Großbritannien

Die Spur der verlorenen Bücher

Auf Provenienzforschung aufmerksam machen Foto: Illustration: Library of Lost Books

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Die Spur der verlorenen Bücher

Eine Ausstellung zeigt die Suche nach den Bänden der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums

von Sabine Schereck  23.06.2024 22:27 Uhr

Das kleine Papiermodell eines Gründerzeit-Gebäudes in Berlin-Mitte ist der Publikumsliebling der Ausstellung. Es repräsentiert die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, die von 1872 bis 1942 zum Studium der Judaistik lud. Markant sind beim Modell die deutschen Beschriftungen »Lesesaal« und »Bibliothek«, denn die Ausstellung The Library of Lost Books wird in der Wiener Holocaust Library in London gezeigt. Anliegen ist, im englischsprachigen Raum auf die Provenienzforschung von Büchern aufmerksam zu machen.

Hier geht es konkret um die 60.000 Bücher, die der Bibliothek der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums gehörten und von den Nazis geplündert wurden. Die Leo-Baeck-Institute in London und Jerusalem verfolgen nun das Projekt, diese weltweit verstreuten Bücher wieder aufzuspüren. Sie haben die Ausstellung organisiert und stellen gleichzeitig die Bedeutung der Hochschule vor.

Leo Baeck Institute und Wiener Library

Das Leo Baeck Institute und die Wiener Library, wie sie allgemein genannt wird, haben viele Verbindungen zur Schule: Alfred Wiener, Gründer der Wiener Library, und Leo Baeck haben dort studiert. Baeck unterrichtete sogar noch unerschrocken bis zur letzten Stunde, als die Nazis die Einrichtung 1942 schlossen. Zudem finden sich in den Beständen beider Häuser Bücher aus der Hochschule, die jüdische Emigranten retteten und auf die Insel brachten.

Es war eine der größten und wichtigsten jüdischen Bibliotheken auf der Welt, da die Hochschule die erste Einrichtung war, an der Judaistik studiert werden konnte. An deutschen Universitäten gab es das Fach nicht. Außerhalb des Universitätsbetriebs gelegen, konnte die Schule ihre eigenen Regeln setzen, und mit ihrer liberalen Haltung stand sie Männern und Frauen sowie Juden und Nichtjuden offen. Die Ausstellung präsentiert die bisher geleistete Detektivarbeit hinsichtlich des Verbleibs der Bücher: Kistenweise wurden sie ins Reichssicherheitshauptamt geschleppt.

Die Nazis wollten die Bücher zur »Judenforschung« nutzen, um den »Feind« besser bekämpfen zu können.

Die Nazis wollten sie zur »Judenforschung« nutzen, um den »Feind« besser bekämpfen zu können. Die Bücher gingen unter in der riesigen Sammlung anderer konfiszierter Werke verschiedener Bibliotheken. Ein Teil landete später in einem Depot im Sudetenland, ein anderer Teil wurde nach Theresienstadt gebracht, wo die ehemalige Bibliothekarin der Schule, Jenny Wilde, mit 35 anderen Zwangsarbeitern etwa 40.000 Bücher unterschiedlicher Herkunft katalogisierte. Inzwischen sind 5000 Bände der Bibliothek in Deutschland, der Tschechei, in Israel, Großbritannien, den USA und in Mexiko gefunden worden.

Hier zu sehen sind Schriften, die über Jahrzehnte im Londoner Leo-Baeck-Ins­titut und in der Wiener Library schlummerten. Da es keine Karteikarten des Bibliothekskatalogs mehr gibt, sind die Jahrbücher ein besonderer Schatz. Sie beinhalten Schlüsselinformationen über das akademische Jahr, Finanzen, neue Dozenten, Absolventen und Bücherspenden. Diese waren wichtig, da die privat geförderte Schule kein Geld hatte, Bücher zu erwerben. Ein kleines Highlight ist der rot-rosafarbene unbenutzte Leihschein, der in einem Nachlass entdeckt wurde.

Kuratiert wurde die Ausstellung von Kinga Bloch, der Stellvertretenden Leiterin des Leo Baeck Institute London. Den verlorenen Bibliotheksschatz der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums zu bergen, das ist eine Mammutaufgabe, aber man ist dankbar, dass in dem Rahmen auch die Leistungen der Hochschule wieder sichtbar gemacht werden. Ein Detail vermisst man allerdings: dass das Haus in Berlin-Mitte wieder einer jüdischen Sache dient, nämlich dem Zentralrat der Juden in Deutschland. Dies ist nur auf der Website zu erfahren. Sabine Schereck

»The Library of Lost Books«, 6. Juni bis 10. Juli, Wiener Holocaust Library, London; mehr Informationen unter: www.libraryoflostbooks.com/de

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