Europa

EJC-Präsident Muzicant: Juden und Israel sollten niemals mit AfD und FPÖ reden

Ariel Muzicant ist Präsident des jüdischen Dachverbands EJC Foto: EJC

Europa

EJC-Präsident Muzicant: Juden und Israel sollten niemals mit AfD und FPÖ reden

Der Präsident des European Jewish Congress rechnet im Interview mit der »Jerusalem Post« mit Europa ab - und mit Israel

 02.03.2025 17:25 Uhr

Just nach der Bundestagswahl, bei der die rechtsextreme AfD zweitstärkste Partei in Deutschland wurde, gab Israels Außenminister Gideon Sa’ar offiziell bekannt, dass Israel seine Beziehungen zu drei anderen rechtsextremen europäischen Parteien normalisieren wolle, die bisher von Jerusalem boykottiert worden waren: das Rassemblement National in Frankreich, die Sverigedemokraterna in Schweden und VOX in Spanien. Außerdem wurde der Likud von der Fraktion »Patrioten für Europa« im EU-Parlament, der die drei Parteien angehören, sowie von der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) als Beobachter zugelassen, so ein Bericht der »Jerusalem Post«. Vertreter beider Parteien hätten sich auch schon getroffen.

Diese Entwicklung sorgt bei Ariel Muzicant, dem Präsidenten des European Jewish Congress (EJC) und ehemaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Österreichs für wachsende Verzweiflung. Im Interview mit der »Jerusalem Post« sprach der 73-Jährige von einem »wachsenden Missverständnis der israelischen Regierung über die Position des europäischen Judentums«.

Lesen Sie auch

Denn die Juden in Europa hätten das Gefühl, zwischen Pest und Cholera wählen zu müssen: die extreme Rechte, die extreme Linke und die Islamisten, so Muzicant. »Wir haben kein Problem mit rechtspopulistischen Parteien. Wir haben ein Problem mit Parteien, die eine bestimmte rote Linie überschreiten, sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite, wenn es um Antisemitismus und nationalsozialistisches Gedankengut geht. Die AfD in Deutschland und die FPÖ in Österreich sind klassische Beispiele dafür. Die jüdischen Gemeinden haben gute Beziehungen zu Giorgia Meloni, Geert Wilders und anderen. Aber sie können keine Beziehungen zu Parteien wie der AfD und der FPÖ unterhalten, und zwar aus dem einfachen Grund, dass diese Parteien nationalsozialistische oder neonazistische Wurzeln haben, den Holocaust leugnen und antisemitische Ansichten vertreten.«

»Tsunami des Antisemitismus«

Auf die Frage, wie die aktuelle Situation zu ändern sei, antwortete der EJC-Präsident: »1,5 Millionen europäische Juden können 500 Millionen Europäer nicht umstimmen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass uns die Situation extrem nervös macht. Der Tsunami des Antisemitismus, der auf die Gräueltaten des 7. Oktober folgte, und die Schockwelle, die durch die jüdischen Gemeinden ging, als sie sahen, wie Israel angegriffen wurde, und die schreckliche Situation der Geiseln und ihrer Familien haben die Wahrnehmung unseres Wohlbefindens als Juden in Europa dramatisch verändert.« Die wichtigste Frage für die Juden in Europa sei, »ob wir eine Zukunft in Europa haben und wie wir mit dem enormen Schock umgehen«, nach dem, was in Israel passiert ist, so Muzicant. »Ich weiß nicht, ob die Israelis verstehen, wie sehr dies das europäische Judentum betroffen und schockiert hat.«

Auf die Frage, ob er ein Gespräch mit der AfD oder FPÖ wirklich für immer ausschließe, antwortete er: »Ich habe immer wieder Streit mit einigen Mitgliedern bestimmter israelischer Parteien, die meinen, sie müssten sich mit AfD- und FPÖ-Politikern treffen und mit ihnen reden. Warum habe ich diese Haltung? Weil in Österreich und in Deutschland - wo der Nationalsozialismus herkommt, wo die Täter herkommen - ein Jude, der in diesen Ländern leben will, ganz klar Stellung beziehen muss gegen das, was wir auf Deutsch ’Kellernazis’ nennen. Das sind die, die ihre wahren Ansichten nur untereinander preisgeben.« Es sei eine völlig andere Situation als bei den anderen rechtspopulistischen Parteien, die es in Italien, den Niederlanden, Schweden und anderen Ländern gebe.«

»Diese Situation hat alle schockiert«

»Die europäischen Juden sind verzweifelt«, fährt Muzicant fort. »Sie sind nicht nur verzweifelt, weil ihr Plan B - Israel als sicherer Zufluchtsort - weggebrochen zu sein scheint, sondern auch, weil sie von den Geschehnissen in Israel stark betroffen sind. Viele in den jüdischen Gemeinden haben sich mobilisiert, um den Geiseln und ihren Familien zu helfen. Diese Situation hat alle schockiert.«

Doch sei die Verbindung der Diaspora zu Israel trotz des Schreckens erstarkt, so der EJC-Präsident. Sie befinde sich derzeit in einem schlechten Zustand. »Aber ich kann Ihnen sagen, dass junge Juden, die eine starke jüdische Identität haben, nach Israel ziehen werden. Sie haben die Nase voll.«

Mehr Zionist als zuvor

Die Solidarität mit Israel habe enorm zugenommen, fährt er fort. Genauso wie der Antisemitismus zugenommen habe. »Um eine starke Diaspora zu haben, muss die israelische Regierung verstehen, dass ihr bester Verbündeter neben den USA eben die jüdische Diaspora ist. Gespräche mit der Diaspora, Verständnis für die Diaspora und Hilfe für die Diaspora sind eine Notwendigkeit.«

Angesprochen darauf, was der 7. Oktober für ihn persönlich bedeutet habe, sagt Muzicant: »Es gibt zwei Ereignisse, die mein Leben verändert haben. Das erste war der Sechstagekrieg, das zweite der 7. Oktober.« Nach fünf Jahrzehnten des Mitwirkens beim Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde in Österreich frage er sich heute, »ob es das Richtige war, das zu tun. Die Zukunft meiner Enkelkinder ist definitiv nicht hier. Ich bin mehr Zionist geworden, als ich es früher war.« ja

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025

Imanuels Interpreten (13)

Herb Alpert: Der Universalkünstler

Vom Trompeter zum Philantropen: Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Kalifornien erreichte in den 90 Jahren seines bisherigen Lebens viel

von Imanuel Marcus  10.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  10.09.2025 Aktualisiert

Südafrika

Unvergessliche Stimme

Die Schoa-Überlebende Ruth Weiss hat sich als Journalistin, Schriftstellerin und Kämpferin für Menschenrechte einen Namen gemacht. Sie wurde 101 Jahre alt. Ein Nachruf

von Katrin Richter  10.09.2025

Belgien

Aus der Straße des Antisemiten wird die Straße der Gerechten

In Brüssel gibt es jetzt eine Rue Andrée Geulen. Sie ist nach einer Frau benannt, die im 2. Weltkrieg mehr als 300 jüdische Kinder vor den deutschen Besatzern rettete. Doch bei der Einweihung herrschte nicht nur eitel Sonnenschein

von Michael Thaidigsmann  08.09.2025