Knesset

Neue Regierung im Amt

Wechsel in Jerusalem: Am Sonntagabend nahmen Naftali Bennett (3.v.l.) und seine Kabinettskollegen erstmals auf der Regierungsbank in der Knesset Platz. Foto: Flash 90

Israel hat eine neue Regierung. Die Einheitsregierung unter Premierminister Naftali Bennett von der Rechtspartei Jamina ist am Sonntag in der Knesset in Jerusalem eingeschworen worden. Mit 60 zu 59 Stimmen haben die Parlamentarier dem sogenannten Block des Wandels das Vertrauen ausgesprochen. Damit ist die Amtszeit von Benjamin Netanjahu (Likud) beendet, der das Land mit einer Koalition aus religiösen und Rechtsparteien zwölf Jahre lang regiert hatte.

Die ungewöhnliche Allianz aus acht Rechts-, Links-, Zentrumsparteien und der islamistischen Partei Raam war auf die Ini­tiative von Yair Lapid von der Zukunftspartei Jesch Atid zustande gekommen.

chaos Während der Reden am Sonntag in der Knesset gab es lautstarkes Geschrei, Buhrufe und Pfiffe. Bildungsminister Yoav Gallant vom Likud meinte, so etwas habe er noch nie erlebt. Vor allem die Parlamentarier der rechtsextremen Partei »Religiöser Zionismus« unter der Leitung von Bezalel Smotrich verursachten Chaos während der Ansprachen. Sie hielten Bilder von Terroropfern in die Höhe und beschuldigten die neue Regierung, »Terrorismus zu unterstützen und Wählerstimmen gestohlen zu haben«. Schließlich wurden sie des Saales verwiesen.

Während der Reden am Sonntag in der Knesset gab es lautstarkes Geschrei, Buhrufe und Pfiffe.

Der neue Ministerpräsident Naftali Bennett dankte zunächst Netanjahu für seinen »Dienst für Israel«. Er und seine Frau Sara hätten viele Opfer für das Land gebracht. Dann beschwor Bennett die Einheit und rief zur Zusammenarbeit der Parteien auf. »Wir haben die Verantwortung übernommen – und diese Regierung wird die gesamte Bevölkerung vertreten.« Israel hatte zuvor in der tiefsten politischen Krise in der Geschichte des Landes gesteckt. Vier Wahlen innerhalb von zwei Jahren brachten kein eindeutiges Ergebnis.

An die Störer gewandt, sagte Bennett: »So groß euer Geschrei ist, so groß ist auch der Verlust des Vertrauens in euch.« Israel sei keine Monarchie und ein Wechsel der Regierung kein Weltuntergang, sondern ganz normales Prozedere. Bennetts drei Kinder, die auf der Zuschauertribüne saßen, bildeten mit den Händen Herzen, um ihren Vater zu unterstützen.

Die Koalition umfasst ein so breites Spektrum, wie es das in Israel noch nie gab. Sie wird aus acht Parteien bestehen, die von der Linkspartei Meretz bis zur rechten Jamina reichen. Jesch Atid stellt die größte Fraktion mit 17 Sitzen. Streng religiöse Parteien sind nicht beteiligt, stattdessen sitzt seit Jahrzehnten zum ersten Mal wieder eine arabische Partei in einer Regierung in Jerusalem. Raam unter der Leitung von Mansour Abbas will sich vor allem für die zivilen Belange der Minderheit einsetzen.

ROTATION Der Posten des Premierministers wird in einem Rotationsverfahren zuerst an Bennett und später an Lapid gehen. Letzterer wird zuerst als Außenminister fungieren, eine Paraderolle für den charismatischen einstigen TV-Journalisten. Das Verteidigungsressort wird wie bei der vorherigen Koalition in den Händen des Vorsitzenden der Zentrumspartei Blau-Weiß, Benny Gantz, bleiben. Innenministerin wird Ayelet Shaked von Jamina, Justizminister Gideon Saar (Neue Hoffnung). Avigdor Lieberman (Israel Beiteinu) wird das Finanzministerium übernehmen, der Chef der linken Meretz-Partei, Nitzan Horowitz, das Gesundheitsressort.

Der scheidende Ministerpräsident Netanjahu machte in seiner letzten Rede als Regierungschef klar, er werde hoch erhobenen Hauptes in der Opposition sitzen. Bis zuletzt hatte er noch versucht, eine eigene Koalition auf die Beine zu stellen. Doch ohne Erfolg. Er wandte sich an »seine Freunde aus dem echten rechten Lager« und versicherte ihnen, dass man diese »gefährliche Regierung stürzen und das Land wieder in die richtige Richtung lenken wird«.

Bennett sagte, Israel sei keine Monarchie und ein Wechsel der Regierung kein Weltuntergang.

Anschließend konzentrierte er sich hauptsächlich auf die Bedrohungen durch den Iran. Die US-Regierung unter Präsident Joe Biden werde zum Atomdeal zurückkehren und keine ernsthaften Aktionen gegen das Regime durchführen. Dann warnte er: »In Teheran werden sie jetzt feiern, weil sie verstehen, dass es in Israel eine schwache Regierung gibt.« Netanjahu ist in drei Fällen wegen Korruption angeklagt. Derzeit wird ihm der Prozess in Jerusalem gemacht.

Lapid, der Initiator vom »Block des Wandels«, verzichtete wegen der extremen Störungen auf seine Rede und sagte knapp: »Ich möchte mich bei meiner Mutter entschuldigen. Ich hatte gehofft, dass sie stolz auf diesen demokratischen Prozess und den Regierungswechsel sein kann. Stattdessen schäme ich mich. Doch ihr zeigt allen damit, warum ihr ersetzt werden müsst.«

Nach dem zeremoniellen gemeinsamen Foto der neuen Regierungsmitglieder am Montag im Beit Hanasi, der Residenz des Staatspräsidenten in Jerusalem, nahm die Koalition ihre Arbeit auf. Bennett ist mit 49 Jahren der zweitjüngste Premierminister in der Geschichte des Landes. Netanjahu war bei seinem ersten Amtsantritt im Jahr 1996 erst 46 Jahre alt gewesen.

GRATULATIONEN US-Präsident Joe Biden rief Bennett bereits zwei Stunden nach seiner Amtseinführung an und gratulierte ihm. Die beiden betonten die Bedeutung der Freundschaft zwischen Israel und den USA. Am Montag sprachen Lapid und sein US-amerikanischer Amtskollege Antony Blinken miteinander. Der Amerikaner lud den neuen israelischen Außenminister nach Washington ein.

Die Koalition umfasst ein so breites Spektrum, wie es das in Israel noch nie gab.

Andere westliche Staaten reihten sich in die Gratulanten ein, darunter Boris Johnson aus Großbritannien und der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gratulierte Bennett ebenfalls. Auch sie betonte die Freundschaft der beiden Länder und hoffe, dass man eng zusammenarbeiten könne.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) sandte seinem neuen Kollegen einen Gruß per Twitter: »Herzlichen Glückwunsch an die neue Regierung von Israel und an meinen neuen Kollegen Yair Lapid. Freue mich auf die Zusammenarbeit. Mazel tov!«

Bennetts ehemaliger Kommandant in der israelischen Eliteeinheit Sajeret Matkal, Colonel Levy, sagte am Montag, dass er seinen früheren Soldaten Naftali nun nicht länger »Naftul« nennen könne. Bennett sei von »Anfang an ein Teamleader, sehr herausragend, rücksichtsvoll und ruhig« gewesen. »Der Spitzname Naftul wurde ihm in der Einheit gegeben. Von jetzt an werde ich ihn ›Herr Premierminister‹ nennen.«

Wirtschaft

Netanjahus unglücklicher »Sparta«-Vergleich

Israels Premierminister spricht in einer Rede von wirtschaftlicher Isolation und sieht sein Land in einer ähnlichen Situation wie einst der griechische Stadtstaat. Politik und Märkte reagieren unerwartet heftig

von Sabine Brandes  18.09.2025

Israel

Zwei Tote bei Anschlag an Grenze zu Jordanien

Der Angreifer ist offenbar in einem Lastwagen angekommen, der humanitäre Hilfsgüter für den Gazastreifen transportierte. Der Anschlag könnte laut Medien auch Auswirkungen auf Gaza-Hilfen haben

 18.09.2025 Aktualisiert

Nachruf

Sie trug ein strassbesetztes Krönchen

Tovia Ringer überlebte die Konzentrationslager Groß-Rosen und Schömberg, bevor sie 1948 nach Israel emigrierte. Nun ist die »Miss Holocaust Survivor 2018« im Alter von 102 Jahren gestorben

von Sara Klatt  18.09.2025

Kurznachrichten

Hotel, Datteln, Pilger

Meldungen aus Israel

von Sabine Brandes  18.09.2025

Tel Aviv

Israel: Entwicklung von Laser-Abwehrwaffe abgeschlossen

Das Hochleistungs-Lasersystem »Iron Beam« markiert einen Wendepunkt: Präzise, schnell und überraschend günstig. Wie verändert dies Israels Schutz vor Bedrohungen aus feindlichen Ländern der Region?

 18.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  18.09.2025 Aktualisiert

Gaza

»Gebt mir mein Mädchen zurück!«

Ifat Hayman fleht, dass ihre Tochter Inbar, die letzte weibliche Geisel der Hamas, zur Bestattung zurückgebracht wird

von Ifat Hayman  17.09.2025

Europäische Union

Wie die EU-Kommission Israel sanktionieren will

Ursula von der Leyens Kommission will Israel alle Handelsvergünstigungen streichen. Doch eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist (noch) nicht in Sicht. Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  17.09.2025

Israel

»The Sea« erhält wichtigsten israelischen Filmpreis

In Reaktion auf die Prämierung des Spielfilms über einen palästinensischen Jungen strich das Kulturministerium das Budget für künftige »Ophir«-Verleihungen

von Ayala Goldmann  17.09.2025