Brasilien

Ein Heißsporn übernimmt Verantwortung

Es war eine schlichte Zeremonie, mit der Alberto Goldman Anfang des Monats zum Gouverneur des Bundesstaates São Paulo ernannt wurde. Nachdem er auf die brasilianische Verfassung vereidigt worden war und die Ernennungsurkunde erhalten hatte, erinnerte er in einer bewegten Ansprache an seine politische Laufbahn: »Es ist eine große Ehre, hier auf derselben Bühne zu stehen, auf der ich vor 39 Jahren die erste Rede meines politischen Lebens gehalten habe.« Damals, mitten in der Militärdiktatur, habe er es gewagt, »als Kandidat anzutreten, um der Diktatur zu begegnen und für die Wiederherstellung des Rechtsstaats zu kämpfen«.

Es ist dem Zufall und den Besonderheiten des brasilianischen Wahlgesetzes geschuldet, dass sich der 72-Jährige im Herbst seiner politischen Karriere auf dem Gouverneursposten wiederfindet. Das Gesetz verbietet die Bekleidung politischer Ämter ein halbes Jahr vor Urnengang. Goldmans Vorgänger und Freund, José Serra, hat all seine öffentlichen Posten aufgegeben, um im Oktober bei der Präsidentschaftswahl gegen die von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva unterstützte Kandidatin der Arbeiterpartei (PT), Dilma Rousseff, anzutreten. Als bisheriger Vize ist Goldman nachgerückt und wird für die nächsten neun Monate bis zur Wahl eines neuen Gouverneurs die Geschicke des bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich bedeutendsten Bundesstaates Brasiliens leiten. Der frühere Kommunist, der aktiv gegen die Militärdiktatur gekämpft hat, ist der erste jüdische Gouverneur São Paulos.

Ohne Ambitionen, die eigene politische Karriere auf dem Posten zu verlängern, wird der neue Chef im Palácio dos Bandeirantes vor allem auf Kontinuität setzen und die von Serra begonnenen Projekte fortführen, allen voran den Ausbau der Metro und die Fertigstellung des Straßen-Infrastrukturprojekts Rodoanel Mário Covas rund um die Millionenstadt.

frühaufsteher Goldman ist bekannt dafür, viel Wert auf Pünktlichkeit zu legen. Vor allem aber ist er als Frühaufsteher berüchtigt. Die Presse in São Paulo ächzt, dass offizielle Termine künftig auf die Morgenstunden gelegt werden. So begann die Eröffnungszeremonie des Rodoanel-Südabschnitts um 6 Uhr 40. Bei Vorgänger Serra war es selten vor 10 Uhr losgegangen. Auch befolgt Goldman einen genauen Zeitplan für Basketballtraining, Englischunterricht und das Frühstück mit seiner Frau Deuzeni, mit der er seit 32 Jahren verheiratet ist. Nicht zuletzt wegen seines straffen Tagesablaufs findet er immer wieder noch Zeit, um Klavier zu spielen oder ins Kino zu gehen. Diese Leidenschaft hat er auf seine Tochter übertragen, die als Filmemacherin in London lebt.

Geboren wurde Goldman 1937 in São Paulo als Sohn jüdisch-polnischer Einwanderer. Seine Kindheit verbrachte er im Viertel Bom Retiro, wo viele jüdische Migranten lebten, die in den 30- und 40er-Jahren ins Land gekommen waren. Sein Vater, Wolf Goldman, sorgte dafür, dass der Sohn Klavier spielen lernte und die Uni besuchte.

studentenbewegung An der Escola Politécnica der Universität seiner Geburtsstadt studierte Goldman Bauingenieurswesen, kam dort mit der Studentenbewegung in Berührung und trat der Kommunistischen Partei Brasiliens bei. Als diese während der Militärdiktatur (1964–1985) verboten wurde, schloss er sich der einzigen zugelassenen Oppositionspartei, der Movimento Democrático Brasileiro (MDB) an. Als deren Abgeordneter wurde er 1971 und 1975 ins Bundesparlament von São Paulo sowie 1979 und 1983 ins brasilianische Nationalparlament gewählt.

Nach Ende der Militärdiktatur und der Umwandlung der MDB in die Partido do Movimento Democrático Brasileiro (PMDB) wurde Goldman Minister für Transportwesen in der Regierung Itamar Franco (1992–1993). Im Jahr 1997 folgte der Übertritt zu den Sozialdemokraten (PSDB), für die er zweimal, 1998 und 2002, zum Bundesabgeordneten gewählt wurde. 2005 trat er das Amt des Fraktionsvorsitzenden an. Seine starke Persönlichkeit und Aufrichtigkeit kennzeichneten fortan seine Auftritte als Oppositionsführer, insbesondere im Fall des Korruptionsskandals um die Arbeiterpartei. Goldman forderte eine Prüfung, welche Rolle Präsident Lula dabei spielte.

»Seine Opposition ist klar, heißblütig und manchmal empörend«, beschrieb ihn 1988 Ulysses Guimarães, der Präsident der Nationalversammlung. »Goldman ist die Art von Typ, der die Dinge beim Namen nennt und nicht jedem erzählt, was er hören will.«

Schweiz

»Queerness bedeutet, Unterschiede auszuhalten«

Viele Jüdinnen und Juden fühlen sich teils unsicher, wenn in der queeren Szene über Israel gesprochen wird. Der Verein Keschet will das ändern

von Nicole Dreyfus  27.11.2025

Das Ausmalbuch "From the river to the sea" in einer Buchhandlung in Zürich.

Meinung

Ausmalen gegen die Realität

Kinderbücher sollten nicht dazu instrumentalisiert werden, Kinder niederschwellig zu prägen

von Zsolt Balkanyi-Guery  27.11.2025

USA

Personifizierter Hass

Menschen wie Nick Fuentes waren lange ein Nischenphänomen. Nun drängen sie in den Mainstream - und sind gefährlicher denn je

von Sophie Albers Ben Chamo  26.11.2025

Meinung

Die polnische Krankheit

Der Streit um einen Tweet der israelischen Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem zeigt, dass Polen noch immer unfähig ist, sich ehrlich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen

von Jan Grabowski  26.11.2025

USA

Ein Stadtneurotiker wird 90

Woody Allen steht als Autor, Regisseur und Schauspieler für einzigartige Filme. Doch bis heute überschatten Missbrauchsvorwürfe sein Lebenswerk

von Barbara Schweizerhof, Sophie Albers Ben Chamo  26.11.2025

Orange Day

Palina Rojinski spricht über Gewalt in früherer Beziehung

Wie viele Frauen hat auch die Moderatorin einst in einer Beziehung Gewalt durch ihren Partner erfahren. Darüber spricht sie nun auf Instagram. Sie will anderen Mut machen, sich Hilfe zu holen

 25.11.2025

Kultur

André Heller fühlte sich jahrzehntelang fremd

Der Wiener André Heller ist bekannt für Projekte wie »Flic Flac«, »Begnadete Körper« und poetische Feuerwerke. Auch als Sänger feierte er Erfolge, trotzdem konnte er sich selbst lange nicht leiden

von Barbara Just  25.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  24.11.2025

Hollywood

80 Jahre Goldie

Die quirlige Schauspielerin feiert ihren runden Geburtstag – und ist nicht zu bremsen

von Barbara Munker, Sophie Albers Ben Chamo  23.11.2025