Nachruf

»Ein Großer des 20. Jahrhunderts«

George Weidenfeld (1919–2016) Foto: dpa

Nachruf

»Ein Großer des 20. Jahrhunderts«

Zum Tod des Verlegers und Diplomaten Lord George Weidenfeld. Eine persönliche Würdigung

von Ronald S. Lauder  25.01.2016 16:05 Uhr

Vergangene Woche starb George Weidenfeld, einer jener echten Kosmopoliten, die nicht nur Mann von Welt sein wollten, sondern es wirklich waren. Was er in seinen 96 Lebensjahren gesehen und geleistet hat, hätte für mehrere Leben gereicht.

George sprach viele Sprachen fließend. Es gibt nur noch wenige Menschen, die sich auf dem politischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Parkett so vieler Länder mit einer Selbstverständlichkeit bewegen können, dass man fast sprachlos ist.

In einem Zeitraum von gerade einmal elf Jahren, von 1938 bis 1949, war er zuerst Jurastudent in Wien, anschließend BBC-Journalist in London, britischer Diplomat, Verleger und schließlich für ein Jahr Stabschef des ersten israelischen Präsidenten Chaim Weizmann und damit Chef der Beamten des jungen jüdischen Staates.

In den Jahrzehnten danach brachte es George Weidenfeld nicht nur zu einem der erfolgreichsten Verleger Großbritanniens, sondern auch zum Berater vieler Regierungschefs. Er kannte alle deutschen Bundeskanzler von Adenauer bis Merkel, alle britischen Premierminister seit Winston Churchill und war parteiübergreifend als Berater gefragt, sowohl von Margaret Thatcher als auch von Tony Blair.

Oberhaus George Weidenfeld war 40 Jahre lang ein Lord, ein Mitglied des britischen Oberhauses. Bis zu seinem Tod war er ein fleißiger Kolumnist führender deutscher Zeitungen und ein aktiver Mäzen und Förderer vieler talentierter Menschen und Projekte.

Er kannte wirklich fast jeden persönlich. Und er war nie oberflächlich; er interessierte sich für seine Gesprächspartner. Er konnte zuhören. Und selbst in schweren Zeiten verlor er nie seinen Humor. Er wurde zu einem echten Briten, aber blieb doch immer ein Bewunderer der deutschen Kultur.

Wien Die Liebe zu Wien verband uns. Als ich 1986–1987 US-Botschafter in Österreich war und ihn zum ersten Mal traf, bemerkte ich schnell, aus welchem Holz er geschnitzt war. Er argumentierte differenziert, blieb immer fair. Gemeinsam prangerten wir damals die Lebenslüge der Österreicher an, die alle behaupteten, sie seien die ersten Opfer Adolf Hitlers gewesen. In Wahrheit waren viele Österreicher schon vor dem »Anschluss« an Hitler-Deutschland 1938 Nazis gewesen, und erst recht während des Zweiten Weltkriegs.

George musste 1938 als Jude aus Wien fliehen, eine christliche Quäker-Familie rettete ihn. Er vergaß das nie. Vor knapp zwei Jahren richtete er eine Stiftung ein, die viele von den Mörderbanden des »Islamischen Staats« in Syrien und im Irak verfolgte Christen gerettet und in Europa eine dauerhafte Bleibe für sie gefunden hat. George wollte sich revanchieren für seine Rettung und die seiner Familie vor 75 Jahren.

In seinen Augen war der moderne Dschihadismus eine ebenso große Gefahr für die westliche Welt wie es der Nationalsozialismus der 30er-Jahre für Deutschland war. Er brachte es so auf den Punkt: »Die Dschihadisten sind der Abschaum der Erde. Hätten sie die Chance dazu, würden sie nicht sechs, sondern 30 Millionen ermorden.«

Es freute George, nicht nur durch Reden und Schreiben etwas gegen diese Gefahr tun zu können, sondern ganz praktisch.

Zionist Seit seiner Wiener Jugend war George Weidenfeld auch ein begeisterter Zionist. Er verehrte Theodor Herzl, der wie er ein Wiener war. Als ihn der Jüdische Weltkongress vergangenes Jahr mit dem Theodor-Herzl-Preis ehrte, bezeichnete Weidenfeld Herzl als den »letzten hebräischen Propheten«.

Israels Präsident Weizmann bat George zum Ende seiner einjährigen Zeit als Kabinettschef, doch bitte zu bleiben. Aber er lehnte ab, mit dem Hinweis, er stehe bei seinem Partner Nigel Nicolson im Wort, nach London zurückzukehren und den gemeinsamen Buchverlag voranzubringen. Seinen Freunden in Israel versprach er, jeden Morgen beim Aufstehen und jeden Abend beim Zubettgehen an Jerusalem zu denken.

George Weidenfeld hat nicht nur an Israel gedacht, er hat das Land auch immer besucht, unterstützt, verteidigt und versucht, zu helfen, wo immer es ihm möglich war. Er war immer ein Verfechter der Zweistaatenlösung. Aber er war nie naiv. Er kannte den Hass, der Israel aus vielen Teilen der arabischen Welt entgegenschlägt.

Bis zum Schluss war er aktiv und tat das Seine dafür, dass Frieden und Freiheit in der Welt geschützt und verteidigt werden. George Weidenfeld war ein Großer des 20. Jahrhunderts. Nicht nur ich werde ihn schmerzlich vermissen.

Der Autor ist Präsident des Jüdischen Weltkongresses.

USA

Der reichste Mann der Welt – für einen Tag

Larry Ellison gehört zu den Großen des Silicon Valley und hält Künstliche Intelligenz für die wichtigste Erfindung der Menschheit

von Sara Pines  26.10.2025

Nachruf

Letzter Kämpfer des Aufstands des Warschauer Ghettos gestorben

Michael Smuss wurde 99 Jahre alt

 24.10.2025

Wien

Nobelpreisträger warnt vor technischer Abhängigkeit von den USA

Joseph E. Stiglitz kritisiert Präsident Trump und ruft Wissenschaft und Medien zur Verteidigung der Medienfreiheit weltweit auf

von Steffen Grimberg  24.10.2025

Polen

Antisemitische Hetzer verhindern Konzert jüdischer Musiker

Der Chor der Pestalozzi-Synagoge in Berlin war eingeladen, in Września gemeinsam mit dem dortigen Kinderchor den Komponisten Louis Lewandowski zu ehren. Nach Hetze und Drohungen wurden alle Veranstaltungen abgesagt

von Sophie Albers Ben Chamo  23.10.2025

Großbritannien

Jiddisch verbindet

Zwischen Identitätssuche, Grammatik und Klezfest. Unsere Autorin war beim Sprachkurs »Ot Azoy« in London

von Sabine Schereck  23.10.2025

Rabbiner Noam Hertig aus Zürich

Diaspora

Es geht nur zusammen

Wie wir den inneren Frieden der jüdischen Gemeinschaft bewahren können – über alle Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten hinweg

von Rabbiner Noam Hertig  23.10.2025

Großbritannien

Ärztin wegen antisemitischer Agitation festgenommen

Dr. Rahmeh Aladwan wurde vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen, weil sie die Hamas-Verbrechen vom 7. Oktober verherrlicht hatte. Nun muss der General Medical Council über ihre Approbation entscheiden

von Michael Thaidigsmann  22.10.2025

Regierungsrätin und Vorsteherin der Gesundheitsdirektion Natalie Rickli lehnte die unverbindliche Anfrage des Bundes ab, 20 Kinder aus Gaza in der Schweiz aufzunehmen.

Schweiz

Kinder aus Gaza bald in Zürich?

In der Schweiz wird eine politische Debatte darüber geführt, ob verletzte Kinder aus dem Gazastreifen aufgenommen werden sollen

von Nicole Dreyfus  22.10.2025

Mexiko

»La Doctora« liefert

Die Sozialdemokratin und Physikerin Claudia Sheinbaum ist seit einem Jahr Präsidentin. Eine erste Bilanz

von Michael Ludwig  21.10.2025