USA

Differenzen überbrücken

Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft lassen Juden und Schwarze verstärkt aufeinander zugehen. Foto: Getty Images

Erst drei Jahre ist es her, dass in Miami das Programm »Teens Advocating Together« ins Leben gerufen wurde – und schon heute ist es ein voller Erfolg. Es soll afroamerikanische und jüdische Highschool-Schüler zusammenbringen. Initiiert wurde es vom Jewish Community Relations Council of the Greater Miami Jewish Federation und der regionalen Organisation der NAACP (National Association for the Advancement of Colored People).

Das Programm richtet sich an 15- bis 18-Jährige. Ziel ist es, Kontakte untereinander zu knüpfen und auszubauen, Differenzen zu überbrücken und zu lernen, wie gemeinsame Interessen gefördert werden können, etwa der Kampf gegen Waffengewalt oder die Unterstützung psychisch Kranker.

abgeordnete Das Programm bietet den Jugendlichen auch die Möglichkeit, ihr Anliegen gegenüber Abgeordneten in Floridas Hauptstadt Tallahassee zu vertreten. Oder wie es die Teilnehmer des 2020er-Programms, Kiera Barton und Caroline Hartley, in ihrem Bericht formulieren: »›Teens Advocating Together‹ hat uns als afroamerikanischen und jüdischen Jugendlichen gezeigt, wie wichtig es ist, sich in sozialen und politischen Fragen weiterzubilden und die Ideen zu vertreten, die uns bewegen.«

Seth Kessler von der Miami Palmetto High School hat bei dem Programm mitgemacht und schilderte den »Miami›s Community News« seine Erfahrungen. Die Teilnehmer aus seinem Programm kamen aus dem ganzen Bezirk – aus unterschiedlichsten Schulen und sozialen Verhältnissen. Zunächst traf man sich, um wichtige Voraussetzungen zu besprechen, die zu einer besseren Kommunikation führen könnten. »Wir hatten fünf Treffen«, sagt Seth. »Alle zwei bis drei Monate haben wir uns für zwei bis drei Stunden zusammengesetzt.« Dazu gab es Arbeitsmaterialien mit Informationen zu Bürgerrechten und dem Verhältnis von Juden und Schwarzen.

Gegen Ende des Programms entscheiden die Teilnehmer jeweils, wofür sie sich spezifisch engagieren wollen.

DISKRIMINIERUNG Die Geschichte jüdisch-afroamerikanischer Verbundenheit in der Bürgerrechtsbewegung ist ebenso lang wie jene der Spannungen und Missverständnisse. Seit dem frühen 20. Jahrhundert waren viele amerikanische Juden Anführer und Unterstützer von antirassistischen Bürgerrechtsgruppen. Die Erfahrungen der Schoa hatten viele Juden in den USA für Rassismus und Diskriminierung sensibilisiert.

Zuvor, in den Anfangsjahren der Bürgerrechtsbewegungen, war es die gemeinsame Erfahrung der Sklaverei, die von jüdischer Seite als gemeinsames Unterdrückungsmerkmal betont wurde. Die Gleichsetzung von erst kürzlich überwundenem Leid mit Legenden aus biblischer Zeit empfanden viele Afroamerikaner jedoch als geschmacklos. Einige von ihnen erkannten schnell die Asymmetrie zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen: hier die moralische Überlegenheit der wohlhabenden Juden in der Bürgerrechtsbewegung – dort die Afroamerikaner, die auf keinen wirtschaftlich grünen Zweig kamen.

Schwarze und Juden wohnten häufig nah beieinander, denn beiden Gruppen wurden historisch aus rassistischen Gründen nur gewisse Wohngegenden zugestanden. Doch kannten viele Afroamerikaner ihre jüdischen Nachbarn häufig nur als Vermieter oder Ladenbesitzer.

Die afroamerikanisch- jüdische Verbundenheit ist ebenso alt wie jene
der Spannungen.

So entstand das kollektive Gefühl, die Juden beuteten die Afroamerikaner aus. In den 60er-Jahren wurden diese Spannungen stärker, unter anderem bedingt durch die zunehmende Radikalisierung und Islamisierung der schwarzen Bürgerrechtsbewegung um Malcolm X. Es kam zu wüsten antisemitischen Entgleisungen und – vor allem in den Großstädten – auch zu Gewalt.

missverständnisse Umso wichtiger ist es, Anschuldigungen aus der Vergangenheit, Probleme der Gegenwart und daraus resultierende Missverständnisse oder Vorbehalte durch empirische Arbeit und soziale Interaktion zu bekämpfen, bevor sie sich in der nächsten Generation verfestigen.

Seths Gruppe hatte sich deshalb die Themen Gewalt durch Schusswaffen, Hass-Verbrechen sowie weißer Nationalismus ausgesucht, um sie mit den Abgeordneten in Tallahassee zu besprechen. »Diese Erfahrung hat mir die Ähnlichkeit zwischen der jüdischen und der afroamerikanischen Community deutlich gemacht«, erzählt er. »Deshalb fühle ich mich jetzt in der Lage, unseren gemeinsamen Ansatz im Kampf für Bürgerrechte in den USA zu verstehen und zu unterstützen. Das waren wirklich eindrucksvolle Erfahrungen.«

Seth Kessler jedenfalls hat sich fest vorgenommen, auch im kommenden Jahr wieder an »Teens Advocating Together« teilzunehmen. »Ich fand das Programm faszinierend.«

POLIZEIGEWALT Während die Programme liefen, wurden die USA immer wieder durch rassistische Fälle von Polizeigewalt erschüttert. Besonders in Erinnerung ist der Fall von George Floyd geblieben. Der 46-Jährige war in Minneapolis qualvoll erstickt, nachdem ihm ein weißer Polizist mit seinem Knie fast neun Minuten lang die Luft abgeschnürt hatte.

Für Yael Bister aus Miami Beach war das ein Schlüsselmoment und ein weiterer Grund, sich für »Teens Advocating Together« zu engagieren. »Diese Arbeit mit der NAACP zu machen, hat meinen Blick auf das Leben verändert. Während eines Meetings sollte jeder Student ein rassistisches oder antisemitisches Erlebnis schildern. Fast alle hatten etwas beizutragen. Es hat mir die Augen geöffnet, wie viele Vorurteile es gibt. Obwohl ich immer noch nicht ganz begreifen kann, was Mitglieder schwarzer Gemeinschaften durchzustehen hatten, sehe ich jetzt immerhin das Ausmaß an Ungerechtigkeit.«

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