen Respekt. Sie brauchen keine Lektionen, weder von pro-palästinensischen noch von pro-israelischen Lobbyisten.«
Synagoge in Rom mit Slogans beschmiert
Doch Francesca Albanese ließ das alles an sich abprallen. »Es scheint, als wollten sie mich fertigmachen«, sagte sie über die Kritiker. »Es gab keinen Ausrutscher, schämt euch. Alles, was ich gesagt habe und weiterhin sage, ist, dass ich Gewalt verurteile und den Angriff auf ‚La Stampa‘ verurteile«. Um dann hinzuzufügen: »Gewalt, selbst innerhalb eines gewalttätigen Systems, stärkt letztendlich das System, das uns unterdrückt.«
Der Angriff von Turin war nicht der einzige. In Rom wurden im Stadtteil Monteverde in der Nacht zum Montag die Synagoge Beth Michael mit den Slogans »Free Palestine« und »Monteverde antizionistisch und antifaschistisch« beschmiert.
»Antisemitismus ist zu einem Instrument des politischen Protests geworden«, sagte der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Roms, Victor Fadlun. »Eine Synagoge anzugreifen bedeutet, das Recht der Juden auf ein normales Leben zu missachten und zu verletzen. Und das ist nicht akzeptabel«, so Fadlun.