Linguistik

Falsch übersetzt?

null Foto: null

Ist Spanien wirklich die Heimat der sefardischen Juden? Und wenn nicht – wo ist dann Sefarad zu suchen? Die angesehene Madrider Tageszeitung El País hat kürzlich in einem Artikel versucht, eine Antwort auf diese Frage zu finden.

Gleich zu Beginn des Beitrags legt der Autor seine Karten auf den Tisch: »Am wahrscheinlichsten ist, dass mit der Bezeichnung Sefarad ursprünglich nicht die Iberische Halbinsel gemeint war. Das heißt, die Verbindung zwischen beiden gründet auf einem Irrtum.« Konkret: auf einer Nachlässigkeit jenes Mannes, der vor rund 2000 Jahren die Hebräische Bibel ins Aramäische übersetzt hat.

Negev Im biblischen Buch Obadja heißt es über die Rückkehrer aus der babylonischen Gefangenschaft: »Die Mehrzahl der aus Israel Verschleppten wird sich in Kanaan niederlassen bis hin zu Sarepta. Und die Verschleppten aus Jerusalem, die in Sefarad sind, werden die Städte des Negevs bewohnen« (Obadja 1,20).

Wo nun Sefarad zu finden ist, darüber wird kein Wort verloren. Als mehrere Jahrhunderte später dieser Teil der Bibel in das damals geläufige Aramäisch übertragen wurde, schrieb man – aus bis heute völlig unerklärlichen Gründen – statt Sefarad Aspamia, ein Begriff, den die Juden mit Spanien gleichsetzten. Damit waren die Würfel gefallen.

»Der Gebrauch des Wortes Sefarad in jüdischen Kreisen für die Iberische Halbinsel fing an, in den Dokumenten, die aus der Goldenen Zeit des andalusischen Judentums im Mittelalter überliefert sind, eine Rolle zu spielen«, schreibt El País. So unterzeichnete Maimonides (1135–1204), einer der bedeutendsten jüdischen Gelehrten, seine Briefe mit dem Zusatz »El Sefardi«.

Iberische Halbinsel Für Javier Castano, Mitarbeiter beim Consejo Superior de Investigaciones Cientificas (CSIC), der größten öffentlichen Forschungseinrichtung Spaniens, und langjähriger Chefredakteur der Zeitschrift Sefarad, ist diese Bezeichnung, wie er sagt, »mehrdeutig«. Sie habe sich mit der Zeit entwickelt und sich den politischen Realitäten und geografischen Gegebenheiten angepasst. »Gegenwärtig ist man davon überzeugt, dass sie als hebräischer Gegenbegriff zum arabischen ›Al Andalus‹ und dem lateinischen ›Hispania‹ benutzt wurde, als eigene Wortschöpfung für die ganze Iberische Halbinsel, oder für Spanien.«

Wo aber lag nun das ursprüngliche Sefarad? Für José Ramón Ayaso, Professor für die Geschichte Israels und des jüdischen Volkes an der Universität von Granada, ist es »absolut unmöglich, dass Sefarad in Spanien zu suchen ist, weil im sechsten Jahrhundert v.d.Z., als das jüdische Volk aus der babylonischen Gefangenschaft entlassen wurde, die lokalen Reiche ihre Gefangenen nicht in entfernte Gebiete verschleppten. Als das römische Imperium schon existierte, dachte sich der Übersetzer: Wo könnte der am weitesten entfernte Punkt sein, wo man einen Gefangenen hinschickt? In dieser Zeit war das die Iberische Halbinsel.«

Nach derzeitigem Forschungsstand hat es sich bei Sefarad vermutlich um Sardes gehandelt, die Hauptstadt des antiken Königreiches Lydien, das sich auf dem Boden der heutigen Türkei befand. Bei Ausgrabungen entdeckte man dort vor einiger Zeit eine aramäische Inschrift, die eine Stadt benannte: »s – p – r – d«. Das sind dieselben vier Konsonanten, die auch im hebräischen Text der Bibel vorkommen und »Sefarad« gelesen werden.

Zweifel Als Verfechter der herkömmlichen These erwies sich zeit seines Lebens David Neiman (1921–2004), Professor für biblische Studien an der renommierten amerikanischen Brandeis-Universität und an der American Jewish University in Los Angeles. Neiman hat lange über Juden in Spanien geforscht. Für ihn gab es keinen Zweifel daran, dass mit Sefarad die Iberische Halbinsel gemeint war. Seiner Ansicht nach ließen sich die Söhne und Töchter Israels an der Mittelmeerküste nahe Tarragona nieder.

Neiman stützte seine These auf Aufzeichnungen des griechischen Geografen und Geschichtsschreibers Strabon (63 v.d.Z. bis 23 n.d.Z.), der diesen Landstrich »Erde von Esparta« nannte. Esparta, so Neiman, sei vermutlich eine Weiterentwicklung des Wortes Sfarda gewesen. »Aus einem noch unbekannten Grund verwendeten die spanischen Juden den Namen eines Ortes, um ihn auf das ganze Land zu übertragen.«

Für die Sefarden selbst gab es nie einen Zweifel daran, wo ihre ursprüngliche Heimat zu suchen war – nämlich dort, wo sie lebten: zwischen den Pyrenäen und Gibraltar, zwischen Mittelmeer und Atlantik. »Sie bestanden auf der Vorstellung, dass sie eigentlich aus Jerusalem kamen, aus dem Hause von König David«, erklärt José Ramón Ayaso.

Später, in den Jahren der Verfolgung durch die Christen, betonten sie, um ihr Leben zu retten, dass ihre Vorfahren schon in Spanien ansässig waren, bevor Jesus überhaupt geboren wurde. Sie konnten also nicht haftbar gemacht werden für seinen Tod, der Juden jahrhundertelang angelastet wurde. Doch ihren Verfolgern war das gleichgültig.

Großbritannien

Warten auf »Bridgerton«

Die Sehnsucht nach der vierten Staffel des Netflix-Hits ist groß. Aber wie war eigentlich das reale jüdische Leben in der Regency?

von Nicole Dreyfus  29.06.2025

Glastonbury Festival

Kritik an antiisraelischen Parolen

Neben der Musik sorgt Hetze gegen Israel für Aufsehen – mit Folgen für die BBC, die alles live übertragen hat

 29.06.2025

Glastonbury

Bob Vylan ruft »Death, death to the IDF« – BBC überträgt es

Beim größten Open Air Festival Großbritanniens rufen Musiker antiisraelische Parolen

 28.06.2025

Militär

Name des schwulen Bürgerrechtlers Harvey Milk von US-Kriegsschiff gestrichen

Das nach Milk benannte Versorgungsschiff heißt jetzt »USNS Oscar V. Peterson«

 28.06.2025

Meinung

Francesca Albaneses Horrorshow

Die UN-Berichterstatterin verharmlost den Hamas-Terror und setzt die Israelis mit den Nazis gleich. Mit ihren Ansichten tourt sie nun durch die Schweiz

von Nicole Dreyfus  30.06.2025 Aktualisiert

Aufarbeitung

Brasilien entschädigt Familie von jüdischem Diktaturopfer

Vladimir Herzog gehört zusammen mit dem ehemaligen Abgeordneten Rubens Paiva zu den bekanntesten Diktaturopfern

 27.06.2025

Buenos Aires

Anschlag auf Juden in Argentinien: Prozess nach mehr als 30 Jahren

Am 18. Juli 1994 waren beim Anschlag auf das jüdische Kulturzentrum AMIA 85 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt worden

 27.06.2025

USA

Die Social-Media-Bändigerin

Die pro-israelische Influencerin Montana Tucker liefert Lehrstücke der modernen Kommunikation im Akkord. Zeit, sich die junge Frau, die mit Tanzvideos berühmt wurde, genauer anzusehen

von Sophie Albers Ben Chamo  26.06.2025

Balkan

Bosnien entschuldigt sich bei Rabbinerkonferenz

Über eine Tagung der Europäischen Rabbinerkonferenz in Sarajevo kam es zum judenfeindlichen Eklat. Mit der jetzt erfolgten Entschuldigung ist der Fall indes noch nicht bereinigt

 26.06.2025