Straßburg

»Auf der Straße Kippa zu tragen, ist etwas ganz Normales«

Roland Ries, Oberbürgermeister von Straßburg Foto: Getty Images

Straßburg

»Auf der Straße Kippa zu tragen, ist etwas ganz Normales«

Bürgermeister Roland Ries über Judenhass, Erinnerungskultur und gelebte Normalität

von Julien Reitzenstein  29.05.2019 11:55 Uhr

Herr Ries, Mitte Februar und Anfang März gab es antisemitische Vorfälle in Straßburg. Was genau ist geschehen?
Straßburg ist nicht die einzige Stadt, die vom Anstieg antisemitischer Vorfälle betroffen ist. Aber das Elsass ist aufgrund seiner Geschichte eine Region, in der die jüdische Gemeinschaft seit Jahrhunderten fest verwurzelt ist. Im Gegensatz zum übrigen Frankreich hat es hier zahlreiche ländliche jüdische Gemeinschaften gegeben. Deshalb befinden sich hier viele Friedhöfe mit bestimmten Grabstätten, die auf das 16. Jahrhundert und sogar auf das Mittelalter zurückgehen, wie einige Grabsteine in den Museen bezeugen.

Es gab ja Friedhofsschändungen.
Es sind die Friedhöfe elsässischer Dörfer und Gemeinden, die am häufigsten das Ziel waren, wenn man die Friedhofsschändungen erwähnen will. Des Weiteren gab es, wie in ganz Frankreich zu beobachten war, eine Freisetzung des antisemitischen Diskurses als Begleiterscheinung beziehungsweise parallel zur Bewegung der Gelbwesten (dieses Phänomen müsste noch untersucht werden), und in Straßburg wie auch anderswo sind während der Demonstrationen in der Nähe der Synagoge antisemitische Beleidigungen laut geworden.

Unter deutscher Herrschaft gab es in Straßburg das oft vergessene Massaker am Valentinstag 1349. Und die furchtbaren Verbrechen der Nationalsozialisten. Wie geht Straßburg heute mit diesem antisemitischen Erbe um?
Ich muss zunächst betonen, dass die Beziehungen zwischen den Institutionen und Mandatsträgern, insbesondere der Stadt Straßburg, und den Gremien der jüdischen Gemeinschaft ausgezeichnet sind. Wir organisieren viele gemeinsame Veranstaltungen, die eher in den Bereich des interreligiö­sen Dialogs fallen. Was insbesondere die Erinnerungskultur betrifft, ist der Standort der alten Synagoge an der Uferstraße, die von den Nazis während des Zweiten Weltkriegs dem Erdboden gleichgemacht wurde, gewissermaßen zum »heiligen Ort« erklärt worden. Es wurde schon vor sehr langer Zeit beschlossen, dass kein Gebäude an diesem Ort errichtet werden darf, dessen Fläche im Übrigen gekennzeichnet ist. Wir haben diesen Standort gewählt, um dort wie in anderen französischen Städten eine Allee der Gerechten einzurichten, die 2015 im Beisein des damaligen Premierministers Manuel Valls eingeweiht wurde.

Worauf führen Sie es zurück, dass im Elsass der Antisemitismus stärker wird?
Der Antisemitismus ist ein komplexes Phänomen. Ihn zu entwirren, ist sehr schwierig. Man muss nur an die letzten Meuchelmorde zurückdenken, die an den Kindern der jüdischen Schule in Toulouse, im koscheren Supermarkt in Paris oder an Mireille Knoll begangen wurden. Dies zeigt das Zielmotiv: Es sind mehr die Stereotypen, immer traf es Menschen, die in bescheidenen Lebensverhältnissen lebten.

Gibt es solche Fälle auch in Straßburg?
Es gab in der Stadt immer antisemitische Vorfälle, ohne dass jedoch Personen betroffen waren – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Vielleicht sind heute mehr Graffiti zu finden, aber das ist nicht spezifisch für Straßburg.

Ist es in Straßburg ungefährlich, eine Kippa zu tragen?
Straßburg ist eine der wenigen jüdischen Gemeinden Frankreichs, die neue Familien eher willkommen heißt, als jüdische Familien die Stadt verlassen zu sehen, wie es in bestimmten Vierteln der Pariser Peripherie der Fall ist. Straßburg ist also eine Stadt, in der sich Juden wohlfühlen und in der das gemeinschaftliche Leben perfekt organisiert ist, mit Schulen, Geschäften, Restaurants, zahlreichen Synagogen und vielen Gebetsorten. In Straßburg auf der Straße eine Kippa zu tragen, ist etwas ganz Normales.

Mit dem Straßburger Oberbürgermeister sprach Julien Reitzenstein.

New York

Das sind die Rabbiner in Mamdanis Team

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat Mamdani keinen Ortodoxen in seine Übergangsausschüsse berufen – eine Lücke, die bereits im Wahlkampf sichtbar wurde

 02.12.2025

Dänemark

Männer sollen 760.000 Euro für die Hamas gesammelt haben

Am Dienstagmorgen nahm die Polizei einen 28-Jährigen fest. Sein mutmaßlicher Komplize sitzt bereits in U-Haft

 02.12.2025

Italien

Francesca Albanese und ihre »Mahnung« an die Presse

In Turin wurden die Redaktionsräume von »La Stampa« von Demonstranten verwüstet. Die Reaktion der UN-Sonderbeauftragten für die Palästinensergebiete verstörte viele

von Michael Thaidigsmann  02.12.2025

Jüdisches Leben im Libanon

Noch immer hat Beirut eine Synagoge, aber die Gläubigen nehmen ab

Einst war Libanon ihr Zufluchtsort, dann kam der Bürgerkrieg, und viele gingen. Doch nach wie vor gehören Juden zu den 18 anerkannten Religionsgruppen im Libanon - auch wenn nur noch wenige im Land leben

von Andrea Krogmann  02.12.2025

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

Interview

»Meinungsvielfalt gilt es auszuhalten« 

Am 8. Dezember wählt die Gemeindeversammlung der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ein neues Präsidium. Ein Gespräch mit den Kandidaten über Herausforderungen an die Gemeinde, Grabenkämpfe und Visionen

von Nicole Dreyfus  01.12.2025

Italien

Der Anti-Banksy

AleXsandro Palombo unterstützt mit seiner Kunst Israel, anstatt es zu verdammen

von Federica Matteoni  01.12.2025

Haifa

Nach abgesagter Auktion: Holocaust-Zeugnisse jetzt in Israel

Die geplante Versteigerung von Holocaust-Zeugnissen in Deutschland hatte für große Empörung gesorgt. Nun wurden viele der Objekte nach Israel gebracht und sollen dort in einem Museum gezeigt werden

von Sara Lemel  01.12.2025

Dublin

Herzog-Park wird vorerst nicht für Palästina befreit

Das ging selbst der israelkritischen Regierung Irlands zu weit: Die Dubliner Stadtverwaltung hat Pläne gestoppt, eine nach Israels sechstem Staatspräsidenten Chaim Herzog benannte Grünanlage umzubenennen

von Michael Thaidigsmann  01.12.2025

USA

Ein Stadtneurotiker wird 90

Woody Allen steht als Autor, Regisseur und Schauspieler für einzigartige Filme. Doch bis heute überschatten Missbrauchsvorwürfe sein Lebenswerk

von Barbara Schweizerhof, Sophie Albers Ben Chamo  29.11.2025