Yael Naïm

Musik für die Midlife-Crisis

Yael Naïm Foto: dpa

Wie geht es weiter, wenn man den Karrierehöhepunkt schon hinter sich hat? Die israelisch-französische Musikerin Yael Naïm hat einfach mal ihr ganzes Leben auseinandergenommen. Sie war knappe 30, als der Weltruhm über sie hereinbrach: Apple-Chef Steve Jobs persönlich hatte 2008 einen Song der relativ unbekannten Singer-Songwriterin für die Werbekampagne des MacBook Air auserwählt.

So war das gut gelaunte »New Soul« plötzlich in jedermanns Ohr, und die in Paris geborene und in Israel aufgewachsene Yael Naïm ein Weltstar: in diversen Top Ten platziert − unter anderem als erste Israelin in den USA, auf großen Festivals und in einer Folge der Simpsons vertreten und mit Auszeichnungen behängt.

Afikoman Doch anstatt sich im Ruhm zu verlieren, was bekanntlich einfacher ist, als den Afikoman zu finden, hat Naïm die Bodenhaftung behalten, und anstatt dem nächsten Hit hinterherzujagen, hat sie sich lieber das nächste Level ihrer Selbstfindung erarbeitet. Im kleinen Studio, mit kleinem Equipment hat sie weiter an ihren sehr persönlichen, fragilen Songs gefeilt, mit kleineren und größeren Stars zusammengearbeitet, Alben veröffentlicht und sich so vor allem in Frankreich eine stabile Karriere aufgebaut.

Diesen deutlich steinigeren Weg ist die mittlerweile 42-Jährige beeindruckend geradlinig gegangen. Und deshalb, so sagte Naïm im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen, sei das neue Album Night Songs auch so düster geraten. Denn die Künstlerin geht ihre Wege am liebsten bis zu Ende.

DURCHEINANDER »Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass mich etwas ruft, aber mir war klar, dass es riesige Veränderungen mit sich bringen würde. Es war wie eine Bedrohung. Ich habe plötzlich alles infrage gestellt.« Dann fängt die Frau mit den langen dunklen Locken an zu lachen, tief aus dem Bauch heraus und wunderbar frei: »Der Klassiker, ich werde 40 und stecke in der Midlife-Crisis!«

Im Talmud steht: »Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind, sondern wie wir sind«, und für Naïm bedeutete das, sich all den in dunklen Ecken ihres Seins lauernden Fragen zu stellen und auch noch Töne dafür zu finden: »Was habe ich in meinem Leben erreicht? Bin ich glücklich damit? Mache ich es mir zu einfach? Damit hat das Durcheinander angefangen«, sagt sie. »Es war ein Erdbeben! Ich wusste, dass ich etwas verändern muss.« Und das tat sie gründlich.

Anders als ihr Hit »New Soul« ist die neue CD eher düster geraten.

Weil Naïm ihre Gefühle mit Musik ausdrückt, seit sie zehn Jahre alt ist, durfte das neue Projekt den Vorgängern in nichts gleichen. Beziehungsweise, alle Mittel zur Umsetzung wurden auf Herz und Nieren geprüft. Deshalb war die erste große Veränderung, dass ihr langjähriger Co-Musiker und Ehemann David Donatien ihr diesmal nicht beistehen durfte. Sie musste da allein durch.

Armeezeit »Seit meiner Kindheit ist es mir schwergefallen, Entscheidungen zu treffen«, sagt die Musikerin, die nach der Armeezeit im Orchester der Israeli Air Force nach Paris ging und dortblieb. Zuerst habe ihr Vater, dann ihr Mann es ihr abgenommen, klar Ja oder Nein sagen zu müssen. »Dinge sind mir passiert. Ich war in Panik, wenn ich selbst entscheiden sollte, und habe es immer geschafft, es irgendwie auf andere abzuschieben.«

Es gebe Menschen, die das Talent haben, von dem, was sie tun, felsenfest überzeugt zu sein. Die immer wüssten, warum so und nicht anders. »So funktioniere ich nicht«, sagt Naïm. »Ich weiß nicht, warum ich etwas so und so mache, ich fühle es. Das ist wie eine Intuition. Aber ich konnte es nicht erklären und musste lernen, darauf zu vertrauen.« Deshalb habe es auch zwei Jahre gedauert, bis sie sich eingestehen konnte, dass sie genau das Projekt machen wollte, aus dem die Night Songs hervorgegangen sind. Und vielleicht deshalb lächelt sie immer wieder dieses Lächeln, das zwischen zwei Gefühlen zu verweilen scheint.

EINKLANG Während Naïm also sich selbst und ihre Musik neu verortete, schuf sie Melodien und Harmonien von heilsamer Tiefe wie in »How will I Know«, »The Sun« und »Watching You«. Als würde sie am eigenen offenen Herzen operieren, gab sie den Ängsten und Unsicherheiten Namen und Adresse, Refrain und Strophe. Ob Endlichkeit, Verlust oder Einsamkeit, sie buchstabierte es aus, mal mit Kopf- und mal mit Bauchstimme. Und so wie der Apple-Song »New Soul« damals bedingungslosen Frohsinn verbreitete, liefern ihre zwölf Night Songs den Soundtrack zur Midlife-Crisis. Zum Glück aber auch für die Zeit danach.

Nach dem Tauchgang in die Musikerseele bleibt noch Zeit für eine Frage zur Welt da draußen, außerhalb des Interview-Raums, fernab des Aufnahmestudios: Was sie denn heute tue, wenn die Angst kommt – was angesichts der weltweiten Versuche, die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen, sicher häufiger passiert.

»Wenn die Welt da draußen mir Angst macht, ziehe ich mich ins Innere zurück, denn da habe ich Kontrolle«, sagt Naïm. »Ich entscheide, was ich an mich heranlasse. Wenn du mit deinem Inneren nicht im Einklang bist, suchst du nur draußen nach Lösungen. Und das sorgt für jede Menge Chaos. Du musst bei dir selbst anfangen.«

Eigentlich wollte Yael Naïm ihr neues Album »Night Songs« (erschienen bei Tôt ou tard) am 3. April im Berliner Klub Silent Green präsentieren. Das Konzert muss aber wegen der Corona-Krise ausfallen. Das Album findet man bei den üblichen Download-Plattformen.

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