Herr Spaney, seit Freitag greift Israel den Iran mit gezielten Luftschlägen an. Wie erklären Sie sich den Zeitpunkt, den die Israelis für ihren Angriff gewählt haben?
Israel sah sich durch den Stand des iranischen Atomprogramms akut bedroht und hat deswegen diesen Präventivschlag unternommen. Netanjahu sprach von einem »point of no return«, der Israel gezwungen habe, zu diesem Zeitpunkt einzugreifen. Selbst die UN-Atombehörde berichtete letzte Woche, dass das iranische Regime ein bis zwei Wochen davon entfernt sei, waffenfähiges Material für neun Atombomben zu produzieren. Israels Ziel ist nun ein massives Zurückdrängen des iranischen Atomprogramms und der Angriffsfähigkeit der iranischen Armee.
Wie versucht Israel, dieses Ziel zu erreichen?
Zur Bekämpfung der nuklearen Gefahr geht die israelische Armee dabei zum einen gegen das Atomprogramm selbst, zum anderen gegen das ballistische Raketenprogramm vor. Letzteres stellt durch seine konventionelle Einsetzbarkeit eine noch viel unmittelbarere Bedrohung dar. Aktuell geht die israelische Armee davon aus, dass ein Drittel der ballistischen Raketenabschussvorrichtungen Irans bisher ausgeschaltet wurden. Ohne diese Plattformen können verbleibende Raketen nicht gestartet werden und sind als Bedrohung neutralisiert. Der Iran wird so gezwungen, mit seinen verbleibenden Beständen sparsam zu haushalten.
Wie entscheidend hat Israel mit seinen Luftangriffen dem iranischen Atomprogramm bisher geschadet?
Berichte deuten darauf hin, dass die wichtigen Atomanlagen in Natanz und Fordo angegriffen und beschädigt wurden. Bei Natanz gibt es eine offizielle Bestätigung der UN-Atombehörde IAEO in Wien, die von Schäden in Natanz spricht, aber keine erhöhte Strahlung oberirdisch dort feststellen konnte. Die Tötung von mindestens neun führenden iranischen Atomwissenschaftlern dient dazu, die Leitung des Atomprogramms zu dezimieren und deren laufende Projekte zu unterbrechen. Wahrscheinlich wird Israel noch eine geraume Zeit brauchen, um durch den Beschuss das Atomprogramm erheblich zurückzuwerfen.
Israel hat die Lufthoheit über weite Teile Irans. Die Luftabwehr ist so gut wie ausgeschaltet.
michael spaney
Die Uran-Anreicherungsanlagen liegen tief unter der Erde. Sind die Israelis auf US-Hilfe angewiesen, um diese zu zerstören? Die Amerikaner verfügen als einzige über große bunkerbrechende Bomben.
In der Tat befindet sich eine der wichtigsten Atomanlagen in Fordo 60-100 Meter unter der Erde. Israel hat in jüngster Vergangenheit Lieferungen mit bunkerbrechenden Waffen erhalten. Allerdings besitzen diese nicht die Schlagkraft der MOP-Waffe, über die nur die amerikanische Armee verfügt. Aufgrund ihrer Größe kann sie auch nur von amerikanischen B-2-Bombern ins Ziel gebracht werden. Da ich ein Eingreifen der USA für unwahrscheinlich halte, wenn Iran nicht den Fehler begeht, US-Basen anzugreifen, muss man davon ausgehen, dass Israel mit dem bestehenden Arsenal versucht auszukommen. Israel wird sich eventuell darauf konzentrieren, alle Eingänge zu den Bunkeranlagen von Fordo zu zerstören.
Über 20 Israelis wurden bei iranischen Vergeltungsschlägen bisher getötet. Ist das aus Sicht Teherans ein militärischer Erfolg?
Für Israelis ist das Ausmaß der iranischen Bombeneinschläge schrecklich. Seit dem Angriff Saddam Husseins auf Israel 1991 gab es nicht mehr so viele Tote durch Raketen in Israel. Von einem militärischen Erfolg Irans kann aber keine Rede sein. Im Gegenteil, Irans Armee hat jetzt schon eine beträchtliche Niederlage einstecken müssen. Israel hat die Lufthoheit über weite Teile Irans. Die Luftabwehr ist so gut wie ausgeschaltet. Ein Drittel der Abschussvorrichtungen für ballistische Raketen seien laut israelischer Armee ausgeschaltet. Wenn die Berichte stimmen, dass Iran nur über 2000 ballistische Raketen verfügt, können diese zwar noch erheblichen Schäden anrichten, das Arsenal ist aber beschränkt. Die Tötung der führenden Köpfe der Revolutionsgarden und der Armee stiftet zusätzlich Verwirrung und behindert eine Regruppierung der iranischen Streitkräfte.
Warum haben die iranischen Proxies – die Hisbollah, die Huthi sowie schiitische Milizen im Irak – bisher nicht in nennenswertem Ausmaß in den Krieg eingegriffen?
Die Huthi sind die einzigen Stellvertreter Irans in der Region, die bisher mit Raketen eingegriffen haben. Das haben sie allerdings auch vor Freitag, dem 13. Juni, getan und die Israelis teilweise nächtelang in ihre Schutzräume geschickt. Aber deren Arsenal ist sehr begrenzt. Für die Hisbollah im Libanon wäre ein Eintritt in den Krieg der Todesstoß. Sie stehen auch unter dem Druck der libanesischen Regierung, die wieder die volle Kontrolle über das Land erlangen will. Das Raketenarsenal der Hisbollah war die größte Bedrohung für Israel. Es wurde durch Beschuss und die Bodenoffensive im Oktober und November durch die israelische Armee in großen Teilen neutralisiert, was die Offensive auf das iranische Atomprogramm letzte Woche erst möglich gemacht hat. Die Iran-treuen Milizen im Irak sind noch eine Gefahr. Relevant sind da vor allem »Kataeb Sayyid al Shuhada« (KKS), »Kataeb Hisbollah« (KH) und »Nujaba«. Premier Al-Sudani und die irakische Regierung setzen sie aber unter Druck. Andere Milizen sind mittlerweile Teil des Systems und scheuen vor einem Angriff auf Israel zurück.
Russland ist ein strategischer Partner des Iran. Können sich die Mullahs auf Putin verlassen oder wird er sie fallen lassen, wie Assad in Syrien?
Das Regime wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf Hilfe aus Moskau verlassen können. Nicht zuletzt der Fall Assads hat gezeigt, dass Diktatoren nur dann Risiken füreinander eingehen, wenn eindeutige Vorteile zu erwarten sind. Im Falle des Iran hat Moskau nicht mehr viel aus Teheran zu gewinnen.
Wie könnte sich der Konflikt zwischen Israel und Iran auf den Ukrainekrieg auswirken?
Gar nicht so sehr. Wie gesagt, ist Russland der Iran relativ gleichgültig. Die früher von Iran an Russland gelieferten Shahid-Drohnen werden inzwischen im Land selbst gefertigt. Und die von Iran in Russland bestellten SU-35 Jets sind wahrscheinlich noch gar nicht vollständig gefertigt. Für Europa sollte weiterhin gelten, sowohl die Ukraine als auch Israel in ihren Abwehrkämpfen zu unterstützen.
Die Fragen an den Direktor des Mideast Freedom Forum Berlin stellte Joshua Schultheis.