Interview

Warum gehören die Israelis trotz allem zu den glücklichsten Menschen, Frau Havron?

Efrat Havron Foto: privat

Interview

Warum gehören die Israelis trotz allem zu den glücklichsten Menschen, Frau Havron?

Ein Gespräch über den Weltglücksindex, das bedrohte Israel und Sigmund Freud

von Tobias Kühn  14.04.2025 21:42 Uhr

Frau Havron, im jüngsten World Happiness Report steht Israel an achter Stelle der glücklichsten Länder der Welt. Wie kommt es, dass die Israelis trotz der aktuellen Lage offenbar so zufrieden sind?
Ich glaube, was Menschen glücklich macht, sind Sinn und Verbundenheit. Das Gefühl, für etwas zu leben – und Teil von etwas zu sein. Beides ist tief in der israelischen Gesellschaft verankert. Auch in diesen Zeiten sind wir eine sehr traditionelle Gesellschaft mit Familien, die eng zusammenstehen. Israel ist ein kleines Land, die Menschen leben geografisch nah beieinander. Man trifft sich am Schabbat, bald feiern wir Pessach – mit Familie, mit Freunden. Diese Nähe stiftet Zugehörigkeit.

Beeinträchtigt die ständige Bedrohungs­lage nicht das Glücksempfinden?
Oh doch! Sie hat einen großen Einfluss, vor allem ruiniert sie das allgemeine Wohlbefinden. Die Menschen sind häufiger krank, haben mehr gesundheitliche Probleme. Schuppenflechte, Rückenschmerzen und all diese Dinge, von denen wir wissen, dass sie mit Stress zu tun haben, treten seit anderthalb Jahren häufiger auf. Ständig gestresst zu sein, schadet der Lebensqualität. Viele sind gereizt, schreien sich auf der Straße oder im Bus an und sind angespannt wegen der Bedrohung von außen, aber auch wegen der innenpolitischen Lage. Der Hass der Menschen untereinander schadet dem Wohlbefinden.

Kommen die Patienten heute eher mit alltäglichen Problemen oder mit existenziellen Fragen zu Ihnen?
Mittlerweile überwiegen wieder die Alltags­probleme. Nach dem 7. Oktober 2023 war das anders – da kamen viele mit Existenziellem, weil das Leben selbst bedroht war. Jetzt sind es weniger die großen Fragen nach dem Sinn des Lebens, sondern es geht darum: Sollten wir so weitermachen? Ist es vernünftig, so zu leben? Viele spüren, dass man im Leben – wie im Bett – die Decke mit jemandem teilen muss.

Sigmund Freud sagte einmal: Der Mensch strebt nicht nach Glück, sondern nach Befreiung vom Leiden. Sind die Israelis so sehr mit dem Überleben beschäftigt, dass jedes gelungene Alltagsereignis als Glück empfunden wird?
Heinz Kohut sagte, dass wir in innerem Frieden und Glück leben können. Er war auch Psychoanalytiker, aber er war opti­mistischer als Freud. Er meinte, dass wir nach mehr streben können, als unser Leiden zu lindern. Dass wir Glück und damit auch inneren Frieden haben können. Das ist in Israel gerade nicht sehr ausgeprägt.

Was, glauben Sie, würde Sigmund Freud der israelischen Gesellschaft sagen, wenn sie heute bei ihm auf der Couch läge?
Ich denke, er würde sagen, dass wir einen riesigen inneren ungelösten Konflikt mit uns herumtragen, mit dem wir uns nicht genug auseinandersetzen, und dass wir auf schmerzhafte Weise gespalten sind.

Mit der Jerusalemer Psychoanalytikerin sprach Tobias Kühn.

Debatte

Medienberichte: Israels Regierung hebt Entlassung Bars auf

Israels Führung wollte den Geheimdienstchef loswerden, am Montag erklärte Ronen Bar selbst seinen Rücktritt. Die Regierung nimmt nun ihren Entlassungsbeschluss zurück - womöglich nicht ohne Grund

von Cindy Riechau  29.04.2025

Jom Hasikaron

Ganz Israel trauert

Mit dem ersten Sirenenton am Abend beginnt das Gedenken für die gefallenen Soldaten und Terroropfer

von Sabine Brandes  29.04.2025

Rekord

So viele Menschen leben in Israel

Eine neue Statistik liefert überraschende Antworten

 29.04.2025

Tel Aviv

»Sie würde aussehen wie ein Sumo-Ringer«

Benjamin Netanjahu bestreitet im Korruptionsprozess gegen ihn, dass seine Frau 160 Kisten Champagner bekommen hat

 29.04.2025

Menschenrechte

Immer schriller: Amnesty zeigt erneut mit dem Finger auf Israel

Im neuesten Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation wirft sie Israel vor, einen »live übertragenen Völkermord« zu begehen

von Michael Thaidigsmann  29.04.2025

Israel

Israels Geheimdienstchef Bar räumt seinen Posten 

Israels Führung will den Inlandsgeheimdienstchef des Landes schon länger loswerden. Nun plant Ronen Bar, sein Amt bald niederzulegen. Grund ist aber nicht der Wunsch der Regierung

 28.04.2025

Sport

Nach Anti-Israel-Eklat: Jetzt sprechen die Schweizer Fechter

Bei der Nachwuchs-EM der Fechterinnen und Fechter kommt es in Estland zu einer viel diskutierten Szene. Nun haben sich die verantwortlichen Schweizer erklärt

 28.04.2025

Meinung

Die Namen in die Welt schreien

24 junge Männer in der Gewalt der Hamas sind wahrscheinlich noch am Leben - sie können und müssen durch ein Abkommen gerettet werden

von Sabine Brandes  28.04.2025

Fecht-EM

Schweizer Fechter schauen bei israelischer Hymne demonstrativ weg

Nachdem die U23-Mannschaft der Schweizer Fechter gegen Israel protestierte, äußert sich nun der Schweizer Fechtverband und verurteilt den Vorfall

von Nicole Dreyfus  28.04.2025