Tschechien

Bethaus im Niemandsland

Am Rande des einstigen Todesstreifens, der die sozialistische Tschechoslowakei von Bayern trennte, steht die am höchsten gelegene Synagoge Tschechiens. Ohne die Wende im Herbst 1989 wäre auch ihr, wie vielen anderen Bethäusern im Land, der Todesstoß versetzt worden. Jahrelang stand sie als Gerippe da, völlig verfallen. Doch nachdem der Eiserne Vorhang verschwunden war, sollte sich das ändern. Jana und Michal Klima, Kinder von Überlebenden, kauften die Ruine und verwandelten das Gebäude in die Attraktion des kleinen Marktfleckens Hartmanice.

bürgerverein Wer die Webseite des Städtchens besucht, wird nicht – wie man erwarten könnte – über die Belange der Gemeinde unterrichtet, sondern liest einen Abriss der in der Synagoge gezeigten Dauerausstellung zur Geschichte dieser Region des Böhmerwalds. So sehr Jana und Michal Klima sowie der von ihnen ins Leben gerufene Bürgerverein die Synagoge in ein Schmuckstück verwandelt haben, so ungeschminkt wird hier die über sechs Jahrzehnte andauernde Zerstörung eines Kulturraumes dokumentiert.

Ohne ein gutnachbarliches Zusammenleben von Deutschen, Juden und Tschechen vor dem Krieg zu glorifizieren, lässt man viele über die ganze Welt verstreute Zeitzeugen zu Wort kommen. Dargestellt wird die Geschichte der Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Gemeinde mit ihrer 1883 erbauten, 1939 »arisierten« und anschließend zur Tischlerwerkstatt umgebauten Synagoge, die nach 1945 der tschechoslowakischen Armee als Reifenlager diente. Es folgten die Vertreibung und Auslöschung der deutschsprachigen Bewohner nach Kriegsende, der Abbruch der Dörfer im sogenannten Todesstreifen und die Neuansiedlung von Menschen, die mit dieser Region nur so viel zu tun hatten, als dass auch sie aus einer Grenzregion kamen: aus dem an Polen und Weißrussland grenzenden Wolhynien in der heutigen Ukraine.

ausradierung Von der ursprünglichen Bevölkerung blieb nur eine Handvoll tschechischsprachiger Böhmerwälder übrig, von den Juden kehrte keiner aus den Todeslagern zurück. Die Ausradierung der jüdischen Kultur ging im Kommunismus weiter. Die Mächtigen in der Hauptstadt Prag ließen etliche Synagogen im Land abreißen. Nur selten wurde auf den frei gewordenen Parzellen gebaut. Oft dienten sie als Parkplätze, obwohl es der autoarmen sozialistischen Gesellschaft daran nicht mangelte.

Die Bergsynagoge von Hartmanice ist die einzige noch erhaltene in der Region. Neben Friedhöfen, Kirchen und Dörfern kann man die nach 1945 abgerissenen Bethäuser dieser Region auf der Webseite www.zanikleobce.cz abrufen. Eines von ihnen ist die Synagoge in Susice, dem ehemaligen Schüttenhofen am Goldenen Steig. Sie wurde 1963 zerstört. In der Stadt lebte einst die größte jüdische Gemeinde der Gegend. Es waren jüdische Familien, die die beiden Fabriken der Stadt, das Schuhunternehmen Schwarzkopf und die weltbekannte Zündholzfabrik Solo, gründeten. Zusammen beschäftigten die beiden Unternehmen rund 3.000 Menschen. Vor zwei Jahren hat die Zündholzfabrik ihre Produktion eingestellt, ein Schicksal, das den meisten Betrieben der Region widerfährt.

Auf ihrer Webseite erwähnt die Stadt Susice die Gründerfamilien Schwarzkopf und Fürth mit keinem Wort, weder in der Rubrik »Persönlichkeiten aus Susice« noch in der Stadtchronik. Man hat den Eindruck, über die deutsch-jüdisch-böhmische Geschichte der Region solle das Gras des Nationalparks wachsen – wäre da nicht die Initiative von Jana und Michal Klima.

www.hartmanice.cz

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

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