Srebrenica-Bericht

Empörung über Gideon Greif hält trotz »Klarstellung« an

Es gibt Neues von Gideon Greif. Im Dezember hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier entschieden, dem israelischen Historiker und Holocaust-Experten nun doch nicht das Bundesverdienstkreuz zu verleihen. Grund war Greifs Rolle als Vorsitzender einer von der nationalistischen Regierung der bosnischen Teilrepublik Republika Srpska eingesetzten Kommission zum Massenmord in Srebrenica, die im Juli vergangenen Jahres ihren Bericht vorlegte.

WIDERSPRUCH Darin bestreiten Greif und seine Kollegen, dass das Massaker in und um die Kleinstadt Srebrenica im Juli 1995 ein Genozid gewesen ist. Im Abschlussbericht wird behauptet, dass die Mehrzahl der mehr als 8000 Opfer nicht von serbischen Milizen erschossen wurden. Die Schlussfolgerungen der Kommission standen in eklatantem Widerspruch zu Urteilen des Internationalen Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien, in denen die Massaker als Völkermord bezeichneten.

Greif wurde nach der Vorstellung des Berichts von einem TV-Sender interviewt. Dort gab er zwar zu, seine Kommission habe nicht alle verfügbaren Unterlagen zu Srebrenica einsehen können. »Wir waren aber der Wahrheit treu«, beteuerte er. Und sagte dann einen Satz, für den er später hart kritisiert wurde: »Ich bin jüdisch. Ich weiß, was Genozid bedeutet. Ich gehöre zu den alten Leuten, die dem größten Genozid in der Geschichte ausgesetzt waren. Mir braucht niemand sagen, was ein Genozid ist. Dieses Ereignis [Srebrenica] war kein Genozid. Definitiv nicht.«

Der 1951 in Tel Aviv geborene Greif ging sogar noch weiter: »Diejenigen, die diesen Begriff verwenden, verfolgen schlechte Absichten«, unterstellte er.

PROTEST An der für November in Israel geplanten Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Historiker – der sich vor allem durch seine Forschungen zu den sogenannten »Sonderkommandos« im NS-Todeslager Auschwitz-Birkenau einen Namen gemacht hat – entzündete sich kurz nach ihrem Bekanntwerden heftige Kritik - vor allem in Bosnien. Das Bundespräsidialamt gab daraufhin bekannt, die Auszeichnung für den Historiker werde überprüft. Einige Wochen später wurde bekannt, dass Greif die Auszeichnung wieder aberkannt werden würde.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Jetzt zitierte die israelische Tageszeitung »Haaretz« den 71-Jährigen mit den Worten, es werde in  den kommenden Wochen eine »Klarstellung« des Kommissionsberichts über die »Leiden aller Menschen in der Region Srebrenica zwischen 1992 und 1995« veröffentlichen. Vor allem die Tatsache, dass er im Fernsehen nach Vorstellung des Kommissionsberichts von 3000 bosniakischen Opfern serbische Todeskommandos gesprochen haben und nicht von 8000, sei falsch gewesen, sagte Greif.

Er beharrte aber darauf, dass die Schlussfolgerungen seiner Expertenkommission nach wie vor richtig seien. »Wir haben nicht ein einziges Opfer herabgesetzt. Nicht ein einziges Opfer. Es war mein persönlicher Fehler, also werden wir ihn korrigieren, um die Wahrheit zu veröffentlichen, und ich denke, die Kontroverse um die Kommission wird dann deutlich nachlassen«, wurde Greif von »Haaretz« zitiert.

»Von Anfang an«, so der Historiker mit deutschen Vorfahren, sei die Zahl von 8000 Srebrenica-Opfern von seinem Gremium anerkannt worden. »Wir verzerren sie nicht; wir akzeptieren sie. Natürlich prangern wir diese Verbrechen an, natürlich. Und wir werden das in unserer Aufklärung noch stärker tun«, sagte er der israelischen Zeitung.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Die gegen ihn gerichtete Kritik empfinde er als ungerecht: »Wir hatten keine bösen Absichten, wir hatten nicht die Absicht, die Geschichte zu verfälschen, wir hatten nicht die Absicht, die Täter von ihrer Schuld freizusprechen«, behauptete er. »Wir stehen zu unserem Bericht, aber wir werden die Dinge für die Öffentlichkeit deutlicher machen«, sagte er.

TATSACHEN Der Balkan-Kenner Konstanty Gebert ist über Greifs Vorgehen entsetzt. Der polnisch-jüdische Journalist war in den 90er-Jahren als Reporter für die Tageszeitung »Gazeta Wyborcza« in Jugoslawien unterwegs und berichtete über den Krieg dort. Zehn Tage nach dem Massaker war Gebert mit dem früheren polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki in Bosnien, um Überlebende des Bürgerkriegs zu befragen.

Der Jüdischen Allgemeinen sagte Gebert: »Gideon Greif hat als Holocaust-Forscher zweifellos herausragende Arbeit geleistet. Aber was er als Vorsitzender der Srebrenica-Kommission getan hat, war unerhört.«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Es spreche nichts dagegen, historische Fakten zu überprüfen, selbst wenn man sich damit gegen die herrschende Meinung stelle, so Gebert. »Was man aber nicht tun kann, ist, Tatsachen zu verdrehen, die Wahrheit zu manipulieren, weltbewegende Schlussfolgerungen zu präsentieren, ohne auch nur ein Fitzelchen an neuen Beweisen vorzulegen, die diese Schlussfolgerungen untermauern können.« Genau das habe die Greif-Kommission im Fall von Srebrenica getan, sagt der Pole.

DEFINITION Gebert weiter: »Greif hätte sagen können, dass er nicht mit der UN-Völkermordkonvention oder der darin enthaltenen Definition von Genozid einverstanden ist, dass er eine andere Definition bevorzugt. Aber er hat das nicht getan. Stattdessen hat er seine Kritiker beschuldigt, sie seien bosnische Muslime, deren Vorfahren während des Zweiten Weltkriegs Hand in Hand mit der SS Juden getötet hätten. Was für eine Unverschämtheit - vor allem angesichts der Tatsache, dass es Greif ist, der verzweifelt versucht, eine Auszeichnung just von jenem Land zu bekommen, das - wenn diese Analogien zum Zweiten Weltkrieg überhaupt legitim sind - die SS erst nach Jugoslawien geschickt hat!«

Die Art und Weise, wie Greif mit der ganzen Angelegenheit umgehe, mache ihn auch im Hinblick auf dessen frühere Recherchen zum Holocaust misstrauisch, sagte Gebert am Donnerstag im Gespräch mit dieser Zeitung.

SCHADENSBEGRENZUNG Ähnlich harsch äußerte sich auch der Jurist und stellvertretende Geschäftsführer des Jüdischen Weltkongresses, Menachem Rosensaft. Er hält Greifs Vorgehen, die im Kommissionsbericht vom Juli 2021 gemachten Aussagen neuzuinterpretieren, für einen »verzweifelten Versuch der Schadensbegrenzung«.

Rosensaft sagte der Jüdischen Allgemeinen: »Mit jeder neuen öffentlichen Äußerung reitet sich Gideon Greif immer tiefer hinein in den Schlamassel. Erst machte er sich zum nützlichen Idioten der Politiker in Banja Luka, verharmloste das Verbrechen von Srebrenica und setzte damit seinen guten Ruf als Historiker aufs Spiel. Und jetzt handelt er immer mehr so, wie das auch Holocaustleugner tun: durch das Ignorieren oder Kleinreden juristisch längst mehrfach bestätigter Tatsachen und durch das Schaffen eines falschen Narrativs. Am Schlimmsten ist aber, dass Greif jetzt eine Täter-Opfer-Umkehr vornimmt, indem er eine muslimische Kampagne gegen ihn persönlich unterstellt und nun sogar die Aberkennung des Verdienstordens auf eine Stufe stellt mit der Ermordung der Juden durch Nazi-Deutschland. Es ist nur noch grotesk!«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Ob die Bundesregierung den israelischen Historiker im Fall wegen der angekündigten Veränderung des Srebrenica-Berichts erneut für den Verdienstorden in Betracht ziehen wird, erscheint sehr unwahrscheinlich. Die Kontroverse hat große Wellen geschlagen, Bundespräsidialamt und Auswärtiges Amt mussten harte Kritik einstecken.

Die Zeremonie zur Verleihung des Verdienstkreuzes an Greif und an die frühere Knessetabgeordnete und israelische Diplomatin Colette Avital durch Deutschlands Botschafterin in Tel Aviv, Susanne Wassum-Rainer, wurde kurzerhand annulliert, Avital wartet immer noch auf die Verleihung der Auszeichnung an sie.

Mittlerweile sei Gideon Greif vermutlich auch für die Regierung der Republika Srpska zu einer Belastung geworden, vermutet Menachem Rosensaft. »Er war, um es mit dem geflügelten Wort zu sagen, ‚ein nützlicher Idiot‘ für den Serbenführer Milorad Dodik. Nach dem, was in den letzten Wochen passiert ist, ist er wohl nicht einmal das mehr. Wenn ich Dodik wäre, würde ich mein Geld zurückverlangen.«

Meinung

Die Columbia und der Antisemitismus

Ein neuer Bericht offenbart: An der US-Eliteuniversität sind die Nahoststudien ideologisch einseitig und jüdische Studenten nicht sicher. Es ist ein Befund, der ratlos macht

von Sarah Thalia Pines  22.12.2025

Frankreich

Jüdische Kinder vergiftet, aber Antisemitismus spielt keine Rolle

Ein Kindermädchen, das ihre jüdischen Arbeitgeber vergiftet hatte, wurde nun in Nanterre verurteilt - allerdings spielte ihr Antisemitismus im Urteil keine Rolle. Das sorgt für Protest

 22.12.2025

Australien

Gedenken am Bondi Beach – Forderung nach Aufklärung

Kerzen, Schweigen, Applaus und Buh-Rufe: Am Strand in Sydney trauern Tausende um die Opfer des Anschlags. Was die jüdische Gemeinde und Australiens Politik jetzt fordern

 22.12.2025

Belgien

IS droht mit Anschlägen auf Synagogen und Kirchen

Die Hintergründe

 18.12.2025

Sydney

Jüdische Bäckerei schließt wegen Antisemitismus

Nach Jahren der Anfeindungen und dem schwersten antisemitischen Anschlag auf australischem Boden hat eine beliebte jüdische Bäckerei für immer geschlossen

 18.12.2025

Strassburg

Glühwein und Kippa

In der selbst ernannten »Weihnachtshauptstadt« lebt eine traditionsbewusste jüdische Gemeinde. Wie passt das zusammen? Eine Reise zu koscheren Plätzchen und Pralinen mit »Jahresendgeschmack«

von Mascha Malburg  18.12.2025

Meinung

Weitermachen oder die jüdische Resilienz

Verfolgung, Exil und Gewalt konnten es nicht brechen: Die Widerstandsfähigkeit des jüdischen Volkes prägt seine Geschichte bis heute

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Australien

Bericht: Die Heldentat von Ahmed Al-Ahmed sorgt auch in Syrien für Jubel

Die Berichterstattung über den »Helden von Sydney« hat auch dessen Heimatort erreicht und bringt Stolz in eine Trümmerlandschaft

 18.12.2025

Berlin

Ehrung von Holocaust-Überlebenden

Die »International Holocaust Survivors Night« ehrt jedes Jahr Überlebende der Schoah. Die virtuelle Veranstaltung hat sich inzwischen zu einer Feier entwickelt, an der Teilnehmende aus fast 20 Ländern mitwirken

 18.12.2025