Warschau

Einschränkung der Wissenschaft

Holocaust-Forscherin Barbara Engelking Foto: picture alliance/AP Photo

Warschau

Einschränkung der Wissenschaft

Wie die unabhängige Holocaust-Forschung in Polen zunehmend verzerrt wird

von Gabriele Lesser  05.06.2023 09:25 Uhr

Barbara Engelking, Polens renommierte Holocaust-Forscherin, war schockiert, als sie auf dem Twitter-Account des polnischen Premierministers Mateusz Morawiecki las, dass das, was sie in einem Fernsehinterview zum 80. Jahrestag des Warschauer Ghettoaufstandes von 1943 gesagt hatte, »skandalös« und »pseudohistorisch« sei.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Engelking hatte im regierungskritischen Fernsehsender TVN24 über ihre jahrzehntelangen Forschungen berichtet. Sie hatte die Wechselausstellung Um uns herum ein Flammenmeer für das Jüdische Museum Polin erstellt. In dem Interview erwähnte sie, dass die über drei Millionen Juden, die seit Jahrhunderten in Polen lebten, während der deutschen Besatzung von 1939 bis 1945 auf Hilfe, Freundschaft oder zumindest Neutralität ihrer katholisch-polnischen Nachbarn gehofft hatten.

verrat Doch nur sehr wenige Polen hätten den Heldenmut aufgebracht, den NS-verfolgten Juden zu helfen – trotz angedrohter Todesstrafe durch die Deutschen und trotz drohenden Verrats durch andere Polen. Die meisten Polen seien gleichgültig geblieben. Katholische Warschauer hätten sich auf einer Schiffschaukel vergnügt, während der Wind bereits Asche aus dem brennenden Ghetto über die Mauer blies, andere hätten ihre Hilfe explizit verweigert und sogar Juden direkt an die SS oder Gestapo verraten. Engelking, selbst Polin, bedauerte in dem Interview, dass ihre Landsleute im Zweiten Weltkrieg das »historisch-moralische Examen« nicht bestanden hätten.

Polens Premierminister warf ihr vor, eine »antipolnische Erzählung« zu verbreiten, die nichts mit »redlichem historischen Wissen« zu tun habe. »Historische Redlichkeit« gebe es nur, »wenn sie mit unseren kollektiven, gemeinschaftlichen Erwartungen« übereinstimme, meint Morawiecki. Seiner Ansicht nach hat Geschichtswissenschaft also nichts mit der Wahrheit zu tun, sie soll lediglich die Erzählung liefern, die den Polen erlaubt, sich als »Helden und Opfer« zu fühlen.

In diesem Sinne rücke das von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gegründete Witold-Pilecki-Institut die Polen, die sich stets für Juden eingesetzt hätten, bereits ins rechte Licht. Dass Yad Vashem den vom Pilecki-Institut neu entdeckten Judenrettern meist nicht die Medaille der »Gerechten unter den Völkern« verleiht, weiß allerdings kaum jemand in Polen.

Przemyslaw Czarnek, der Minister für Bildung und Wissenschaft, unterstützt die Ansichten von Morawiecki. Er kündigte an, Forschungen in Auftrag zu geben, die belegen sollen, dass Polen während des Zweiten Weltkriegs massenhaft Juden geholfen hätten.

opfer »Es ist nicht die Rolle von Wissenschaftlern, die Polen zu beleidigen, die polnische Nation, die das größte Opfer des Zweiten Weltkriegs war«, so Czarnek im Radio RMF. »Ich als Minister werde dafür kein Geld geben«, kündigte er an und machte kurz darauf Ernst mit dieser Drohung. Das Institut für Philosophie und Soziologie an der Polnischen Akademie der Wissenschaften, zu dem auch Engelkings Zentrum für die Erforschung des Holocaust gehört, erhielt keine zusätzliche finanzielle Unterstützung, wie alle anderen Institute.

Bereits im März 2021 hatte Czarnek das Werk des Zentrums Und noch immer ist Nacht als »antipolnisches Schmierblatt« bezeichnet und angekündigt, dass Forschungsstipendien nur noch für »authentische und redliche« Wissenschaft vergeben würden.

Die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit durch Polens regierende Nationalpopulisten sorgt weltweit für Empörung. In Polen stellten sich zudem zahlreiche Forschungs-Institute hinter Barbara Engelking. Auch führende Holocaust-Forschungszentren in Israel, den USA und Kanada fordern die Regierung Polens auf, kritische Holocaust-Forschung nicht zu zensieren. Engelking wird hingegen von den Universitäten in Tel Aviv und Jerusalem für ihre wegweisenden Bücher mit einem Ehrendoktortitel ausgezeichnet.

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025

Spanien

Francos Erbe

Das Land, das den Sefardim einst ihren Namen gab, verlangt seinen Juden heute einiges ab

von Valentin Suckut  03.11.2025

»Nobody Wants This«

Alle wollen Esther

Einer der Gründe, die Netflix-Serie zu sehen, ist Jackie Tohn. Die Schauspielerin mit dem Blick, der Stahl schmelzen kann, tanzt gern auf vielen Hochzeiten

von Sarah Thalia Pines  03.11.2025

Slowakei

Neues Leuchten in Trenčín

Eine restaurierte Synagoge wird zum Herzstück der Kulturhauptstadt 2026 – und zum Zeichen jüdischer Erneuerung

von Kilian Kirchgeßner  03.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  03.11.2025

USA

Unsicher in New York

Zohran Mamdani ist der mögliche nächste Bürgermeister der Metropole – und für viele Juden ein Problem

von Mark Feldon  30.10.2025

Judenhass

»Ich werde Selbstmordattentäter diese Nacht«: Mann plante Messerangriff auf Juden

Der arabischstämmige Mann wurde im letzten Moment von der Polizei festgenommen. Nun stand er vor Gericht

von Nicole Dreyfus  30.10.2025

Barcelona

Mordverdacht: Ermittlungen gegen Sohn von Mango-Gründer

Spanischen Medienberichten zufolge sind die Umstände des Todes des Modeunternehmers Isak Andic im Dezember 2024 noch nicht geklärt. Doch es gibt einen Verdacht

 30.10.2025

München

Europäische Rabbiner sagen Baku-Konferenz aus Sicherheitsgründen ab

Rund 600 Teilnehmer aus aller Welt sind angemeldet. Viel Geld war in die Vorbereitung geflossen

von Imanuel Marcus, Mascha Malburg  28.10.2025 Aktualisiert