Imanuels Interpreten (1)

Flora Purim: Das Unikum

Flora Purim 1988 im Londoner Club »Ronnie Scott’s« Foto: picture alliance / Images of Jazz/Heritage Images

Wenn du deine Stimme wie ein Instrument einsetzt, bist du Flora Purim. Wenn du keinen Bogen um Disharmonien machst, bist du Flora Purim. Wenn dein Wiedererkennungswert nicht höher sein könnte, bist du Flora Purim. Wenn Fusion mit brasilianischem Einfluss dein Genre ist, bist du Flora Purim.

Du bist Flora, wenn du beim Singen die Augen schließt und regelrecht in der Welt der Musik versinkst – und wenn deine Stimme seit Return to Forever zu deinen Genres gehört wie die Sonne (und leider auch erhebliche Probleme) zu deinem alten und neuen Heimatland Brasilien. Du bist der Star, der sechs Oktaven abdeckt.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Flora Purim: »Corine« (1979, geschrieben von George Duke)

Als viele von uns noch nicht geboren waren, im Jahr 1964, stand eine 22-jährige brasilianische Sängerin mit einem unglaublichen Organ im Studio, um ihr erstes Album »Flora é m.p.m.« aufzunehmen.

Wer den Title Track dieser Schallplatte heute – 60 Jahre später – hört, wird feststellen, dass sich Flora Purim seither treu geblieben ist. Schon ihre frühen Songs, deren Genre damals grob als Musica Popular Brasilieira (MPB) identifiziert werden konnte, enthalten Passagen, in denen sie mit »La La«- oder »Ba Ba«-Gesang improvisierte – ganz als wäre ihre Stimme ein Instrument. Jahrzehnte später ist genau dies weiterhin eines ihrer zentralen Markenzeichen.

Musikalische Entfaltung

Diese Geschichte begann allerdings noch viel früher - vor 82 Jahren: Am 6. März 1942 bekamen die Pianistin Rachel Vaisberg und der Violinist Naum Purim in Rio de Janeiro, der schönsten Stadt der Welt, eine Tochter, der sie den schönsten Namen der Welt gaben: Flora.

Als sie sich bei der Geburt schreiend in dieser Welt bemerkbar machte, war noch nicht klar, dass eben diese Stimme in die Musikgeschichte eingehen würde. Ihre Mutter kam aus einer brasilianisch-jüdischen Familie, ihr Vater hatte rumänisch-ukrainisch-jüdische Wurzeln.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Flora Purim: »A Morte De Um Deus De Sal« (1964, erstes album)

Flora Purim, deren Schwester Yana ebenfalls Jazz-Sängerin ist, folgt als Jüdin auch dem Bahai-Glauben. Niemand geringerer als Dizzy Gillespie führte sie in diese Richtung. »Er hat mir sogar sein Gebetbuch gegeben«, sagte sie einst.

Nach ihrem Debüt-Album trat Flora Purim dem Quarteto Novo bei, einer Formation, die von ihrem späteren Ehemann Airto Moreira, einem mehr als brillanten Perkussionisten, sowie dem Genie und Multiinstrumentalisten Hermeto Pascoal geleitet wurde. Das große Experimentieren, das seither nie endete, konnte nun beginnen – ebenso wie die Weiterentwicklung ihrer sanften sowie vor allem unverkennbaren Stimme, die im Bedarfsfall auch »bluesy« und laut werden kann. Meister Pascoal half ihr mit dem Training.

Allerdings gab es politische Probleme in Brasilien - nach dem Militärcoup von 1964. Flora Purim und Airto Moreira verschwanden in die Vereinigten Staaten, wo ihre Tochter Diana geboren wurde. Jahrzehnte später gab Diana an, ihre Eltern seien mit ihr »durch die Gegend gezogen wie Gypsies«, was sie in jeder Hinsicht liebevoll meinte. In den USA entfaltete sich die ganze Familie musikalisch weiter.

Unlängst gab die Ausnahme-Sängerin Flora Purim in einem Interview einen weiteren Grund für ihren Umzug an: »Ich bin in die USA gegangen, um meine Idole zu treffen.« Ihr ging es darum »zu sehen, wie sie die Musik spielten, die sie spielten, und wie sie lebten. Ich wollte wissen, was sie aßen und wie sie sich kleideten.«

Wenig ruhmreich

Flora Purims trommelnder Mann und sie selbst kooperierten mit wahren Größen, darunter Stan Getz und Gil Evans. Dann traten sie dem Fusion-Projekt Return to Forever (RTF) des Pianisten und Komponisten Chick Corea bei. Flora Purims Stimme dominiert die ersten beiden Alben dieser Formation.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Flora Purim: »Mojave Crossing« (1994, vom Album »Speed of Light«)

Es folgten Aufnahmen und Konzerte mit Carlos Santana, Dizzy Gillespie, Freddie Ravel, Billy Cobham und eine enge Zusammenarbeit mit dem Komponisten, Pianisten und Arrangeur George Duke, dessen Stücke sie zum Teil auf ihren eigenen Alben interpretierte – mit ihm selbst an den Tasten.

Purims eigene Diskografie wurde mit der Zeit länger. Ihre Studioarbeit in Nordamerika begann 1973 mit dem Album »Butterfly Dreams«, das eine gesungene Version von George Dukes »Love Reborn« enthielt, der Platte »Stories to Tell« mit Milton Nascimentos »Vera Cruz« und der Aufnahme »Open Your Eyes You Can Fly« mit RTF-Material.

Inzwischen hatte sich eine einzigartige Melange aus Fusion, brasilianischen Klängen und Contemporary Jazz zu ihrem Steckenpferd entwickelt. De facto schuf sie ihr eigenes Genre. Nennen wir es das Purim-Genre.

Flora Purim mit Airto Moreira im Juni 1978Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Heute sind es 21 Solo-Alben, die Flora Purim seit 1964 aufgenommen hat. Hinzu kommen zahlreiche Platten, die sie mit Ehemann Airto Moreira und anderen Kooperationspartnern einspielte. Es ist eine beeindruckende Liste, deren Beschreibung ein ganzes Buch füllen könnte. Leicht verdaulich sind die meisten ihrer Aufnahmen nicht. Flora Purim, die inzwischen wieder im brasilianischen Curitiba lebt, macht Musik zum Zuhören.

Ein wenig ruhmreiches Kapitel, das sich eher zum Weghören eignet, gab es allerdings auch: Von 1974 bis 1976 war sie anderthalb Jahre lang im Gefängnis, wegen Kokainbesitzes. Während der Haft organisierte sie ein Konzert im »Terminal Island«-Knast von Los Angeles, zu dem Airto Moreira, George Duke, der Drummer Leon Ndugu Chancler und der Star-Altosaxophonist Cannonball Adderley zum Mitspielen anreisten.

Stillen und singen

Ein weiterer Fehler: Sie ließ sich von Chick Corea dazu überreden, der Scientology-Sekte beizutreten. Dies dauerte jedoch nur einen Moment: »Ich war sofort wieder weg«, sagte sie vor Jahren.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Flora Purim: »Some Time Ago« (1976, Interpretation des RTF-Klassikers)

Wie viele Solo-Künstlerinnen gibt es im Bereich Fusion oder verwandten Genres? Terry Lynne Carrington, Patrice Rushen, Barbara Dennerlein, Sarah Morrow, Althea René und ein paar mehr. Flora Purim war eine der ersten Frauen, die in diese Männerdomäne vorrückten. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, wird es noch bis zum Jahr 3000 dauern, bis auch hier quantitative Gleichberechtigung herrscht. Aber ohne Flora Purim wären wohl noch einige Jahrhunderte mehr ins Land gegangen.

Wer singt beim Stillen eines Babys – und dies auch noch im Studio? Flora Purim. Töchterchen Diana war wenige Wochen alt, als sie mit RTF »Light as a Feather« aufnahm. »Es tat weh, aber ich habe es mir nicht anmerken und den Schmerz nicht in die Musik einfließen lassen.«

Wer ist Teil des besten Santana-Albums »Borboletta«? Flora Purim. Wer traf Janis Joplin bei einem Miles Davis-Konzert und wurde ihre gute Freundin? Wer schrieb und schreibt weiterhin Musikgeschichte?

Du bist Flora Purim. Es gibt dich nur einmal.

»Imanuels Interpreten« ist eine Kolumne über jüdische Musiker von Imanuel Marcus. marcus@juedische-allgemeine.de

»Imanuels Interpreten«

Allee Willis: Die bekannteste Unbekannte

Sie ist die Unbekannte hinter Songs, von denen einige die Welt im wahrsten Sinne des Wortes bewegt haben. Ihr Motto: »Der Text darf nie mit dem Groove kollidieren«

Milcho Leviev, der Bossa Nova und die Kommunisten

Der Pianist: »Ich wusste, dass ich Bulgarien verdammt zügig verlassen musste«

Lalo Schifrin: Der argentinische Alleskönner

Das Genie komponierte alles – von Bossa Nova bis hin zu Sinfonien. Seine bekannteste Komposition dürfte die Filmmusik für »Mission Impossible« sein. Nun ist Lalo Schifrin mit 93 Jahren gestorben.

Geddy Lee: Der Rock-Tenor

Der Sohn polnischer Holocaustüberlebender ist einer der prominentesten Musiker Kanadas. Bis 2015 war er Mitglied des Progressive Rock-Trios Rush

Der dritte Barry

In den 70er Jahren gab es drei Superstars, die Barry hießen: Barry White, Barry Gibb und Barry Manilow. Auf letzterem jüdischen Genie hackten Kritiker stets herum. Seine Millionen Fans ignorierten die Schelte

Peter Herbolzheimer: Der Bigband-Held

Der jüdische Posaunist, Komponist, Arrangeur, Bandleader und Produzent rettete Bigbands, gründete seine eigene und wurde Jazz-Rock-Pionier

Carly Simon: Das Phänomen

Die Sängerin und Songschreiberin mit jüdisch-deutschem Familienhintergrund führt ein aufregendes, filmreifes Leben – Verbindungen zu einer singenden Katze, einem rollenden Stein, zu Albert Einstein und James Bond inklusive

Der bessere Donald

Der Keyboarder, Sänger und Komponist Donald Fagen gibt der Pop-Musik etwas, das sie dringend braucht: eine große Portion Qualität

Berlin

Prozess um Attentat am Holocaust-Mahnmal fortgesetzt

Das überlebende Opfer, der 31-jährige spanische Tourist Iker M., wollte am Mittwoch persönlich vor dem Kammergericht aussagen

 03.12.2025

Sydney

Jüdische Organisationen prangern »Geißel« Antisemitismus an

Im Fokus steht dieses Mal Australien. Es ist Gastgeber einer Konferenz der internationalen jüdischen Initiative »J7«. Sie stellt Zahlen zu Judenhass auf dem Kontinent vor - und spricht von historischen Höchstständen

von Leticia Witte  02.12.2025

New York

Das sind die Rabbiner in Mamdanis Team

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat Mamdani keinen Ortodoxen in seine Übergangsausschüsse berufen – eine Lücke, die bereits im Wahlkampf sichtbar wurde

 02.12.2025

Dänemark

Männer sollen 760.000 Euro für die Hamas gesammelt haben

Am Dienstagmorgen nahm die Polizei einen 28-Jährigen fest. Sein mutmaßlicher Komplize sitzt bereits in U-Haft

 02.12.2025

Italien

Francesca Albanese und ihre »Mahnung« an die Presse

In Turin wurden die Redaktionsräume von »La Stampa« von Demonstranten verwüstet. Die Reaktion der UN-Sonderbeauftragten für die Palästinensergebiete verstörte viele

von Michael Thaidigsmann  02.12.2025

Jüdisches Leben im Libanon

Noch immer hat Beirut eine Synagoge, aber die Gläubigen nehmen ab

Einst war Libanon ihr Zufluchtsort, dann kam der Bürgerkrieg, und viele gingen. Doch nach wie vor gehören Juden zu den 18 anerkannten Religionsgruppen im Libanon - auch wenn nur noch wenige im Land leben

von Andrea Krogmann  02.12.2025

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

Interview

»Meinungsvielfalt gilt es auszuhalten« 

Am 8. Dezember wählt die Gemeindeversammlung der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ein neues Präsidium. Ein Gespräch mit den Kandidaten über Herausforderungen an die Gemeinde, Grabenkämpfe und Visionen

von Nicole Dreyfus  01.12.2025

Italien

Der Anti-Banksy

AleXsandro Palombo unterstützt mit seiner Kunst Israel, anstatt es zu verdammen

von Federica Matteoni  01.12.2025

Haifa

Nach abgesagter Auktion: Holocaust-Zeugnisse jetzt in Israel

Die geplante Versteigerung von Holocaust-Zeugnissen in Deutschland hatte für große Empörung gesorgt. Nun wurden viele der Objekte nach Israel gebracht und sollen dort in einem Museum gezeigt werden

von Sara Lemel  01.12.2025