Interview

Der Medienschaffer

Der Ausnahmejournalist und Unternehmer Roger Schawinski über Erfolg, Judenhass und den 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  28.03.2024 10:57 Uhr

»Vielleicht war ich naiv?«: Roger Schawinski (78) Foto: Alain Picard

Der Ausnahmejournalist und Unternehmer Roger Schawinski über Erfolg, Judenhass und den 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  28.03.2024 10:57 Uhr

Er ist dafür bekannt, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt. Interviewpartner werden nicht geschont. Roger Schawinski eckt an. Vor 50 Jahren hat er mit »Kassensturz »die wohl erfolgreichste Sendung des Schweizer Fernsehens erfunden. Und als er 1979 aus Italien als Radiopirat mit »Radio 24« in die Schweiz sendete, war das die Geburtsstunde des Schweizer Privatradios. Später lancierte Schawinski weitere private Radio- und TV-Sender, leitete unter anderem Sat.1 und arbeitet bis heute als profilierter Medienmann, der mit 78 Jahren keine Sekunde daran denkt, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen. Er lebt in Zürich, wo er auch geboren wurde.

Herr Schawinski, Sie beginnen jedes Ihrer Interviews mit der Frage: »Wer sind Sie?« Nun sind Sie dran: Wer sind Sie?
Weil ich wusste, dass ich einmal darauf würde antworten müssen, habe ich auf 450 Seiten ein Buch dazu geschrieben. Und ich weiß auch, dass es die schwierigste aller Fragen ist. Jeder muss sich damit auseinandersetzen, vor allem mit zunehmendem Alter. Damit einher geht auch die Frage nach der Identität, wie man sich selbst in der Gesellschaft sieht, ob man große Ziele erreicht hat oder ob man enttäuscht ist.

Und, haben Sie das Gefühl, es gut gemacht zu haben?
Sogar besser. Ich habe nicht nur die Erwartungen meiner Eltern weit übertroffen, sondern auch meine eigenen. Ich blicke auf meine Vergangenheit zurück und denke mir: »Wow!« Dann frage ich mich, ob ich das alles tatsächlich erlebt habe, denn es wirkt teilweise wie aus einem anderen Leben.

Sie haben einst das Schweizer Radio- und Fernsehmonopol durchbrochen. Warum?
Monopole sind schlecht. Sie sind gegen die Demokratie und die Meinungsvielfalt. Rückblickend bin ich selbst erstaunt, dass ich es war, der all dies angerissen hat. Es gibt auch andere gute Leute in diesem Land. Aber ich hatte immer meine Linie, die ich versucht habe, durchzuziehen.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk zieht sich wie ein roter Faden durch Ihr Leben. Sie gelten als Pionier der privaten Medien, trotzdem kehrten Sie immer wieder zum öffentlich-rechtlichen Sender zurück.
Eines möchte ich klarstellen: Ich habe absolut nichts gegen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Ich war nur stets gegen das Monopol und bin es heute noch, weil ich eine vielfältige Medienlandschaft befürworte.

Die deutsche Privatsenderlandschaft ist Ihnen ebenfalls vertraut. Sie waren von 2003 bis 2006 Chef von Sat.1 …
Gerade in meiner Zeit bei Sat.1 war es mir ein großes Anliegen, die schlimmsten Tiefen des Privatsenders loszuwerden.

Ist Ihnen das tatsächlich gelungen?
Ja. Es gelang mir, diese Trash-Talkshows um die Mittagszeit vom Sender zu nehmen. Ich habe eine Informationsoffensive gestartet und geschaut, dass qualitativ bessere Fiktion gesendet wird. Ich habe bewusst auf Reality-Trash verzichtet.

Aber das war nicht von langer Dauer.
Leider hat das Privatfernsehen dann doch den anderen Weg eingeschlagen.

Wenn Sie ARD, ZDF und SRF vergleichen, was sind die großen Unterschiede zwischen der Schweiz und Deutschland?
In Deutschland gibt es hervorragende Talkshows. Davon kann die Schweiz nur träumen. Das hat meiner Meinung nach wieder mit dem Monopol der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) zu tun. Die SRG ist träge, weil es keine Konkurrenz gibt. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, als ich 1998 mit Tele 24 den ersten nationalen Fernsehsender der Schweiz gegründet habe, wurden die Sendeformate der SRG auf einmal besser. Ohne direkte Konkurrenz funktioniert nichts wirklich gut.

Was halten Sie von den sozialen Medien?
Es wird immer schwieriger, seriöse Quellen zu erkennen. Insbesondere der Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird uns Medienschaffende vor immer größere Herausforderungen stellen. Auch Plattformen wie TikTok spielen eine verhängnisvolle Rolle dabei. Dass die sozialen Medien keine echten Kontrollinstanzen kennen, ist besorgniserregend. Facebook, X, Instagram sehen sich nur als Transporteure. Das ist gefährlich. Hier braucht es eine gesetzliche Änderung.

Auch seit dem 7. Oktober spielen die sozialen Medien eine gravierende Rolle.
Die Hamas hat bewiesen, dass sie verstanden hat, wie man den Einsatz solcher Medien – und ich meine das zynisch – besonders wirkungsvoll einsetzt: indem die Terroristen ihre Gräueltaten live übertragen haben. Damit haben sie offensichtlich zeigen wollen, dass sie die brutalsten Menschen dieser Welt sind. Sie wollten gezielt Hass schüren, um zu beweisen, dass ein Frieden oder zumindest ein Kompromiss in Israel und in Gaza nie möglich sein wird.

Gibt es aktuell eine seriöse Berichterstattung vom Krieg in Gaza?
Die kann es nicht geben. Denn beide Seiten kontrollieren die Kanäle. Seriöser Journalismus ist in Gaza momentan kaum möglich.

Was hat der 7. Oktober 2023 mit Ihnen persönlich gemacht?
Im ersten Augenblick war ich komplett sprachlos und stand unter Schock. Die Anschläge ließen eine Welt in mir zusammenbrechen. Insbesondere am 7. Oktober selbst und am Tag danach. Exakt dann und damit noch lange bevor die Rede von einem Krieg war, hieß es bereits, Antisemitismus würde nun massiv ansteigen und jüdische Einrichtungen müssten besser geschützt werden. Wie bitte?, fragte ich. Weil Juden massakriert wurden, bedürfen sie mehr Schutz? Das ist doch absurd. Ich realisierte, dass hier etwas abläuft, was ich nicht nachvollziehen kann. Selbst wenn Juden Opfer sind, sind sie sogar schuld am Antisemitismus.

Sie haben sich schon immer stark als jüdische Person exponiert. Haben Sie antisemitische Ressentiments erlebt?
Ich habe mich immer gestellt, wenn es um Antisemitismus ging. Ich habe oft provoziert oder mich mit Leuten verkracht. Aber ich ging immer davon aus, dass ich mich bis zum Beweis des Gegenteils nie mit solchen Problemen beschäftigen musste, weil ich jüdisch bin.

Das beantwortet noch nicht die Frage.
Viele jüdische Menschen erklären recht schnell, wenn ihnen etwas Schlechtes widerfahren ist, dass es eine Folge von Antisemitismus sein müsse. So habe ich es nie gehalten. Zuerst ging ich immer davon aus, dass Antisemitismus nicht der Grund des Konflikts sei, und habe versucht, das Problem im Gespräch zu lösen. Aber wenn jemand wirklich ein Antisemit ist, fällt diese Möglichkeit aus. Mit Antisemiten kann man nicht diskutieren. Da fehlt jegliche Grundlage. Doch seit dem 7. Oktober bin ich erschüttert. Vielleicht war ich zu naiv. Vielleicht gab es auch Leute, die mich unter diesem Aspekt konfrontiert hatten. Ich ging nie davon aus, dass Antisemitismus ein ernsthaftes Problem in der Schweiz ist. Bei einer Zahl von knapp 20.000 Jüdinnen und Juden hier! Doch nach dem 7. Oktober – mit den vielen großen Demos gegen Israel und für die Hamas sowie den vielen feindlichen Artikeln in mehreren Medien – ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Offenbar ist Antisemitismus immer noch ein Phänomen, das viele Leute bei geeignetem Anlass offen zeigen wollen.

Was sagen Sie Menschen, die betonen, dass man kein Antisemit sei, wenn man gegen Israel ist.
Man verurteilt die aktuelle israelische Regierung, um zu sagen, was man wirklich denkt. Wer das Existenzrecht Israels infrage stellt und »From the River to the Sea« skandiert, ist ein Antisemit. Das verunsichert mich. So etwas habe ich noch nicht einmal in meiner Jugend erlebt.

Wie erlebten Sie Ihre Zeit Anfang der 2000er in Berlin?
Man ist mich nie wegen meiner jüdischen Identität angegangen. Dort war ich einfach der Schweizer. Ich muss aber gestehen, ich bewegte mich nicht oft durch Neukölln.

Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Israel sei ein Kolonialstaat, und die Juden seien dafür verantwortlich?
Ich wehre mich schon fast reflexartig gegen Identitätspolitik. Vor einigen Jahren ist von feministischer Seite das Narrativ des alten weißen Mannes aufgetaucht. Ich bin offenbar so einer. Aber wieso weiß? Im Nachgang des 7. Oktober manifestierte sich, dass das rassistische Motiv viel höher gewichtet wird als das feministische. Unter dem Deckmantel des Feminismus wird man einer Identität zugeteilt. Postkoloniale Politik, Cancel Culture und Critical Race Theory sind alles Stichworte, die in diesem Zusammenhang fallen. Es erschüttert mich, wenn man nur noch im Kontext einer Gruppe betrachtet wird. Alt ist okay, Mannsein ebenfalls, aber das »Weiße« ist offensichtlich das Entscheidende, was ich lange nicht bemerkt habe. Deshalb haben die Feministinnen die Gräueltaten an jüdischen Frauen ganz lange nicht verurteilt. Damit haben sie ihre Bewegung diskreditiert! Die Juden werden generell den »Weißen«, also den Unterdrückern, zugeteilt. Obwohl die Hälfte der Juden in Israel noch nicht einmal, wenn man den Ausdruck wirklich verwenden möchte, weiß ist. Es ist ungeheuerlich, was an den Universitäten in den USA abläuft. Eine Schweizer Professorin, die dort lehrt, sagte mir neulich, sie sei als weiße Kolonialistin bezeichnet worden, weil sie aus der Schweiz kommt. Es ist absurd.

Amerika ist das Land der Gegensätze. Zeitgleich wurde bekannt, dass Donald Trump gegen Strafverfolgung nicht immun ist.
Immerhin. Aber die Situation in Amerika ist grauenhaft. Sollte Trump an die Macht kommen, wäre mir das unbegreiflich. Die Republikaner haben sektiererische Züge. Anders kann ich mir nicht erklären, weshalb dieser Mann so viel Zulauf hat. Wenn Putin den Krieg in der Ukraine gewinnt, weil dort die Artilleriemunition ausgeht, gerät die geopolitische Lage Europas in eine bedrohliche Schieflage.

Da lacht sich auch eine Partei wie die AfD ins Fäustchen.
Ich denke, in den vergangenen Wochen hat sich etwas Grundlegendes geändert. Deutschland erfährt gerade eine Art Realitätscheck. Zu Hunderttausenden gehen die Menschen auf die Straße. Die Leute sind sich der Ernsthaftigkeit bewusst. Man merkt plötzlich, man ist nicht wehrlos. Ohnmacht ist keine gute Strategie. Die Bevölkerung handhabt das aktuell besser als die Regierung.

Für Ihre tägliche Talksendung auf Radio 1 interviewen Sie regelmäßig Personen aus der Schweizer Öffentlichkeit. Als Sie im November eine Sendung zum Thema Israel und dem Krieg in Gaza vorbereiteten, haben Ihnen einige potenzielle Gesprächspartner abgesagt.
Plötzlich wurde mir knallhart ins Gesicht geworfen, mit mir lohne es sich nicht, eine Diskussion zu führen, weil ich zu kritisch in meiner Fragestellung sei. Als Journalist versuche ich selbstverständlich, alle Meinungen in den Diskurs einzubringen. Aber es stellt sich als schwierig heraus, Leute von der propalästinensischen Seite zu finden, die sich solchen Interviews überhaupt stellen. Selbst von jüdisch-kritischer Seite erhielt ich Absagen. In den sozialen Medien äußern sich diese Leute ohne Hemmungen, oder sie gehen gegen Israel auf die Straße. Ihre Verweigerung für ein kontradiktorisches Gespräch empfinde ich als peinlich.

Sie sind in einem traditionell jüdischen Haus aufgewachsen. Inwiefern hat Sie das Judentum geprägt?
In meiner Jugend prägte mich vor allem die Zeit im Jugendbund. Ich war Madrich. Später lebte ich ein halbes Jahr im Kibbuz. Im Sechstagekrieg, da war ich Student, war mir klar, dass den Juden nach dem Holocaust nicht noch einmal etwas Schreckliches widerfahren dürfe. Deshalb wollte ich nach Israel gehen, um zu helfen. Ich war überzeugt, dass sie jemanden wie mich, der in der Schweizer Armee Panzersoldat war, gebrauchen konnten. Noch am ersten Tag fuhr ich mit einer Gruppe Freiwilliger nach Paris. Von dort sollten wir umgehend nach Israel gebracht werden. Dass die Israelis dann nach drei Tagen am Suezkanal standen, damit hatte niemand gerechnet. Auch ich nicht. Somit war das Thema vom Tisch, und ich kehrte ziemlich belämmert nach Zürich zurück. Ich erkannte, dass ich naiv reagiert hatte. Während des Jom-Kippur-Kriegs reiste ich dann als Reporter fürs Schweizer Fernsehen nach Israel und berichtete auch vom noch umkämpften Golan aus. Das waren prägende Momente.

Wie sieht Ihr Engagement heute aus?
Einerseits ist es meine Aufgabe als Journalist, dem Publikum möglichst ungefiltert Informationen zu liefern. Und zwar von allen Seiten. Aber ich habe auch eine Meinung als Roger Schawinski, die ich klar vertrete. Ich streite mich gern mit Hardlinern.

Können Sie mit Kritik umgehen?
Ich scheue den Konflikt nicht und nehme die Kritik in Kauf. Und ich betrachte es stets als meine Aufgabe, Niederlagen genauso wie Erfolge zu analysieren.

Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel »Die Schawinski-Methode. Erfolgs­rezepte eines Pioniers«. Geht es Ihnen tatsächlich nur um den Erfolg?
Im Geschäftsleben ja. Misserfolge stoßen auf wenig Akzeptanz. Wenn ich bei einem Projekt irgendwann nur noch eine Ein-Prozent-Chance habe, dass ich nicht scheitere, dann war es immer meine Aufgabe, dieses eine Prozent zu finden. Einer meiner Leitsprüche findet sich in Jimmy Cliffs Song »You can get it if you really want« wieder. Aber die nächste Zeile ist bezeichnend, denn da heißt es: »But you must try, try and try, try and try. You’ll succeed at last.« Es ist oft härter, als zu Beginn angenommen, aber man darf nie zu früh aufgeben!

Das Gespräch führte Nicole Dreyfus.

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