USA

»Chelsea, die Schickse«

Chelsea Clinton und Marc Mezvinsky liegen im Trend: erst die Trauung unter der Chuppa und dann ein Vaterunser. Foto: dpa

Die Feier fand in einem Schlössschen statt, das für John Jacob Astor IV erbaut worden und Versailles nachgebildet war. Die Braut trug ein langes weißes schulterfreies Kleid mit einem Gürtel, der mit Kristallen bestickt war, ihr blondes Haar war hochgesteckt. Der Bräutigam trug einen schwarzen Anzug, eine Kippa und einen Gebetsschal. Die Zeremonie fand unter einer Chuppa statt, es wurde aber auch das Vaterunser gesprochen, Gospels gesungen, und am Ende tanzten die Gäste die Hora. Ein methodistischer Reverend und ein Reformrabbiner segneten das Brautpaar. Aber die wichtigste Frage, die sich viele jüdische Amerikaner stellen, war: Ist diese Hochzeit gut für die Juden?

Die Braut Chelsea Clinton ist die einzige Tochter des Ex-Präsidentenpaares Bill und Hillary Clinton, und sie heiratete Marc Mezvinsky. Mezvinsky ist, wie seine Frau auch, Investmentbanker an der Wall Street, und er ist der Sohn zweier demokratischer Kongressabgeordneter, und Enkel eines russisch-jüdischen Immigranten, der in Iowa einen Lebensmittelladen aufgemacht hat. Aber kaum gingen die Bilder des Brautpaares um die Welt, kam schon Kritik – und zwar von Juden.

laute kritik Yated Neeman, eine große ultraorthodoxe israelische Wochenzeitung, fand, es sei ein »großes Problem«, dass die meisten amerikanischen Juden sich nicht an dieser interkonfessionellen Hochzeit störten. Für das Blatt eine »spirituelle Schoa«. Die Tageszeitung Yedioth Ahronoth zitierte die Professorin Sylvia Barack-Fishman. Die Dekanin der Abteilung für zeitgenössisches jüdisches Leben an der Brandeis University hatte herausgefunden, dass inzwischen weniger als die Hälfte aller amerikanischen Juden es ablehnten, dass ihr Kind einen Nichtjuden heiratet, bei orthodoxen Familien 84 Prozent. »Jüdische Eltern fühlen sich nicht mehr schuldig, wenn ihr Sohn eine Schickse heimbringt«, heisst es da. Dies bedrohe die jüdische Gemeinschaft in den USA. Leider könne man wenig dagegen tun, wenngleich viel Geld investiert werde, amerikanische Juden mit ihrer angestammten Kultur vertraut zu machen.

Auch in Amerika gab es kritische Stimmen: Avi Shafran, Sprecher der Agudath Israel of America, die führende orthodoxe Organisation meinte, interkonfessionelle Trauungen forderten einen schweren Zoll von der jüdischen Gemeinschaft. Steven C. Wernick, der Vizepräsident der United Synagogue of Conservative Judaism, hält dies noch nicht einmal für eine richtige Hochzeit, wenngleich andere konservative Rabbiner meinen, für die Tochter eines Präsidenten dürfe eine Ausnahme gemacht werden. Reformrabbiner Eric Yoffie betonte, dass das Reformjudentum nichtjüdische Ehegatten in die Synagoge einlade und sie ermutige, die Kinder jüdisch zu erziehen.

Prominente Die Hochzeit von Chelsea Clinton ist nicht der erste prominente interkonfessionelle Eheschluss in den USA. Karenna Gore, die Tochter von Clintons Vize Al Gore, heiratete Andrew Schiff, einen deutsch-jüdischen Mediziner, die Präsidententochter Caroline Kennedy ehelichte den Künstler Ed Schlossberg, dessen Großeltern russische Juden waren. Und erst letztes Jahr heiratete Ivanka Trump, Tochter des Baulöwen Donald Trump, Jared Kushner, den Verleger des New York Observer. Aber Ivanka Trump konvertierte zum Judentum, das Paar will seine Kinder jüdisch erziehen. Ob Chelsea das vorhat, weiß niemand.

Sechs bis acht Millionen Juden leben in den USA und die meisten davon sind säkular. Die Mehrheit stammt von Immigranten ab, die bis 1924 ins Land kamen. Es gibt aber auch Einwanderer jüngerer Zeit aus Russland – etwa Google-Gründer Sergej Brin –, aus arabischen Staaten und, vor allem in den letzten Jahren, aus Israel. Einige davon sind orthodoxe oder ultraorthodoxe Juden, die Parallelgesellschaften bilden, wie syrische Sefarden, die ihre Kinder sogar verstoßen, wenn sie außerhalb des syrischen Judentums heiraten. Anfangs wurden Juden in Amerika diskriminiert und lebten in eigenen Vierteln wie der Lower East Side von New York. Aber mit der Bürgerbewegung der 60er-Jahre, als die Barrieren für Afro-Amerikaner, Katholiken und Asiaten fielen, kamen auch die Juden in der Mitte der Gesellschaft an, und das reflektiert sich eben in der Zunahme von interkonfessionellen Hochzeiten.
Trend Nach einer Umfrage der Jewish Federation haben interkonfessionelle Ehen in den USA rapide zugenommen. 1950 heirateten nur knapp sechs Prozent der amerikanischen Juden einen Nichtjuden, 1970 waren es bereits 13 Prozent, 1980 lag die Zahl bei 38 Prozent, in den 90er-Jahren bei 47 Prozent, und nun sind es mehr als 50 Prozent. Der Trend liegt nicht nur an den Juden: Vor fünzig Jahren war es auch für einen Christen undenkbar, in eine jüdische Familie einzuheiraten. Inzwischen hat sich dies geändert. Auch Ehen zwischen Protestanten und Katholiken oder Christen und Moslems haben zugenommen.

In Leserbriefen vieler Zeitungen wird beklagt, dass die Zahl der Juden in Amerika überhaupt abnehme, da oft die Kinder solcher Ehen nicht jüdisch erzogen werden. »Ich gehe grundsätzlich nicht zu solchen Hochzeiten, warum soll ich die Zerstörung meines Volkes feiern«, meinte ein Leser. »Wir brauchen einander, um zu überleben«, mahnte eine Leserin, und einige sprachen gar von einem »stillen Holocaust«. Aber es gibt auch Juden, die Verständnis dafür haben. »Jüdische Männer wollen keine jüdischen Frauen heiraten – meine Mutter nervt mich immer noch jeden Tag«, schrieb ein Mann.

Auf der anderen Seite beweist diese Hochzeit, dass sich Juden erfolgreich in Amerika integrieren konnten. Für Gary Rosenblatt von der Jewish Week ist dies sogar ein »Rorschach-Test«. Er zeige, wie amerikanische Juden tatsächlich fühlten. Die liberale jüdische Wochenzeitung Forward meint, diese Ehe sei ein »Meilenstein der sozialen Akzeptanz« für Juden. Und das New York Magazin schrieb: »Das ist einer der Fälle, wo der Preis – die Tochter des Präsidenten! – viel wertvoller ist, als dass das Volk ein Mitglied verliert.« In dieser Hinsicht könne die Clinton-Hochzeit verglichen werden mit der Ehe von Arthur Miller und Marilyn Monroe.

Brüssel

Kurswechsel in Belgien?

Am Montag vereidigte König Philippe die neue Föderalregierung unter Führung des flämischen Nationalisten Bart De Wever. Nicht nur im Hinblick auf Nahost dürfte sich einiges ändern

von Michael Thaidigsmann  04.02.2025

Rom

Achtjähriger getreten, geschlagen und bedroht, weil er eine Kippa trug

Der Täter zückte einen abgebrochenen Flaschenhals, als die Mutter und eine Ladeninhaberin ihn aufhalten wollten

 04.02.2025

Angouleme

Charlie-Hebdo-Karikaturist für Comic über Nazi-Raubkunst geehrt

Nach der Terrorattacke auf sein Satire-Blatt vor zehn Jahren wurde Renald Luzier Comic-Buch-Autor

 03.02.2025

Berlin

Friedman: Totalitäre Regime verbreiten Fantasiegeschichten

Der Publizist sieht die westlichen Demokratien zunehmend unter Druck

 03.02.2025

Andorra

Kleiner, sicherer Hafen?

Die Toleranz hat Geschichte im Zwergstaat zwischen Frankreich und Spanien. Aber die jüdische Gemeinschaft darf keine erkennbare Synagoge haben

von Mark Feldon  02.02.2025

Italien

Kaffeeklatsch in Cinecittà

In den 50er- und 60er-Jahren kam Hollywood in die Ewige Stadt. Stars wie Marlon Brando, Audrey Hepburn und Charlie Chaplin zogen nach Rom. Ein neues Buch liefert den Tratsch dazu

von Sarah Thalia Pines  02.02.2025

Großbritannien

Lady Berger und Lord Katz

Zwei jüdische Labour-Abgeordnete wurden zu Mitgliedern des Oberhauses ernannt

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  29.01.2025

Australien

Sydney: Polizei vereitelt Sprengstoffanschlag auf Synagoge

In Sydney wurde ein mit Powergel beladener Wohnwagen sichergestellt - zu den Hintergründen wird noch ermittelt

 29.01.2025

Berlin

Wie ein Holocaust-Überlebender aus der Ukraine auf Deutschland blickt

Er überlebte den Holocaust - und muss nun erleben, wie seine Heimatstadt Odessa von Russland bombardiert wird. An diesem Mittwoch hat Roman Schwarzman die Chance, im Bundestag einen Appell an den Westen zu richten

von Bernhard Clasen  29.01.2025