Rom

»Möglich, dass ich gerufen werde«

Rabbiner Riccardo Di Segni Foto: imago/ZUMA Press

Rabbiner Di Segni, die italienische Regierung hat wegen der Corona-Epidemie eine Ausgangssperre verhängt. Wie halten Sie unter diesen Umständen das Gemeindeleben aufrecht?
Das jüdische Leben spielt sich derzeit vor allem elektronisch ab, das ist die einzige Möglichkeit. Unser Vorstand trifft sich per Skype, und in unseren Schulen sind wir komplett auf Online-Unterricht umgestiegen. Ich habe gerade eine Unter­richtsstunde beendet, und heute Abend gebe ich einen Online-Schiur für die ganze Gemeinde. Was die Gebete betrifft, ist die Lage komplizierter, denn die Synagogen sind geschlossen. Wir können nicht im Minjan beten, das ist der traurigste Teil der Situation derzeit in unserer Gemeinde. Jeder betet für sich allein zu Hause.

Erlauben Sie Ihren Mitgliedern jetzt Dinge, die sonst halachisch verboten sind?
Manche Verfahren sind jetzt sehr vereinfacht, zum Beispiel bei Beerdigungen. Da gibt es ein Problem mit Taharat HaMetim, der Totenwäsche. Wir können sie zurzeit nur sehr vereinfacht machen. Ein anderes Problem bei Beerdigungen ist, dass man ja zum Kaddischsagen einen Minjan braucht, und den kriegen wir jetzt nicht immer zusammen. Wenn es doch klappt und es trotz Ausgangssperre alle zehn Beter tatsächlich zum Friedhof geschafft haben, dann müssen wir aufpassen, dass der räumliche Abstand zueinander groß genug ist. Ein anderes Problem sind Trauungen. Wenn eine Hochzeit nicht aufgeschoben werden kann, dann darf sie zwar stattfinden, aber nur in Privaträumen und mit einer äußerst begrenzten Anzahl von Gästen.

Seit einigen Tagen sind Besuche im Altenheim der Gemeinde nicht mehr erlaubt. Wie sorgen Sie dafür, dass die älteren Mitglieder trotzdem nicht vereinsamen?
Das Personal, das dort arbeitet, kümmert sich sehr gut um die Bewohner. Problematischer ist es für die älteren Gemeindemitglieder, die nicht im Altenheim leben. Doch wir haben eine Organisation in der Gemeinde, die sich um diese alten Menschen kümmert, mit ihnen telefoniert und ihnen Essen bringt sowie die Medikamente, die sie benötigen.

Wie gehen Sie als Rabbiner mit den besonderen Ängsten und Sorgen um, die Ihre Gemeindemitglieder dieser Tage haben?
Es gibt keine spezifisch jüdischen Ängste. In dieser besonderen Situation ist die gesamte Bevölkerung besorgt. Wir versuchen, innerhalb der Gemeinde so viel wie möglich miteinander zu kommunizieren – vor allem mit denen, die es jetzt besonders brauchen.

Wie arbeitet jetzt, da man das Haus nicht verlassen darf, der Krankenbesuchsdienst Bikkur Cholim in Ihrer Gemeinde?
Tja, wir können die Aufgabe dieser Tage nicht wirklich erfüllen. Wir versuchen es per Telefon. Aber wir können nur tun, was uns erlaubt ist.

Bald ist Pessach. Wird sich die Epidemie auf das Fest auswirken?
Das wissen wir noch nicht. Wir kümmern uns zurzeit sehr um die Speisen und Getränke für Pessach. Und wir hoffen, dass uns das gelingt. Aber vor allem machen wir uns Gedanken über die Sederfeiern in der Gemeinde. Vermutlich wird es sie dieses Jahr nicht geben können, sondern nur private Sederfeiern. Ja, das ist eine äußerst schwierige Situation.

Aber werden Sie in Rom genug Mazze haben?
Hoffentlich ja! Denn normalerweise reisen viele Gemeindemitglieder über Pessach nach Israel, da könnte es diesmal schon ein wenig knapp werden.

Sie sind nicht nur Rabbiner, sondern auch Arzt. Wie sind Sie in diesen Tagen als Mediziner mit der Corona-Epidemie konfrontiert?
Ich habe früher als Radiologe gearbeitet, bin aber schon seit Jahren in Rente. Doch falls demnächst tatsächlich Ärzte fehlen sollten, kann es sein, dass ich zurückgerufen werde.

Mit dem Oberrabbiner von Rom sprach Tobias Kühn.

Nachruf

Letzter Kämpfer des Aufstands des Warschauer Ghettos gestorben

Michael Smuss wurde 99 Jahre alt

 24.10.2025

Wien

Nobelpreisträger warnt vor technischer Abhängigkeit von den USA

Joseph E. Stiglitz kritisiert Präsident Trump und ruft Wissenschaft und Medien zur Verteidigung der Medienfreiheit weltweit auf

von Steffen Grimberg  24.10.2025

Polen

Antisemitische Hetzer verhindern Konzert jüdischer Musiker

Der Chor der Pestalozzi-Synagoge in Berlin war eingeladen, in Września gemeinsam mit dem dortigen Kinderchor den Komponisten Louis Lewandowski zu ehren. Nach Hetze und Drohungen wurden alle Veranstaltungen abgesagt

von Sophie Albers Ben Chamo  23.10.2025

Großbritannien

Jiddisch verbindet

Zwischen Identitätssuche, Grammatik und Klezfest. Unsere Autorin war beim Sprachkurs »Ot Azoy« in London

von Sabine Schereck  23.10.2025

Rabbiner Noam Hertig aus Zürich

Diaspora

Es geht nur zusammen

Wie wir den inneren Frieden der jüdischen Gemeinschaft bewahren können – über alle Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten hinweg

von Rabbiner Noam Hertig  23.10.2025

Großbritannien

Ärztin wegen antisemitischer Agitation festgenommen

Dr. Rahmeh Aladwan wurde vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen, weil sie die Hamas-Verbrechen vom 7. Oktober verherrlicht hatte. Nun muss der General Medical Council über ihre Approbation entscheiden

von Michael Thaidigsmann  22.10.2025

Regierungsrätin und Vorsteherin der Gesundheitsdirektion Natalie Rickli lehnte die unverbindliche Anfrage des Bundes ab, 20 Kinder aus Gaza in der Schweiz aufzunehmen.

Schweiz

Kinder aus Gaza bald in Zürich?

In der Schweiz wird eine politische Debatte darüber geführt, ob verletzte Kinder aus dem Gazastreifen aufgenommen werden sollen

von Nicole Dreyfus  22.10.2025

Mexiko

»La Doctora« liefert

Die Sozialdemokratin und Physikerin Claudia Sheinbaum ist seit einem Jahr Präsidentin. Eine erste Bilanz

von Michael Ludwig  21.10.2025

Charlotte (North Carolina)

Schachgroßmeister Daniel Naroditsky mit 29 Jahren gestorben

Das Charlotte Chess Center würdigt ihn als »herausragenden Schachspieler, Lehrer und geliebten Freund«

 21.10.2025