»It’s the glamour, stupid!«, rief ein gewitzter Fotograf beim Studio-Meeting aus. Die Kollegen schüttelten den Kopf oder steckten sich lässig eine Zigarre an. Nur einer von der alten Garde wurde hellhörig und forderte den jungen Kollegen zum Weiterreden auf. Am Ende der Sitzung waren auch die Skeptiker überzeugt. So könnte es sich zugetragen haben, als »Glamour« zum Erfolgsrezept für die Filmindustrie auserkoren wurde und diese über Jahrzehnte prägte. Womöglich war es aber auch eine schottische Einwanderin, die in New York in einem der vielen Nickelodeons – wie die Varieté-Theater aus den Kindertagen des Films hießen – ungläubig »That’s glamour!« ausrief, als Bewegtbilder über die Leinwand zuckten.
In Vergessenheit geraten aber oftmals die wahren Pioniere – haben vor allem jüdische Avantgardistinnen nicht selten über Jahrzehnte im Schatten gestanden, statt im Lichte der Öffentlichkeit zu glänzen. Wer die Geschichte des Glamours neu beleuchten will, kommt aber um eine Frage nicht umhin: Gibt es ein ganz spezielles Leuchten, einen besonderen Glanz, gibt es so etwas wie ein »Jewish Glam«?
Mythen über den Ursprung des Hollywood-Glamours gibt es viele. Gewiss ist jedoch nur, dass sich die Filmindustrie dieses aus dem Schottischen stammenden Begriffs bemächtigt hatte, um ein glanzvolles Imperium zu erschaffen, dem sich die verzauberten Zuschauer mit Wonne unterwarfen. Leinwanddiven wie Ava Gardner und Greta Garbo strahlten etwas Überirdisches aus und ermöglichten auch einer düster gestimmten Bevölkerung einen Moment der Zuversicht.
»Glam« war das Gegengift zu »Gloom«, zu Trübsinn und Finsternis.
Glamour war das Gegengift zu »Gloom«, zu Trübsinn und Finsternis. Amerika sollte beim Anblick der Bilder daran erinnert werden, dass der amerikanische Traum trotz Wirtschaftsdepression und Börsencrash, hoher Arbeitslosigkeit und Rezession fortlebte. Glamour versprach Hoffnung, war eine neue Art Opium für das Volk – zumindest für einige betörende Augenblicke. Und während sich das Publikum am Glanz der Stars wärmte und ergötzte, drängelte sich zeitgleich eine Armada an Technikern im Maschinenraum der Glamour-Industrie.
In den MGM-Studios wurde Ava Gardner von den besten Visagisten und Lichtspezialisten ihrer Zeit in Szene gesetzt. Maksymilian Faktorowicz, besser bekannt als Max Factor, der aus Polen stammende Gründer der gleichnamigen Kosmetikfirma und Erfinder des Lipgloss, entwickelte für sie ein Make-up, das Geschichte schreiben sollte: ein makelloser Teint, Rouge aufgetragen unter den Wangenknochen, um dem Gesicht Kontur und Wärme zu verleihen. Dazu hoch geschwungene Augenbrauen und fedrige Wimpern, betont mit schwarzer Wimperntusche, ein perfekter Lidstrich, der in einem sanften Bogen an den Außenwinkeln der Augen ausklingt.
Ava Gardner soll auf einen glänzenden burgunderroten Lippenstift bestanden haben, der dem Gesamtausdruck des Gesichtes ihrem Empfinden nach mehr Eleganz verlieh als ein hellerer Rotton. »Glamourlicht«, weich, mit gezielten Schatten, fing das Leuchten ein und bannte es auf die Leinwand.
Einer der bekanntesten »Glamour«-Fotografen war George Hurrell. Ursprünglich Maler, hatte er schnell erkannt, dass sich in Los Angeles mehr Geld mit Fotografie als mit Landschaftsmalerei machen ließ. Er eröffnete ein Fotoatelier und verdiente fortan seinen Lebensunterhalt mit Porträts. Seine Lichtregie mit dramatischen Kontrasten verstärkte den Ausdruck seiner Sujets und erzeugte eine Spannung zwischen Lichtem und Obskurem. Hurrells Kunst bestand darin, trotz der begrenzten Möglichkeiten einer standardisierten Technik ein spezielles Leuchten – den Glanz der Augen, die individuelle Tönung der Haut – hervorzubringen, Makel verschwinden zu lassen und darüber hinaus eine enigmatische Facette des Porträtierten anzudeuten.
Das verdankte er seiner Vorgängerin
Seine ungewöhnliche Begabung für Schönheit, gepaart mit erzählerischer Kraft, entging auch den Verantwortlichen beim Filmstudio Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) nicht, sodass Hurrell 1930 bereits als Leiter der Abteilung Porträtfotos engagiert wurde. Die unwiderstehliche Ausstrahlung der von ihm porträtierten Stars versprach, das Publikum an die Kinokassen zu ziehen. Und tatsächlich, Hurrells Arbeiten wurden zu Devotionalien einer stets wachsenden Fangemeinde. Das verdankte er auch seiner Vorgängerin. Als Hurrell bei MGM begann, konnte er auf den von Ruth Harriet Louise geschaffenen Voraussetzungen aufbauen.
Die Tochter eines Rabbiners aus New Jersey war Hollywoods erste professionelle Fotografin. Schon mit Anfang 20 war sie Leiterin der von ihr selbst eingerichteten »Portrait Gallery« bei MGM geworden und schuf im Laufe ihrer Karriere mehr als 100.000 Fotos, unter denen auch begnadete Porträts von Greta Garbo zu finden sind. Lange Zeit war Louise die einzige, von der sich der aus Schweden stammende Weltstar überhaupt fotografieren ließ. Garbo bestimmte ihr Image selbst und bestand auf der exklusiven Kooperation mit Louise, einer Frau, die nicht nur talentiert war, sondern auch mit einem außergewöhnlichen Durchsetzungsvermögen ausgestattet gewesen sein soll.
»Sie kommandiert die Stars herum«, war einmal in einem zeitgenössischen Artikel über die Fotografin zu lesen. Louise begriff sich nicht mehr nur als untergeordnete Dienstleisterin, sondern als Künstlerin und PR-Profi. Sie formte das Image der Stars mit und war prägend für deren bildliches Vermächtnis. Auch männliche Branchengrößen wie den Komiker Buster Keaton oder den Produzenten Cecil B. DeMille porträtierte sie.
So war Louise eine der ersten Frauen, die mittels der Fotografie das Filmbusiness mitgestalteten, und zwar auf ihre ganz eigene Art. Sie verstand es, eine vertrauensvolle, entspannte Atmosphäre zu schaffen, sodass sich selbst die größten Berühmtheiten während des Shootings auf ihre Regieanweisungen einließen. Allerdings, obgleich sie als eine der ersten Glamour-Fotografinnen gilt, unterschied sich ihr Stil deutlich von dem ihres Nachfolgers Hurrell.
Die Geschichte der Glamour-Fotografie
Louise schuf vor allem Ganzkörperstudien und arbeitete mit Ausschnittvergrößerungen im Labor. Das Licht wirkte weicher, die Konturen waren noch nicht ganz so prononciert wie bei Hurrell, der Einfluss der Broadway-Fotografie war noch spürbar. Sowohl Hurrell als auch Louise aber professionalisierten und verfeinerten die MGM-Strategie, Stars in Fotosessions bereits vor Drehbeginn aufzunehmen, um das Interesse der Fangemeinde bereits im frühen Produktionsstadium zu wecken.
Die Geschichte der Glamour-Fotografie hätte sich vermutlich anders entwickelt, wenn Louise ihre Karriere nicht um der Liebe willen beendet hätte. Nach fünf Jahren bei MGM übergab sie das Zepter an Hurrell, um zu heiraten. Mit nicht einmal 40 Jahren verstarb sie im Kindbett bei der Geburt ihres zweiten Sohnes. Louise hatte den Weg bereitet für eine Bildsprache, einen künstlerischen Ausdruck, den wir noch heute als charakteristisch ansehen für die goldene Ära Hollywoods. Glamour, den Zauber der Stars, bannte sie auf zwanglose, spielerische Art, frei von manierierten Effekten.
Es ist ein schönes Gedankenspiel, sich vorzustellen, wie sich Hollywoods Glamour weiterentwickelt hätte unter der Regie einer Ruth Harriet Louise. Als Jüdin war sie vertraut mit Licht und Schatten, mit der ritualisierten Verwendung von Kerzen und der Kraft des Feuers. In der Bibel wird Licht vom ersten Kapitel an gewürdigt, interpretiert und zeremoniell gestaltet. Licht markiert den Unterschied zwischen Hellem und Obskurem, zwischen Sakralem und Profanem. Ein Wissen, das sich die berühmte Porträtistin wohl auch zunutze machte, indem sie diesen ganz speziellen Glow erfasste, der bei Hurrell leicht in Überspitztheit umschlug.
Während Hurrell zum Vater des Glamours stilisiert wurde, blieb Louise im Schatten. Ihre Porträts waren visionär, und dennoch verschwand ihr Name aus der Geschichte der Traumfabrik. Allzu lange triumphierten in Hollywood Männer, die sich als Schöpfer und Pygmalions der Stars verstanden. Der Glanz, den Diven verstrahlten, war ein meist von männlicher Hand kreierter Zauber. Die Tochter eines Rabbis aus New Jersey aber brachte für eine kurze Zeit ein Funkeln in die Studios, einen Glamour, der noch heute, Generationen später, die Welt magnetisiert.