Covid

Vierter Lockdown im Gespräch

Bürger über 60 erhalten derzeit eine dritte Impfung in Israel Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Israel könnte ein neuer Lockdown bevorstehen – zu den Hohen Feiertagen Rosch Haschana, Jom Kippur und Sukkot. Es wäre der vierte während der Corona-Krise für das kleine Land. Am Montag vermeldete das Gesundheitsministerium mit 6275 die höchste Zahl an Neuinfektionen mit Covid-19 seit sechs Monaten. Auch die Zahl der Schwerkranken habe ein Halbjahreshoch mit 394 Fällen erreicht. Die Positivrate liegt derzeit bei 4,91 Prozent.

Zwei Tage zuvor hatte die Regierung neue Restriktionen wegen der Pandemie bekannt gegeben. Damit soll vor allem die Delta-Variante des Coronavirus eingedämmt werden, gegen die das Vakzin wohl nur eingeschränkt wirksam sein soll. Mehrere Gesundheitsexperten ziehen jedoch die Verbindung zwischen den Krankheitsraten und der Effektivität des Impfstoffes von BioNTech/Pfizer in Zweifel. Die nationale Forschungsanstalt für Epidemiologie, das Gertner-Institut, meint, die Politiker müssten dies in Betracht ziehen.

realität Yael Paran, Ärztin für Infektionskrankheiten am Sourasky-Krankenhaus, beschrieb in der »Times of Israel«, dass die Zahlen nicht mit der Realität, die sie erlebt, übereinstimmten. »Was wir bei uns und in der ganzen Welt sehen, stützt die Theorie nicht. Die Zahlen sind übertrieben. Der Begriff ›ernsthaft krank‹ wird irreführend benutzt.«

Paran nannte das Beispiel eines 80-jährigen geimpften Patienten, dessen Sauerstoffgehalt im Blut kurzzeitig etwas absank, weshalb er in die Kategorie »schwerkrank« fiel. »Doch das«, argumentierte Paran, »würde genauso bei anderen Krankheiten geschehen. Wir können das gut mit Steroiden behandeln – und doch wird er in der Statistik als schwerkranker Covid-19-Patient betrachtet.«

Seit einigen Tagen wird über 60-Jährigen eine Auffrischspritze verabreicht, um die Verbreitung der Variante einzuschränken.

Mehr als 5,8 Millionen Israelis haben mittlerweile die erste Dosis des Vakzins erhalten, 5,4 Millionen die zweite. Seit einigen Tagen wird zudem über 60-Jährigen eine Auffrischspritze verabreicht, um die Verbreitung der Variante einzuschränken. Die dritte Spritze wird in Israel gegeben, noch bevor die US-Behörde für die Überwachung von Arznei- und Lebensmitteln, FDA, sie genehmigt hat. Demzufolge ist Israel derzeit eine Art Testzentrum.

vorabstudie Eine Vorabstudie der Krankenversicherung Clalit berichtet, dass mehr als 80 Prozent der mit einer dritten Spritze geimpften Personen über ähnliche Nebenwirkungen berichteten wie nach der zweiten Impfung. In vielen Fällen seien sie sogar weniger gravierend gewesen.

Premierminister Naftali Bennett nahm das zum Anlass, die Israelis noch einmal aufzurufen, sich impfen zu lassen. »Sonst könnte es gravierende Restriktionen geben.« Alles hänge von den Auswirkungen der Impfkampagne ab, so der Ministerpräsident. Diese soll durch Anreize angekurbelt werden. Doch ein Bier zur Impfung, wie vor einigen Monaten in einigen Fällen in Tel Aviv ausgeschenkt, reicht mittlerweile nicht mehr aus.

Angeblich denkt die Regierung derzeit darüber nach, die nationale Lotterie in den Impfprozess einzubinden. Rund eine Million Israelis soll so dazu gebracht werden, sich noch die Spritze setzen zu lassen. Ein Sonderbudget ist eingerichtet worden, um dies voranzubringen. Ebenso wird darüber nachgedacht, direkt Geld zu überweisen, zum Beispiel an Familien, die Kinder über 15 Jahre impfen lassen. Außerdem rief Bennett die arabische Gemeinschaft, in der die Impfrate besonders niedrig ist, auf: »Lasst euch impfen!«

Laut Gesundheitsminister Horowitz werde man mit dem Virus langfristig leben müssen.

Auch Verteidigungsminister Benny Gantz warnte, dass man einen Lockdown an den jüdischen Feiertagen nicht werde vermeiden können, sofern die Zahl der Neuinfektionen nicht sinkt. Er argumentierte, eine Abriegelung des Landes im September würde einen geringeren wirtschaftlichen Schaden anrichten, da alle Feiertage dieses Jahr in diesen Monat fallen.

infrastruktur Gesundheitsminister Nitzan Horowitz jedoch machte klar, dass ein Lockdown nur der letzte Ausweg sei. »Das Coronavirus wird in der nächsten Zeit nicht verschwinden, daher bereiten wir eine Infrastruktur vor, die es uns ermöglicht, mit dem Virus langfristig zu leben.«

Am Wochenbeginn hatte Israel neue Res­triktionen eingeführt, vor allem die Wiedervorlage des »grünen Gesundheitspasses«. Das Impfzertifikat wird jetzt für alle Kultur- und Sportveranstaltungen, Hotels, Restaurants, Kinos sowie Fitnessstudios verlangt. Gotteshäuser sind bislang davon ausgenommen. Masken werden nun auch wieder im Außenbereich bei Zusammenkünften von mehr als 100 Menschen verlangt.

Der Corona-Berater der Regierung, Nachman Ash, gab zu, dass das Ministerium sich noch nicht darüber im Klaren sei, bei welcher Zahl der Infektionen eine Abriegelung des gesamten Landes umgesetzt werden müsse. In israelischen Medien war von 600 bis 700 Kranken berichtet worden. Doch Ash schränkte ein: »Es ist eine komplizierte Angelegenheit. Es geht nicht nur um die Schwerkranken, sondern auch um Menschen, die künstlich beatmet werden, die Infektionsraten und die Zahl der Neuinfektionen.«

UMFRAGE Er fügte hinzu, dass man bislang nicht plane, Impfverweigerer in irgendeiner Weise zu bestrafen. Die könnten wohl auch nur schwer überzeugt werden, wie eine repräsentative Umfrage bestätigt. Nach eineinhalb Jahren, drei Lockdowns und Tausenden von Toten meint ein Fünftel der Israelis, die Pandemie sei eine Verschwörung von Pharma-Unternehmen und Regierungen.

Das ist das Ergebnis einer Studie von Michal Grinstein-Weiss von der Fakultät für Sozialpolitik an der Universität in St. Louis, USA, und derzeit Professorin am IDC in Herzlija. Ein Drittel der Befragten gab an: »Die Medien übertreiben bei der Darstellung der Gefahren der Pandemie«, und 36 Prozent meinen, es gebe einen Mangel an vertrauenswürdigen Informationen. Auf die Frage, ob Covid mittlerweile passé sei, antworteten jedoch lediglich 15 Prozent mit »Ja«.

Währenddessen wird das Reisen wieder eingeschränkt.

Währenddessen wird das Reisen wieder eingeschränkt. Alle Israelis, die aus dem Ausland – darunter auch Deutschland und den USA – zurückkehren, müssen ab 16. August in die Selbstisolation, wenn der Knessetausschuss zustimmt. Ausgenommen davon sind lediglich zehn Länder, darunter Österreich, Australien und China.

sondergenehmigung Um die Quarantäne nach sieben Tagen zu beenden, müssen zwei negative Corona-Tests vorgelegt werden. In mehrere Staaten, etwa Brasilien, die Türkei und Spanien, dürfen Israelis momentan gar nicht reisen. Nicht-Staatsbürger oder Menschen mit Aufenthaltsgenehmigung dürfen nach wie vor ausschließlich mit Sondergenehmigung nach Israel einreisen.

Am Montag erklärten die USA Israel zum höchsten Risikolevel und raten US-Bürgern derzeit, von nicht notwendigen Reisen Abstand zu nehmen. Zudem wurden sämtliche Fahrten für junge Juden von der Organisation Taglit-Birthright bis auf Weiteres abgesagt. Die waren erst im Mai nach einer Unterbrechung von 14 Monaten wiederaufgenommen worden. Insgesamt seien 42 Gruppenreisen davon betroffen, so ein Sprecher von Birthright. »Doch wir gehen davon aus, dass die Quarantäne nur vorübergehend ist, und freuen uns darauf, die Touren so schnell wie möglich wiederaufzunehmen.«

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